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"Im Wesentlichen wird das Geld richtig angewendet"

Der für den Aufbau Ost zuständige Minister Wolfgang Tiefensee hat Forderungen nach einem Ende des Solidarpaktes als inakzeptabel zurückgewiesen. In den neuen Ländern gebe es - von wenigen Städten wie Dresden oder Potsdam abgesehen - nach wie vor eine flächendeckende Strukturschwäche, sagte der SPD-Politiker.

    Heinemann: Hannelore Kraft hat sich zu Wort gemeldet. In der Zeitung "Der Tagesspiegel" hat die SPD-Vorsitzende des bevölkerungsreichsten Bundeslandes Nordrhein-Westfalen gesagt: Im Osten gebe es Gegenden, die sich besser entwickelten als manche Kommunen im Westen. Die Änderung des Solidarpaktes werde vermutlich wegen der notwendigen Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag nicht zustande kommen. Deshalb müssten im Rahmen der Föderalismusreform II Mittel des Bundes auf Problemregionen im Westen gelenkt werden. Beispiel: In Nordrhein-Westfalen sei jede zweite Landesstraße marode. Marode - sie erinnern sich: Dieses Wort wurde nach der Wende geradezu als Synonym für die DDR-Wirtschaft verwendet. Indirekt hat Frau Kraft damit natürlich der jahrzehntelangen Herrschaft der SPD in Düsseldorf ein schlechtes Zeugnis ausgestellt. Ein Parteifreund ist auf jeden Fall nicht amüsiert. Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee hat unser Funkhaus in Köln gestern besucht. Und ich habe ihn bei dieser Gelegenheit gefragt: Ist nun die Zeit gekommen für einen Aufbau West?

    Tiefensee: Die Stimmen in den alten Bundesländern mehren sich, dass jetzt Schluss sein müsste mit den Finanztransfers von West nach Ost. Und besonders in Nordrhein-Westfalen ist quer durch alle Parteien, leider auch in meiner Partei, die Meinung verbreitet, jetzt könne man aufhören. Ich halte diese Diskussion für inakzeptabel, vor allen Dingen, wenn sie von Politikerinnen und Politikern betrieben wird, die eigentlich die Fakten besser kennen müssten. Ich würde sogar soweit gehen zu sagen, wir haben es mittlerweile mit einem Tabubruch zu tun. Hier wird die Solidarität zwischen West und Ost und Nord und Süd in einer Art und Weise in Abrede gestellt, wie es nicht hinnehmbar ist. Die Fakten sind, dass wir es nach wie vor mit einer Strukturschwäche in den neuen Bundesländern zu tun haben, die von den Ländern selbst nicht zu beheben ist. Im Gegensatz zu den alten Bundesländern, wo es natürlich Gebiete gibt, die dringend einen Renovierungsbedarf brauchen, aber eben sich insgesamt in einem Umfeld bewegen, das noch wesentlich besser gestellt ist als der Osten. Und es kann nicht sein, dass Politikerinnen und Politiker nun auf Stammtisch-Niveau den Solidarpakt infrage stellen nach dem Motto: Es ist genug gezahlt und im Osten sind jetzt die blühenden Landschaften. Ich erwarte eine Solidarität zwischen West und Ost, die nicht darauf zielt, Alimente zu geben, sondern die darauf zielt, die neuen Bundesländer heranzuführen zu einer selbsttragenden Wirtschaft.

    Heinemann: Ja, wobei da die Frage ist – und die stellt ja auch Frau Kraft –, ob das alles richtig investiert ist. Die sagt in dem Interview im "Tagesspiegel", jeder zweite Euro aus den Solidarpaktmitteln sei nicht sachgerecht für Investitionen verwendet, sondern gingen in Schuldentilgung oder für die Personalkosten; da müsse man aufpassen, dass die Solidarität nicht auf der Strecke bleibt. Wo die Frau Recht hat, hat sie wohl Recht.

