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Im Schlepper-LKW
"Wir haben geklopft und geschrien"

Im vergangenen Dezember stoppte die Polizei bei Sisak, einer Hafenstadt südöstlich der kroatischen Hauptstadt Zagreb, einen LKW. Gerade noch rechtzeitig: Im Laderaum befanden sich 67 Menschen, davon waren mehr als die Hälfte bereits ohnmächtig. Zwei Jungen, die die Fahrt nur knapp überlebten, erinnern sich.

Von Andrea Beer | 21.04.2017
    Flüchtlinge stehen am Rande einer Autobahn, auf der Lkws fahren. Über der Straße weist ein Schild Richtung Eurotunnel.
    Viele Flüchtlinge kommen in Schlepper-LKWs in die EU. (PHILIPPE HUGUEN / AFP)
    Ab und zu erhellt ein offenes Lächeln ihre jungen Gesichter, doch ansonsten wirken sie ernst und zurückhaltend. Die beiden schwarzhaarigen Jungen aus Afghanistan. Sie leben in einer betreuten Unterkunft bei Zagreb, die zu ihrem Schutz nicht genannt werden soll, genau wie ihre Namen. Sie sind 14 und 16 Jahre alt und erinnern sich an den traumatischen Tag im Dezember 2016, als sie in einem Schlepper LKW beinahe erstickt wären.
    "Ich war hinten nahe der Türe. Zuvor waren wir zehn Tage lang von Serbien aus nach Kroatien unterwegs und dort schickte der Schlepper dann einen LKW für uns. Sie haben uns hineingesteckt und die Türe von außen verschlossen. Schon in diesem Moment gab es nicht genügend Luft für uns alle. Und die Ersten sind ohnmächtig geworden."

    Beeindruckend gefasst und glasklar redet er. Dieser 14-jährige schmale Junge, den seine Mutter wegen der Taliban nach Europa losschickte. Das hat ihren einzigen Sohn fast das Leben gekostet, was er ihr bis heute lieber verschweigt. "Wir haben geklopft und geschrien. Aber der Fahrer hat nicht reagiert. Dann hat die Polizei das Auto gestoppt und als sie die Türe geöffnet haben da habe ich das Bewusstsein verloren. Ich bin erst im Krankenhaus wieder aufgewacht."
    42 der 67 Menschen verloren das Bewusstsein
    Sein Freund redet weniger und leiser. Doch auch er möchte erzählen. "Ich lag in der Mitte unten auf dem Boden. Die anderen waren über mir und ein Fuß war in meinem Gesicht. Ohnmächtig bin ich nicht geworden."
    Als die kroatische Polizei den LKW damals stoppt, sind 42 der 67 Menschen schon ohne Bewusstsein. Alle erholen sich schnell wieder, denn sie haben keine physischen Verletzungen. Sind aber stark unterkühlt und mit Kohlenmonoxid vergiftet, weil Sauerstoff fehlte.
    Zwei Bulgaren sind dafür verantwortlich. Der eine sitzt am Steuer des Schlepper-LKWs, der andere fährt in einem zweiten Wagen voraus und hält Ausschau nach Polizei. Beide werden später gefasst und von einem Gericht in Sisak wegen Menschenschmuggels verurteilt. Ein Jahr Gefängnis und 7.500 Euro Geldstrafe. Sie haben alles zugegeben und meinten, in Bulgarien gäbe es keine Arbeit.
    Der Anwalt Marko Rafaj hat den Schlepper verteidigt, der vorgefahren war. "Mein Klient meint, er habe dem LKW-Fahrer gesagt, er solle das Fenster öffnen oder dafür sorgen, dass es Luftzufuhr nach hinten zu den Flüchtlingen gibt. Ob der Fahrer das gemacht hat, wissen wir nicht."
    Kroatische Polizei beobachtet LKWs systematisch
    Um mögliche Hintermänner dieser organisierten Kriminalität ging es bei dem Prozess in Sisak nicht. Dass die Polizei den LKW stoppte war übrigens kein Zufall, meint Zoran Niceno, Chef der kroatischen Grenzpolizei in Zagreb. "Wie wir genau arbeiten, sagen wir natürlich nicht", grinst er ein wenig amüsiert.
    "Aber wir haben Kroatien in Zonen eingeteilt, die wir systematisch beobachten. Wir hatten diesen LKW schon mehrere Tage lang im Visier und vermutet, dass er Menschen schmuggeln sollte. Er stand in der Nähe der Grenze. Schließlich fuhr der Wagen leer von einem Parkplatz aus los und kam dann an einem weiteren Kontrollpunkt von uns vorbei. Und da lag er dann sehr tief und hing hinten runter. Wo die Menschen aufgeladen wurden, wissen wir nicht. Denn dort entlang der Autobahn gibt es viel Wald und Gebüsch, in dem sich die Menschen und die Schlepper sehr oft verstecken. Dann auf ein Zeichen kommen sie heraus und steigen ein."
    Lange Reise noch nicht beendet
    Sie hätten gar nicht einsteigen wollen, als sie gesehen hätten, wie eng der Wagen war, erzählen die beiden Jungen, die die Fahrt nur knapp überlebten. Aber die serbischen Schlepper, die sie über die Grenze brachten hätten sie mit Messern dazu gezwungen. Je länger die beiden reden, desto schwerer fällt es ihnen.
    Auch ihr kroatischer Betreuer, der zuhört, muss schlucken. Der freundliche Sozialpädagoge hält große Stücke auf die beiden jungen Afghanen. Fleißig, freundlich und klug seien sie. Ihr Kroatisch mache schnell Fortschritte. Ohne Weiteres könnten sie wertvolle Mitglieder der Gesellschaft sein, betont er. Doch leider würden sie immer wieder ausreißen, denn sie wollten nach Frankreich, wo der Ältere einen Bruder habe.
    "Ich fühle mich geehrt, dass ich mit ihnen arbeiten darf, und ich sage ihnen immer: 'Jungs, ihr seid jung, ihr habt Zeit. Bleibt hier, bis ihr euch zurechtfindet.'" Voller Kummer und Sympathie bittet er die Jungen, nicht auszureißen. Wieder erhellt ein Lächeln die ernsten Gesichter dieser Jungen aus Afghanistan – und alle wissen: Diese Bitte ist umsonst. Tatsächlich haben sie es inzwischen irgendwie nach Frankreich geschafft. Die Geschichte ihres Überlebens, sie ist noch nicht zu Ende.