Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Image- und Nachwuchsprobleme
Parteien unter Innovationsdruck

Die Probleme der Parteien sind hausgemacht: Die FDP verliert Wähler, weil sie Wahlkampfthemen nicht bedient, die CDU droht, eine Funktionärspartei zu werden. Die Grünen haben ihren Markenkern - die Umwelt - aus den Augen verloren und die SPD hat es verpasst, den Dialog mit den Bürgern zu suchen.

Von Katharina Hamberger und Stefan Maas | 13.09.2014
    Die Bildkombo vom 20.08.2014 zeigt Großplakate der Parteien (von links oben im Uhrzeigersinn) CDU, Linke, FDP und SPD, die in Thüringen das Bild an den Straßen bestimmen.
    Wahlplakate der Parteien CDU, Linke, FDP und SPD in Thüringen beim Landtagswahlkampf (picture alliance / dpa / Michael Reichel)
    "Begreift ihr das? Ich nicht!"
    Mit Tränen in den Augen ist Holger Zastrow ans Mikrofon getreten. Der Chef der Sachsen-FDP. Die Zahlen am Wahlabend sind eindeutig. 3,8 Prozent. Die Liberalen werden vom Regierungspartner zur außerparlamentarischen Opposition. Wie letztes Jahr im Bund.
    "Wir haben gekämpft wie die Löwen, wir haben alles gemacht, was man machen kann. Mehr geht nicht. Und es hat trotzdem nicht gereicht."
    Alles gemacht. Dazu gehörte auch, auf Distanz zu gehen zur Bundespartei. Denn dort sehen nicht nur die sächsischen Liberalen den Grund für den Abstieg der FDP. Falsches Personal an der Spitze, viele Versprechen, wenige Ergebnisse.
    Doch selbst die Plakate mit der Aufschrift "Sachsen ist nicht Berlin" haben nicht geholfen. Und auch in Thüringen und Brandenburg dürfte es an diesem Sonntag nicht besser laufen. Die Umfragen vor den Wahlen sehen die Partei in beiden Bundesländern konstant unterhalb der Fünf-Prozent-Hürde.
    Stimmt es also doch, was die brandenburgischen Liberalen im Wahlkampf provokativ plakatierten: "Keine Sau braucht die FDP"?
    "Wir sind guter Dinge und arbeiten nicht nur an der Tagespolitik, sondern auch mit großer Motivation an der Wiederaufrichtung der FDP in den nächsten 36 Monaten."
    Hatte Parteichef Christian Lindner nur wenige Wochen vorher bei einer Pressekonferenz in Berlin erklärt. 36 Monate. Solange dauert es noch bis zur nächsten, für die FDP überlebenswichtigen Bundestagswahl. Die drei Ost-Wahlen in diesem Jahr hat die Partei längst verloren gegeben – auch wenn das öffentlich niemand sagen mag. Viele Hoffnungen ruhen auf der Landtagswahl in Baden-Württemberg 2016. Kernland. Dort muss die Wende gelingen. Doch wie?
    Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner sitzt am 06.08.2014 in Erfurt (Thüringen) bei einer Wahlkampfveranstaltung vor einem Wahlplakat der Thüringer FDP auf dem steht: "Wir sind dann mal weg. Genauso wie der Mittelstand"
    Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner vor einem Wahlplakat der Thüringer FDP (2014): "Wir sind dann mal weg. Genauso wie der Mittelstand" (picture alliance / dpa / Martin Schutt)
    Reicht es, sich für neue Bündnisse mit anderen Parteien zu öffnen, wie es gerade diskutiert wird? Angebote zu machen, mit denen man nicht nur die kleine Wählergruppe der Selbstständigen anspricht? Genau wie alle anderen Parteien müssen sich die Liberalen fit machen für die Zukunft - auch innerhalb der Organisation. Für die FDP heißt das auch: Programmatischer Neustart.
    "Also, in ihrem klassischen Potenzial, Marktwirtschaft, progressive Gesellschaftspolitik, da wollen wir uns wieder zurechtfinden, damit die vielen heimatlosen Liberalen wieder sagen, das ist wieder meine Partei."
    Heimatlos - wie Lindner es nennt - sind diese Wähler geworden, weil sie enttäuscht wurden. Weil die FDP ihre Wahlkampfthemen später nicht bedient hat. Und Themen waren für die meisten FDP-Wähler wichtiger als Parteiverbundenheit, hat eine Studie der parteinahen Friedrich-Naumann-Stiftung gezeigt.
    Wähler sind von der FDP enttäuscht
    Die Liberalen sind also beim harten aber kleinen Wählerkern angelangt, der der Partei wirklich verbunden ist. Alle, die die Partei für ihre Steuerversprechen gewählt haben, sind fort. Und nicht nur die, sagt Oskar Niedermayer - Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin.
    "Zum Beispiel hat sie das Alleinstellungsmerkmal gegen den Mindestlohn zu sein, aufgehoben."