    Tiefensee: Ich höre Stimmen aus allen politischen Lagern und aus einer Reihe von Regionen in den neuen Bundesländern, das Geld wäre nicht nötig, und das Geld wird falsch verwendet. Der Appell geht zu Recht an die neuen Bundesländer, an die Länderregierungen, das Geld so effizient wie möglich einzusetzen, um die Unterschiede zwischen Ost und West beseitigen zu helfen. Und ich sehe, dass in der überwiegenden Zahl dieses Geld auch an der richtigen Stelle ankommt. Es gibt die beleuchtete Gewerbefläche, es gibt das Spaßbad, was an der falschen Stelle ist – richtig. Diese Beispiele schmerzen. Im Wesentlichen wird das Geld richtig angewendet. Der Kernvorwurf zielt aber nicht auf die Verwendung. Der Kernvorwurf zielt darauf, ob man überhaupt Geld geben muss.

    Heinemann: Ja, und vor allen Dingen wohin Geld geben muss. Ihr Parteifreund, der Theologe und SPD-Politiker Richard Schröder sagt jetzt, den Osten als einheitliches Gebilde gibt es immer weniger, der Nord-Süd-Gegensatz nimmt eher zu, also weniger der Ost-West-Gegensatz. Das heißt, die südlichen neuen Länder – Thüringen, Sachsen – stehen gar nicht so schlecht da, das Problem ist eher eines von Mecklenburg-Vorpommern, Nord- und Ost-Brandenburg.

    Tiefensee: Die Zahlen sprechen eine andere Sprache. Es gibt einige wenige Städte, die sind in der sogenannten Prognos-Studie benannt – Dresden, Jena, Potsdam –, die herausragen. Bei den Regionen gibt es marginale Unterschiede. Sehen Sie das Bruttoinlandsprodukt bezogen auf die Einwohner, da sind es 18.500 Euro in Mecklenburg-Vorpommern und rund 20.000 in Sachsen. Wir haben einen minimalen Unterschied von fünf bis acht Prozent, je nachdem, welche Zahlen wir heranziehen. In den alten Bundesländern ist es eher eine Problematik der einzelnen Städte in an sich prosperierenden Ländern - nehmen Sie eine Stadt wie Gelsenkirchen oder Bremerhaven. Und hier haben die Kritiker insofern Recht, dass die Länder etwas tun müssen und, wo es geht, auch der Bund, damit dort die Schulen saniert werden, dort die Straßen besser ausgestattet werden, weil es natürlich in der Zwischenzeit auch einen Nachholbedarf dort gibt. Aber das darf nicht dazu führen, dass wir an die Vereinbarung des Solidarpaktes herangehen, sondern dass wir andere Geldquellen nutzen, insbesondere die innerhalb der Länder, um diese Städte und Regionen zu fördern. Und da ist die Unterstützung des Bundes zugesagt.

    Heinemann: Solidarität bleibt dann Einbahnstraße?

    Tiefensee: Auf keinen Fall. Solidarität ist immer eine, die in alle Himmelsrichtungen zielt. Wenn der Osten in seiner Wirtschaftskraft stark wird, dann zahlt sich das langfristig für die alten Bundesländer aus. Man kann das Beispiel Bayern nehmen: 36 Jahre eingezahlt oder Nehmer-Land gewesen und jetzt ist es eine prosperierende Region. Der Osten schließt im industriellen Sektor Schritt für Schritt auf. Auch die Arbeitslosigkeit, das Entstehen von sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen zeigt deutlich nach oben, die Arbeitslosigkeit nach unten, sinkt also. Das sind erste Erfolge, die wir sehen können, und deshalb ist das Geld gut angelegt. Ich mahne allerdings auch an, dass die Länder in den alten Bundesländern Sorge dafür tragen, dass solche Städte, die ganz besonders schwierige Probleme zu lösen haben, dass die einen Ausgleich erhalten, damit nicht diese Diskussion, diese Stammtisch-Diskussion aufflammt, ja, wenn uns keiner hilft, dann müssen wir halt eben das Geld vom Solidarpakt wegnehmen.

