Dienstag, 07. Mai 2024

Archiv


"Im Vergleich zu anderen Ländern ist es in Deutschland sehr gut gelaufen"

Karl Brenke, Arbeitsmarktexperte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), hält einen leichten Rückgang der Arbeitslosigkeit im Laufe des Jahres für wahrscheinlich. Der von der Krise besonders schwer getroffene Sektor Export "fängt jetzt wird an zu brummen", so Brenke.

Karl Brenke im Gespräch mit Silvia Engels | 29.07.2010
    Silvia Engels: Optimismus in der Wirtschaft. - Heute gibt die Bundesagentur für Arbeit die Arbeitsmarktzahlen für den Monat Juli bekannt. Offiziell sind die Zahlen noch nicht, aber Beobachter gehen davon aus, dass die Zahl der Beschäftigungssuchenden nur leicht steigen wird. Die Konjunkturforscher und Volkswirte deutscher Großbanken haben in dieser Woche geschätzt, es gebe wohl einen Anstieg um vielleicht 35.000 auf dann 3,18 Millionen. Das wären zwar viele, aber immer noch 280.000 Erwerbslosen weniger als vor einem Jahr. Am Telefon begrüße ich Karl Brenke, er ist Arbeitsmarktexperte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin. Guten Morgen, Herr Brenke!

    Karl Brenke: Guten Morgen, Frau Engels!

    Engels: Ich habe die Zahlen gerade genannt, wie sie die Bankenvolkswirte schätzen. Erwarten Sie auch die Zahlen für Juli in dieser Größenordnung?

    Brenke: Ja, das wird so ähnlich sein. Und dann muss man immer noch sehen: Der Juli ist eigentlich immer ein schlechter Monat, weil da ist Ferienbeginn, da hat das Quartal geendet, da sind Kündigungstermine. Der Trend ist aber eher, dass die Arbeitslosigkeit nach unten geht auch im Laufe dieses Jahres.

    Engels: Wirtschaftsminister Brüderle sprach gestern sogar davon, er erwarte ein Absinken der Arbeitslosigkeit auch noch in diesem Jahr auf unter drei Millionen. Sind Sie auch so optimistisch?

    Brenke: Nein, ganz so optimistisch sind wir nicht, aber ich glaube schon, dass auch im weiteren Jahresverlauf wir sehen werden, dass die Arbeitslosigkeit so langsam abschmelzen wird.

    Engels: Die Exportzahlen der Maschinen- und der Autobranche, sie haben ja in den letzten Tagen für Schlagzeilen gesorgt, weil sie wieder angesprungen sind. Spürt man das auch auf dem Arbeitsmarkt?

    Brenke: Ja, man muss ja sehen: Wir sind in Deutschland schon im letzten Jahr in einer besonderen Situation gewesen; die Wirtschaftskrise hat ja nur einen Sektor erwischt, das war die Exportindustrie. Ganz anders als in anderen Ländern - USA, Großbritannien oder Spanien -, da hat es ja flächendeckend die Wirtschaft getroffen, da hat die Arbeitslosigkeit sehr stark angezogen. Das war bei uns in Deutschland nicht so, manche Bereiche, beispielsweise Gesundheitswesen hat ja noch kräftig die Beschäftigung ausgeweitet. Und dieser eine Sektor Exportindustrie, der im letzten Jahr getroffen wurde bis in dieses Jahr hinein, der fängt jetzt wieder an zu brummen. Und deswegen wird auch die Beschäftigung aufgebaut und deswegen zieht auch jetzt die Arbeitslosigkeit nach unten. Das ist ein sehr spezieller Fall und ich glaube auch, dass wir in den nächsten Monaten wie gesagt noch weitere Abschmelzung bei der Arbeitslosigkeit haben werden. Man darf es aber auch nicht übertreiben, man muss sehen, hier ist auch noch einiges sehr unsicher: Die Exporte ziehen insbesondere nach Asien, nach anderen Entwicklungsländern an und man darf jetzt nicht gleich in Euphorie verfallen.

    Engels: Trauen Sie sich denn eine Einschätzung zu, wie tief die Arbeitslosigkeit dann in diesem möglicherweise stabileren Aufschwung sinken wird?

    Brenke: Das ist schwer zu sagen und es ist auch schwer zu sagen, inwieweit dieser Aufschwung sich noch ins nächste Jahr hinein durchziehen wird. Also, ich bin mir unsicher. Aber ich glaube schon, dass wir bei der Arbeitslosigkeit entgegen mancher Befürchtungen, die Anfang letzten Jahres noch geäußert wurden, jetzt keine große Krise mehr sehen werden, sondern dass wir doch auf einem relativ niedrigen Niveau bleiben und dass wir von diesem niedrigen Niveau noch etwas runtergehen.

    Engels: Als eine Art Allheilmittel wurde ja von der Politik in der Bewältigung der Krise die Kurzarbeit gesehen. Wurde dieses Instrument überschätzt oder hat es wirklich eine so große Rolle gespielt und wie viel Kurzarbeit gibt es jetzt noch?