    Und auch mit dem Liberalismus werde die liberale Partei nicht mehr assoziiert. Eine Herausforderung, sagt Wolfgang Gerhardt, Vorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung und früher FDP-Chef:
    "Jede Partei braucht eine überzeugende Corporate Identity. Die müssen wir wieder herstellen in der FDP. Das ist der Job im Grunde in den nächsten Monaten. Und dann ist er zu multiplizieren in die Gesellschaft."
    Genau das versuchen die Freiheitlichen jetzt. Im ganz kleinen Format unter dem Titel FDP@home. Bürgernah statt kalt neoliberal. Dafür hat die Partei Anfang des Jahres ihren 3500 Neumitgliedern angeboten, interessierte Freunde einzuladen, um bei sich zu Hause mit einem Vorstandsmitglied oder Mandatsträger zu diskutieren. Etwas mehr Menschen erreichen die Liberalen auf einer ganzen Reihe von Regionalkonferenzen, bei denen Basis und Parteispitze um die Zukunft der Partei ringen sollen. Auch online wurde abgefragt, wo die Liberalen stehen, wofür sie stehen. Bis zum nächsten Parteitag soll es fertig sein, das neue Programm, das die Richtung für die Zukunft weisen soll.
    "Wir müssen viel deutlicher machen, wie wir unser Profil sehen. Bildung, Ökonomie, Innovationsfähigkeit und Zukunftsorientierung."
    Es braucht eine klare Agenda. Aber auch dann stellt sich die Frage: Wie erreichen Parteien die Menschen in Zeiten der Politikverdrossenheit? Wie akquirieren sie Mitglieder, wie sprechen sie Sympathisanten an, die zwar wählen gehen, sich aber nicht klassisch parteipolitisch engagieren?
    Zeit der Politikverdrossenheit
    Dieser Frage geht Hanno Burmester nach. Er ist Leiter eines Gemeinschaftsprojektes des Berliner Think Tanks Progressives Zentrum, der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung und der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung:
    "Also, ich glaube, es gibt tatsächlich die Frage der Organisation. Mit welcher Struktur organisiert sich Partei heute? Funktioniert das primär über den Ortsverein oder können wir da auch andere Mitwirkungs- und Mitentscheidungsprinzipien finden?"
    "Ich glaube, dass Menschen vielleicht keine Lust haben, sich dauerhaft für eine Partei zu engagieren, vielleicht nicht können, weil sie so oft ihren Lebensmittelpunkt wechseln. Aber wenn wir nicht wollen, dass die Parteien zur Ansammlung der Immobilen und Zeitreichen werden, dann muss es eben fließende Beteiligungsmöglichkeiten geben.
    Sagt Johannes Vogel, früher Bundestagsmitglied, heute Generalsekretär der NRW-FDP. Das Internet spiele eine wichtige Rolle für die Beteiligung. Hier könnten sich auch diejenigen engagieren, die sich weder an den Wahlkampfstand stellen möchten noch regelmäßig mit dem Ortsverband tagen.
    Johannes Vogel wünscht sich mehr Bürgerbeteiligung via Web, zwischen den Wahljahren: Mitgliederumfragen zu neuen Themen, zum Beispiel.
    "Das kann natürlich dann nicht so bindend sein wie ein Parteitagsbeschluss, aber es ist ein wichtiges Meinungsbild, was dann wichtig ist für die Meinungsbildung im Vorstand und in der Fraktion."
    Wichtig sei auch, zukünftig nicht mehr so starr zu unterscheiden zwischen Mitgliedern und Nichtmitgliedern. Mit 53 Jahren ist das durchschnittliche FDP-Mitglied zwar etwas jünger als bei SPD, Union und Linken. Wichtig für die Zukunft sind aber die Jüngeren. Und die sind bei Weitem nicht mehr so leicht dafür zu gewinnen, Mitglied zu werden. Deshalb sollten sie trotzdem mitwirken können. Punktuell. Um bei Themen mitzudiskutieren oder bei Personalentscheidungen.
    Vorbild dafür ist der amerikanische Vorwahlkampf, bei dem alle Wähler über die Kandidaten abstimmen können, nicht nur die Parteimitglieder. Die Grünen haben das bei der Europawahl mit ihren Spitzenkandidaten versucht, online. Jeder Europäer ab 16 Jahren durfte mitstimmen. Die Beteiligung war kläglich gering.
    Um zu probieren, ob das in Deutschland funktioniert, sucht die FDP gerade einen passenden Ortsverein. Aber, sagt Johannes Vogel:
    "Den einen Wunderhebel gibt es nicht. Sondern es ist eine Kombination aus sinnvollen Vorschlägen. Es muss klar sein, wir machen eine Evolution, es gibt nicht eine Revolution."