    Heinemann: Welche Motive vermuten Sie hinter dem Interview von Frau Kraft, ihrer Parteifreundin?

    Tiefensee: Es steht sinnbildlich für eine Reihe von Interviews quer durch alle politische Lager, mal unabhängig jetzt von handelnden Personen. Es darf nicht sein, dass wir in Kenntnis der Fakten diese Fakten verdrehen und so tun, als hätte der Osten es schon geschafft, als könnten wir auf diese Transfers verzichten. Wir haben nach wie vor eine flächendeckende Strukturschwäche, die nur auf der Ebene des Bundes, also zwischen Bund und den Ländern, zu beheben ist. Und es darf nicht sein, dass man sich auf Kosten einer solchen Debatte zu profilieren sucht, dass man die Fakten nicht vollständig benennt und damit seinen Beitrag leistet, dass diese Diskussion angeheizt wird, zu Neid und Missgunst führt. Im Gegenteil: Politiker und Politikerinnen sollten das nicht nur unterlassen, sondern sie sollten sich schützend vor den Osten stellen und sagen, das ist eine gesamtnationale Aufgabe. Wir feiern gerade 60 Jahre Marschallplan, es wäre niemanden in den Sinn gekommen, in Amerika zu sagen, wir bauen Europa nicht auf, weil wir haben ja einen Vorteil, wenn wir das Geld sparen. Also auch eine West-Ost-Solidarität, die ich anmahne.

    Heinemann: Es stellen sich natürlich auch die Bürgerinnen und Bürger schon Fragen, wenn sie über wunderschöne Straßen in den neuen Ländern fahren, während sie, wenn sie hier in Köln vom Barbarossaplatz zum Chlodwigplatz radeln, einen Bandscheibenvorfall riskieren.

    Tiefensee: Wir haben überall einen extremen Nachholbedarf. Und natürlich kann man in den neuen Bundesländern Straßen in den Städten und zwischen den Städten besichtigen, die in einem katastrophalen Zustand sind, je nachdem, wo man hinschaut. Aber Sie haben Recht, wir müssen investieren in der Zukunft, brauchen mehr Geld für Investitionen, es reicht nicht aus, unsere Straßen, unsere Schienenwege, unsere Binnenwasserstraßen zu erhalten. Ich setze jetzt einen Schwerpunkt, indem wir mehr Geld in den Erhalt, weniger in den Neubau und Ausbau stecken, und dieses Umsteuern führt dazu, dass die alten Bundesländer prozentual mehr erhalten als in den vergangenen Jahren. Und dennoch bleibt ein riesiger Nachholbedarf. Denken Sie an solche Verkehrsprojekte "Deutsche Einheit" wie die Verbindung von Berlin nach München oder die von Berlin nach Hannover – das sind alles Strecken, die zwar im Osten gebaut werden, aber letztlich ganz Deutschland zugute kommen.

    Heinemann: Herr Tiefensee, vor einer Woche waren die K-Wörter in führenden sozialdemokratischen Munden: Kabelwasser, Kentern, Koalitionsbruch. Inzwischen hat die SPD-Spitze wieder ruhige See befohlen. War dieses ganze Geschrei um ein mögliches Ende der Koalition ein Sturm im Wasserglas?

    Tiefensee: Das Ende der Koalition ist überhaupt nicht realistisch. Es gibt eine im Wesentlichen sehr gute Zusammenarbeit, es gibt Dissenspunkte, die gravierend sind zum Teil. Denken Sie an Themen wie Familie oder Mindestlohn. Hier gibt es innerhalb der Fraktionen – Familie zum Beispiel innerhalb der CDU-Fraktion oder Mindestlohn zwischen SPD, CDU und CSU andererseits – erhebliche Unterschiede. Das müssen wir ausfechten, und das führt dazu, dass diese Diskussionen, diese heftigen Wortgefechte in der Öffentlichkeit stattfinden. Da gehören sie auch hin, damit Wählerinnen und Wähler wissen, was gerade diskutiert wird. Aber die Überspitzungen, die teilweise daraus gemacht werden, das sehe ich nicht.