    Brenke: Also, die Zahlen, bei den Zahlen muss ich schon passen, hier haben wir noch keine aktuellen Zahlen. Die Zahlen sind von Ende letzten Jahres, hier kann man sehen, da hatten sich ab dem Höhepunkt der Kurzarbeit sich die Zahlen halbiert und das dürfte jetzt, die Kurzarbeit dürfte im weiteren Jahresverlauf keine Bedeutung mehr spielen. Natürlich hat die Kurzarbeit gewirkt insbesondere gerade in der Industrie. Man hat dadurch Beschäftigung halten können. Aber es war nicht nur die Kurzarbeit, die gewirkt hat, sondern viele Unternehmen haben über Arbeitszeitkonten reagiert, sie haben natürlich Überstunden abgebaut, vieles andere mehr. Man hat auch akzeptiert, dass die Produktivität zurückging, und dabei hat Kurzarbeit eine Rolle gespielt. Sie war durchaus sehr wirksam und das hat auch dazu beigetragen, dass eben gerade in betroffenen Bereichen zwar die Beschäftigung zurückgegangen ist, aber nicht so stark, wie man anfangs befürchtet hat.

    Engels: Herr Brenke, Sie schauen als Arbeitsmarktexperte schon lange auf den Arbeitsmarkt. Nun ist es ja so, dass viele Jobs neu geschaffen worden sind, Sie haben darauf verwiesen. Allerdings gut ein Drittel dieser neu geschaffenen Verträge sind zeitlich befristete Jobs. Werden also nachhaltig weiter dauerhafte Arbeitsverträge zurückgedrängt?

    Brenke: Schwer zu beurteilen. Wir hatten in den letzten Jahren eine Entwicklung eindeutig hin zur Zeitarbeit. Zeitarbeit hat bis zur Krise geboomt. Dann war es so, dass die Produktion eingebrochen ist, die Zeitarbeiter waren diejenigen, die als Erste entlassen wurden. Und jetzt haben wir wieder den Trend rückwärts, die Produktion zieht an und es werden vor allen Dingen Zeitarbeiter eingestellt, was eine Reaktion auch darauf ist, dass die Unternehmen noch unsicher sind, wie wird denn sich die Nachfrage weiter entwickeln. Und ich glaube aber doch, dass nach und nach, wenn sich die Situation besser einschätzen lässt, wenn das Vertrauen in den wirtschaftlichen Aufschwung steigen wird, dann auch vermehrt Festanstellungen greifen werden.

    Engels: Gewerkschaften warnen allerdings, sie fürchten, dass zum einen mit Zeitarbeit, aber auch vor allen Dingen mit Zeitverträgen Sozialdumping einhergeht. Eine berechtigte Sorge nach Ihren Erfahrungen?

    Brenke: Also, Zeitverträge und Zeitarbeit müssen jetzt nicht unbedingt Sozialdumping sein, gerade bei Zeitverträgen nicht. Beim Zeitarbeitsbereich ist es zum Teil schon kritischer, insbesondere bei kleinen Zeitarbeitsfirmen. Aber hier sollte man es nicht übertreiben. Ich sehe aber ein großes Problem bei Zeitarbeit an einer anderen Stelle: dass sich viele Unternehmen zu sehr darauf verlassen, dass sie in einer bestimmten wirtschaftlichen Situation die Arbeitskräfte, auch die Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt finden werden, und möglicherweise nicht hinreichend genug ausbilden. Und wir wissen von der demografischen Entwicklung her, das wird mit den Fachkräften in Zukunft immer knapper werden, und wer jetzt nicht ausbildet, wird in Zukunft Schwierigkeiten bekommen. Und hier habe ich den Eindruck, dass das eine oder andere Unternehmen sich zu sehr auf das Angebot von Zeitarbeitern verlässt. Möglicherweise wird es in der Zukunft gar nicht so sein, dass man eben die Arbeitskräfte, die man braucht, über die Zeitarbeitsfirmen bekommt.

    Engels: Arbeitgeber im Gegenteil können sich ja sogar Vollbeschäftigung vorstellen, natürlich kombiniert mit den alten Forderungen: Kündigungsschutz weiter lockern, noch mehr befristete Jobs. Kann das funktionieren?

    Brenke: Also, ich will es mal so sagen: Wir haben ja jetzt gerade eine Entwicklung gehabt auf dem Arbeitsmarkt, wo man sagen kann, im Vergleich zu anderen Ländern ist es in Deutschland sehr gut gelaufen. Und jetzt über den Kündigungsschutz zu diskutieren, passt nicht in die Landschaft. Und alle Untersuchungen zeigen auch, auch in anderen Ländern, dass der Kündigungsschutz nicht bewirkt, dass - oder das Abschaffen des Kündigungsschutzes nicht bewirkt, dass man mehr Beschäftigung hat. Das stimmt einfach nicht. Ich würde an dem Kündigungsschutz nicht weiter rühren wollen.

    Engels: Karl Brenke, Arbeitsmarktexperte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Heute werden die neuen Arbeitslosenzahlen bekannt gegeben. Wir sprachen mit ihm über die kurzfristigen und mittelfristigen Perspektiven.