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"Im Westen gibt es Investitionsrückstände"

Der Präsident des Städte- und Gemeindebundes (StGB) Nordrhein-Westfalen, Roland Schäfer, sieht in der Ankündigung Angela Merkels, westliche Kommunen und Gemeinden durch ein weiteres Konjunkturprogramm stärken zu wollen, einen richtigen Schritt. Diese könne der "nachlassenden Konjunktur einen zusätzlichen Push" geben und sei besser als Steuersenkungen oder Konsumgutscheine.

Roland Schäfer im Gespräch mit Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: Die Koalition in Berlin will Anfang des neuen Jahres gleich mit großen Taten aus der Winterpause zurückkommen. Schon am 05. Januar sollen die Weichen gelegt werden für ein zweites Konjunkturpaket. Im Gespräch sind Infrastrukturmaßnahmen für Städte und Gemeinden. Die CSU will mehr, nämlich Steuersenkungen. Die Kanzlerin aber blickt nach Westen und sieht dort Nachholbedarf.

    Der Westen soll Vorrang vor dem Osten haben. Das hat jetzt ausgerechnet Bundeskanzlerin Angela Merkel gesagt. Mit gezielten Hilfen sollen Investitionen in Städten und Gemeinden Westdeutschlands besonders angeschoben werden. Vielleicht ja zum Beispiel in Bergkamen. Die Ruhrpott-Stadt hat etwa 50.000 Einwohner und jeder siebte immerhin dort ist arbeitslos.

    Roland Schäfer von der SPD ist Oberbürgermeister von Bergkamen und auch Präsident des Landesverbandes des Städte- und Gemeindebundes Nordrhein-Westfalen. Guten Tag, Herr Schäfer!

    Roland Schäfer: Schönen guten Tag!

    Meurer: Haben Sie gejubelt, als Sie gehört haben, der Westen soll Vorrang vor dem Osten haben?

    Schäfer: Bei Ankündigungen bin ich mit Jubel immer zurückhaltend, aber ich habe mich natürlich schon ein bisschen gefreut, dass jetzt etwas in den Blickpunkt gerückt ist, dass es auch im Westen durchaus Nachholbedarf und Investitionsrückstände gibt.

    Meurer: Wo gibt es denn in Bergkamen beispielsweise Nachholbedarf?

    Schäfer: Das ist bei uns nicht anders als im Großteil der anderen Kommunen. Wir haben sicher im gesamten öffentlichen Gebäudebestand, also bei den Schulen, Bedarfe, die man noch erfüllen kann, im Bereich energetische Gebäudesanierung, Ausbau, Sanierung, Reparaturen, im Bereich der Straßen, des Straßenbaus, auch im Abwasserbereich, und daneben gibt es so Dinge wie Breitbandverkabelung, die gerade im ländlichen Raum in Zukunft eine immer größere Rolle spielen wird, aber auch so ein Thema wie Lärmschutz zum Beispiel.

    Meurer: Wieso ist das mit dem Breitbandkabel so wichtig, damit die Leute auf dem Land auch DSL-Anschluss haben?

    Schäfer: Der Punkt ist, wir rutschen in Deutschland im Moment ganz unbemerkt in eine Zwei-Klassen-Gesellschaft hinein, was vielleicht noch hinnehmbar ist im privaten Konsumbereich, was sich aber ganz massiv auch auswirkt auf Gewerbeansiedlungen.

    Immer mehr Firmen brauchen Breitbandanschlüsse, um ihre Arbeit zu erledigen, ihre Unternehmenstätigkeiten auszuüben. Die gibt es inzwischen eigentlich flächendeckend in den Großstädten, aber im ländlichen Raum haben wir noch viele weiße Flecken und das führt dann dazu, dass Firmen sich entscheiden, nicht zu uns zu kommen, sondern woanders hinzugehen. Da ist durchaus Bedarf da, der noch nicht so ganz richtig erkannt ist.

    Meurer: Ist auf anderen Gebieten tatsächlich der Westen in Rückstand gegenüber dem Osten geraten?

    Schäfer: Insgesamt möchte ich jetzt nicht den Westen gegen den Osten ausspielen. Es ist nicht zu leugnen, dass es auch in den neuen Bundesländern, im Osten noch Nachholbedarf gibt, dass es dort Bereiche gibt, wo man wirklich noch was tun muss.

    Aber wir haben eben im Westen auch durchaus Regionen, die auch nicht schlechter stehen und nicht besser stehen als im Osten, die wirklich hier einen Investitionsstau vor sich herschieben im Schulbereich, bei Kindergärten, bei Sportstätten und anderen Bereichen, und wir haben hier Sozialstrukturen, die durchaus mit Situationen in den neuen Bundesländern vergleichbar sind. Bergkamen hat zum Beispiel eine Arbeitslosigkeit von über 15 Prozent.

    Meurer: Nun ist ja die Idee des ganzen, Infrastrukturmaßnahmen sollen helfen, der Rezession, die uns in Deutschland droht, entgegenzuwirken. Wie schnell könnten Sie solche Maßnahmen durchziehen?