    Heinemann: Wenn drei führende Sozialdemokraten – Beck, Struck, Müntefering – die Koalition infrage stellen, dann hat das Gewicht.

    Tiefensee: Man muss aufpassen seitens des Koalitionspartners CDU/CSU, dass man nicht Themen, die ans Eingemachte in der Sozialdemokratie gehen, so behandelt, dass sie unakzeptabel durch die SPD sind. Wenn man also Themen wie Erbschaftssteuer noch einmal in die Diskussion wirft oder bei der Frage des Mindestlohns überhaupt keine Spielräume erkennen lässt, dann kann das schon dazu führen, dass man auf die mittelfristige Sicht schon die Frage stellt, was ist, wenn solche Themen nicht im Konsens zu lösen sind. Wir haben immense Probleme zu lösen, denken Sie nur an den Haushalt des Bundes, denken Sie an die Infrastruktur, die wir jetzt angesprochen haben, an die Frage der Gesundheit, der Pflege, um nur einige Bereiche zu nennen. Wir sind gerade dabei, das Finanzwesen in Deutschland insgesamt zwischen den politischen Ebenen neu zu ordnen. Und da brauchen wir einen engen Schulterschluss, denn am Ende werden Wählerinnen und Wähler fragen, sind wir gut regiert worden, geht es voran, und nicht, wer hat den entscheidenden Punkt gemacht oder hat man sich schön gestritten.

    Heinemann: Entscheidenden Punkt gemacht: Die Aufteilung der Ernte fällt etwas unterschiedlich aus. Die CDU erreicht relativ gute Umfragewerte, die SPD überhaupt nicht. Woran liegt das denn?

    Tiefensee: Naturgemäß ist eine Kanzlerein mit einem Bonus versehen und natürlich die sie stützende Fraktion oder Partei, das ist völlig klar und sei auch gegönnt. Ich denke, dass ganz wesentliche Aufgabenfelder auch von der SPD beackert worden sind – denken Sie an alle Fragen der Gesundheit und des Arbeitsmarktes, die Konsolidierung der Finanzen, um nur einige Punkte zu nennen. Ich denke, dass auf die lange Sicht in der Wählerschaft deutlich wird, dass auch die Riege der SPD-Ministerinnen und -Minister einen großen Beitrag geleistet hat, um Deutschland gut zu regieren, voranzubringen im europäischen Maßstab. Deshalb achte ich jetzt weniger auf die Stimmungen im Jahre 2007. Wenn wir um die Stimmen im Jahre 2009 kämpfen, im letzten Viertel oder halben Jahr, dann werden wir sicherlich noch schärfer uns profilieren und deutlich machen, wo die Handschrift der SPD zu sehen ist.

    Heinemann: Herr Tiefensee, die Politik wurde Ihnen nicht in der Wiege gesungen, in Ihrem Elternhaus herrschten ganz andere musikalische Klänge vor. Sie sind Cellist, Träger des Bach-Preises der Stadt Leipzig – wie geht es Ihrem Cello?

    Tiefensee: Oh, das ist ein wunder Punkt. Das Cello steht in der Ecke und staubt vor sich hin. Ich habe relativ wenig Zeit, es zur Hand zu nehmen, aber die Gitarre gleicht das ein wenig aus, hält die Finger locker. Vielleicht habe ich Gelegenheit, mal wieder in den Ferien, die jetzt anstehen im Sommer, doch wieder zum Cello zu greifen. Es würde mir Spaß machen.