Samstag, 04. Mai 2024

Archiv


Im Umbruch

"Über Leben im Umbruch", so heißt ein Projekt in Wittenberge, bei dem Wissenschaftler und Stückeschreiber zusammengearbeitet haben. Es ging dabei um Strategien des Überlebens in einer Region, die wirtschaftlich schrumpft. Herausgekommen ist nun das Stück "We are blood", das Armin Petras alias Fritz Kater am Maxim Gorki Theater in Berlin inszeniert hat.

Von Hartmut Krug | 06.05.2010
    Die Nebelmaschine arbeitet, und vier kompliziert miteinander verbandelte Menschen stehen auf leerer Bühne vor bodenlangen Seilen, hinter denen Videobilder eines Kraftwerkes zu ahnen sind. Die Menschen stehen so an der Rampe, wie an diesem mehr als dreistündigen Abend die Figuren von Fritz Katers Stück immer wieder vor dem Publikum stehen und nicht einander, sondern dem Publikum vom Ich und Wir, vom Individuum und der Gemeinschaft, von Zeitlichkeit und Endlichkeit erzählen.

    Es sind biografisch, beruflich und gesellschaftlich gescheiterte DDR-Bürger. Mal versuchen sich zwei an den Seilen hochzuschwingen, doch dann explodiert das Kernkraftwerk und wir sind in einer Zeit 20 Jahre nach der Wende.

    Nur eine der Figuren hat sich in diese Zeit hinüber gerettet: Hilke Altefrohnes nüchtern-engagierte Yves ist von der drangsalierten Journalistin zur Krankenschwester geworden. Sie arbeitet in einem Krankenhaus, in dem ein krebskranker 16-jähriger jungfräulicher Junge umhergeistert und seine Sehnsucht nach einer sexuellen Erfahrung mit derben Sprüchen herausschreit, und in dem das Opfer eines mysteriösen Autounfalls nicht mehr mit sich und seinen Emotionen und Wahrnehmungen identisch ist.

    Fritz Kater alias Armin Petras hat eine Stückcollage auf der Grundlage und in den Strukturen des Romans "The Echo Maker" des Amerikaners Richard Powers verfasst, in dem er teils wörtliche Passagen des Romans zusammenmontiert mit Texten und Motiven von Brigitte Reimann, Joseph von Eichendorff, Einar Schleef, Anthony McCarten, Wolf Singer und Werner Bräunig. Also gibt es chorische und poetisch-parabelhafte Passagen, philosophische Grübelmonologe, Märchenerzählungen und lange neurologische Reflexionen, und all dies sucht die rotzig-direkte, zwischen bewussten Kalauern und unbewusstem Kitsch schwankende Sprache des Autors zusammenzuhalten.

    Das Stück fragt nach den Möglichkeiten individueller und gesellschaftlicher Utopien. Deshalb wird auf der Bühne unentwegt in einer Erdgrube suchend gebohrt und gebuddelt, auch der von ganzheitlich echter Medizin redende, aber mit seinen Patienten mit wenig menschlicher Wärme umgehende Arzt tut dies, wenn er operiert. Peter Kurth gibt diesen Arzt merkwürdig unbeteiligt und sprachlich undeutlich.

    Ganz anders Julischka Eichel als Schwester des Unfallopfers, die mit Lebhaftigkeit und Lebenslust durch das Stück tanzt und selbst die ihr vom Stück auferlegte gleichzeitige Beziehung zu einem bauwütigen Ingenieur, der eine Autobahn und eine Ferienanlage plant, und einem sich vor die Kraniche stellenden Naturschützer, glaubhaft zu machen versteht.

    Kater hat sein Stück, das ein Flickenteppich von nur lose verbundenen und nicht immer deutlichen Szenen ist, mächtig mit tieferen Bedeutungen aufgeladen. Unsere Lebensmöglichkeiten werden auf den theatralischen Prüfstand gehoben, indem nach einer möglichen Einheit gesucht wird: zwischen Natur und Mensch, zwischen der Zeitlichkeit von Menschen und ihrer Sehnsucht nach Unendlichkeit, zwischen Emotion und Gehirn, Individuum und Gemeinschaft, Natur bewahrender, ökologischer Lebensweise und einem von ökonomischem Nutzen bestimmtem gesellschaftlichem Denken.

    Die Inszenierung schüttet eine Fülle szenisch wie schauspielerisch nicht immer ausgearbeiteter, die Figuren vor allem in wirkungssüchtige Komik treibender Situationen und Theaterbilder auf die Bühne. Da wird mit den Schnüren und urzeitlichen Tierkadavern gekämpft, die, schwer bedeutungsvoll, mit dröhnenden Bohrern aus der Erde hervorgeholt werden. Ein echtes Pferd kommt auf die Bühne, es gibt eine so wilde wie undeutliche, chorische Gebärszene nur mit Männern, und bei der Anhörung zu einem Raumordnungsverfahren schwebt der Vorsitzende im Bühnenhimmel, während seine Beine bis auf den Bühnenboden schlackern.

    Die Kontrahenten dieser Anhörung können lange ökologische gegen ebenso lange ökonomische Argumentpassagen setzen, denn Kater sucht ehrlich nach einer gesellschaftlichen Utopie, die Individualität und/oder Gemeinschaftlichkeit, oder, wie es im realen Sozialismus hieß, den Weg vom Ich zum Wir möglich sein lässt. Weshalb auch das Widerstandsrecht aus dem Grundgesetz vorgetragen wird.

    Dass die Kontrahenten aber schließlich allesamt in das Bewegungsrepertoire von Kranichen fallen, die hier für die schützenswerte Natur stehen, ist, wie manche Bebilderungen in dieser Inszenierung, ein Einfall mit allein äußerlicher Wirkung.

    Wenn der krebskranke, todessüchtige Junge erstickt und das Unfallopfer aus dem Krankenhaus entlassen worden ist, um von seinen Kameraden zu erzählen und mit dem Geld des verkauften elterlichen Hauses einen Waffenladen zu eröffnen, hilft auch das Singen des Brandenburg-Liedes "Märkische Heide" nichts mehr. Am Schluss bleiben alle Fragen offen. Dass sie in dieser Deutlichkeit gestellt wurden, ist trotz der unfertigen Inszenierung und der Kitsch- und Klischee-Passagen des Stückes dem Autor und Regisseur Fritz Kater/Armin Petras hoch anzuschreiben.

    Zur Homepage des Maxim Gorki Theaters - Inszenierung "We are blood"