    Schäfer: Hier muss man sicher differenzieren bei den Maßnahmen. Wenn es darum geht, eine neue Autobahn zu bauen, können sie schon mal so zehn, 15 bis 20 Jahre Vorlaufzeit rechnen. Das dürfte für die aktuelle Finanzkrise und Wirtschaftskrise, glaube ich, nichts helfen.

    Meurer: Wird im Ruhrgebiet vermutlich nicht gebraucht: eine neue Autobahn.

    Schäfer: Es gibt auch hier noch Stellen, wo man was ergänzen kann, aber ansonsten ist hier diese große Infrastruktur schon in Ordnung. Nur wo sie ganz schnell was machen können, das ist wirklich im kommunalen Bereich. Das ist bei der Sanierung unserer kommunalen Gebäude. Da liegen die Pläne häufig in den Schubladen.

    Das ist aber auch bei unseren kommunalen Straßen so. Da brauchen sie keine aufwendigen Planfeststellungsverfahren und Umweltverträglichkeitsprüfungen, wenn sie hier Dinge in Ordnung bringen, die eben nicht in Ordnung sind. Und das hilft unmittelbar. Da können direkt sofort Aufträge an Handwerk und Bauindustrie hinausgehen und damit dort Arbeitsplätze schaffen und in der Zulieferindustrie, bei den Baumaschinenherstellern, Werkzeugherstellern, natürlich dann indirekt auch.

    Meurer: Aber länger dauert es bei den Neubauten, vermute ich?

    Schäfer: Das ist klar, wenn sie nicht auch dort schon in den Schubladen, weil halt der Bedarf da ist, schon die entsprechenden Pläne liegen haben. Das ist ja auch in vielen Fällen durchaus der Fall, von denen ich weiß. Wo man natürlich noch etwas zusätzlich beschleunigen könnte, wenn man das dann will, ist im Bereich des Vergaberechts.

    Wir können ja viele Dinge nur nach einem sehr aufwendigen Vergabeverfahren mit öffentlichen Ausschreibungen und langen Fristen vergeben. Hier ist ein Vorschlag vom Städte- und Gemeindebund aus, dass man für eine Übergangszeit - vielleicht zwei oder drei Jahre - das Vergaberecht erleichtert, dass man also viel schneller freihändig oder beschränkt ausgeschrieben Aufträge vergeben kann, einfach nur damit der Umsatz schneller erfolgt und man nicht so lange Wartezeiten hat.

    Meurer: Spielt da die Europäische Union mit, Herr Schäfer?

    Schäfer: Wir werden wohl, wenn wir klug beraten sind, im ersten Schritt unterhalb der europäischen Grenzen bleiben. Die sind aber recht hoch. Das ist für Bauinvestitionen fünf Millionen Euro pro Projekt und bei Leistungen, Dienstleistungen, was ja nicht so in Betracht kommt, 200.000.

    Fünf Millionen ohne Mehrwertsteuer bei Bauinvestitionen ist schon eine recht hohe Grenze. Da sollten wir zunächst mal drunter bleiben, aber man sollte es auch auf europäischer Ebene ansprechen, denn wir haben ja diese Finanzkrise nicht in Deutschland. Das ist ein europäisches und weltweites Problem. Die anderen Länder stehen vor der gleichen Frage.

    Meurer: Gelten die Vergaberichtlinien, die Vorschriften für Ausschreibungen, europäische Ausschreibungen, auch für Sanierungen, wenn eine Schule ein neues Dach bekommen soll, neue Fenster? Gilt das da auch schon?

    Schäfer: Normalerweise werden sie dort darunter bleiben. Das kann man sich schwer vorstellen, es sei denn, es ist ein sehr großer Gebäudekomplex. Dann können sie bei einer Sanierung auch schon mal über fünf Millionen Euro kommen. Bei kleineren Schulen, bei kleineren Aufträgen bleiben sie darunter, aber sie haben dann die innerstaatlichen, also unsere nationalen Grenzen. Die sind in den einzelnen Bundesländern etwas unterschiedlich, aber in Nordrhein-Westfalen liegen die bei 150.000 für Rohbau-Aufträge und für sonstige Bauwerke bei 75.000 Euro.

    Das ist nicht sehr viel. Da sind sie ganz schnell drüber, haben dann die Pflicht, wirklich bundesweit auszuschreiben, die entsprechenden Fristen abzuwarten, und hier könnte eine Beschleunigung sein einfach eine Bekanntgabe, dass man es schon bekannt macht, und dann eine freihändige Vergabe.

    Meurer: Insgesamt, Herr Schäfer, wären Sie von der Idee Infrastrukturhilfen begeistert?

    Schäfer: Es ist der richtige Weg. Es ist der richtige Schritt, auch um hinsichtlich der nachlassenden Konjunktur einen zusätzlichen Push zu geben, besser jedenfalls aus unserer Sicht als Steuersenkungen oder Konsumgutscheine.

    Meurer: Roland Schäfer, Oberbürgermeister von Bergkamen und Präsident des Städte- und Gemeindebundes Nordrhein-Westfalen. Danke, Herr Schäfer, und auf Wiederhören.

    Schäfer: Nichts zu danken. Tschüß!