    Julia Klöckner
    Julia Klöckner (dpa / pa / Erichsen)
    Die plant auch bei der CDU niemand. Warum auch? Während die Liberalen ums Überleben kämpfen, befinden sich die Christdemokraten auf einem Hoch. Die Umfragen für die Parteivorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel sind hervorragend, das Bundestagswahlergebnis 2013 war zusammen mit der kleinen Schwester CSU nahe an der absoluten Mehrheit. Und doch muss die Partei über die Zukunft nachdenken, sagt Julia Klöckner, stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende.
    "Reformen sind immer dann angebracht, wenn man sieht, dass sich einiges verändert. Und dann ist es gut, wenn man eine Reform aus einer Situation der Stärke heraus tut."
    "Ich bin der Meinung, das ist durchaus auch hart erarbeitet gewesen, das ist kein Zufall gewesen. Aber es ist alles - nur keine Garantie, dass es sich wiederholt. Und wenn man das gerne wiederholen möchte, dann muss man sich kritisch fragen, sind wir dafür gut genug aufgestellt?"
    Sagt Peter Tauber, 40 Jahre alt, ist seit Anfang dieses Jahres Generalsekretär der CDU. Im Moment ist die Kanzlerin das Zugpferd für die Partei. Aber auch sie wird nicht ewig CDU-Vorsitzende und Regierungschefin bleiben können. Hinzu kommt: Auf Bundesebene geht es der CDU gut. Aber in den Ländern sieht die Situation anders aus. Nur noch Hessen, das Saarland, Sachsen und Thüringen werden von ihr regiert. Mit den Großstädten ist es ähnlich. Kaum noch eine ist in christdemokratischer Hand.
    "Und deswegen hat das Präsidium heute eine Kommission zur Reform der Parteiarbeit eingesetzt, die ich leiten werde. Wir werden uns also mit der Frage beschäftigen, was muss die CDU tun, um in Zukunft Mitgliederpartei zu sein und nicht Funktionärspartei zu werden."
    Verkündete Tauber am 23. Juni dieses Jahres. Die Gefahr der Funktionärspartei besteht aus der Sicht von Hanno Burmester vom Progressiven Zentrum tatsächlich:
    "Weil Partei heute vor allem darüber gemacht wird, dass extrem wenige Leute extrem viel Zeit aufwenden. Das darf im Umkehrschluss aber nicht dazu führen, dass Leute, die weniger Zeit aufwenden in Parteien, keine Mitmachmöglichkeiten haben, sprich diejenigen, die sich voll einbringen, die dann auch die Ämter haben, das sind dann die sogenannten Funktionäre, die haben schon den größten Gestaltungsspielraum und sicher auch die größte Entscheidungshoheit momentan."
    Reform der CDU: Mehr Frauen, junge Leute und Zuwanderer in die Partei
    Bei der CDU ist der erste Schritt gewesen, die Ausgangslage zu analysieren. Zwei Dinge sind auffällig. Erstens: Die Mitglieder repräsentieren nicht die Wählerschaft. Die Partei will deshalb neue, potenzielle Mitglieder ansprechen. Peter Tauber:
    "Also mehr Frauen, mehr junge Leute, mehr Zuwanderer in die CDU. Das sind ja die drei Hauptbaustellen, die wir immer wieder beschrieben haben. Und da können wir in der Tat noch besser werden."
    In einem Wasserglass stecken zwei kleine Deutschland- und zwei kleine CDU-Flaggen
    CDU-Generalsekretär Peter Tauber will seine Partei reformieren. (dpa / Marius Becker)
    Neue Mitglieder sind auch aus einem ganz anderen Grund wichtig:
    "Wir haben viele Eintritte, das ist erfreulich. Aber nichts desto trotz haben wir einen demografischen Wandel und dass gerade die mitgliedstarken Jahrgänge natürlich älter werden und irgendwann auch sterben werden, und auch das müssen wir irgendwie im Blick haben und jetzt schon gegensteuern."
    Um diesem Schwund entgegenzutreten will sich die CDU mit den gesellschaftlichen Herausforderungen auseinandersetzen. Neben Taubers Kommission zur Reform der Partei gibt es deshalb drei Kommissionen, die sich mit Inhalten beschäftigen. Zudem hat die CDU nun einen Großstadtbeauftragten. Die zweite Herausforderung sieht auch Tauber in der Organisation der Partei.
    "Wir müssen halt nur zeigen, dass man auch mitmachen kann, wenn man will. Die Leute wollen 'nen leichten Zugang haben und sich's anschauen können. Da können wir auch noch besser werden."
    So soll es zum Beispiel eine Familienmitgliedschaft geben. Wenn also zum Beispiel ein Ehepaar eintritt, zahlt der eine Partner weniger. Und der gute alte Ortsverein? Hanno Burmester vom Progressiven Zentrum hält ihn für nicht mehr zeitgemäß. Früher sei man noch dort hingegangen, um Informationen aus erster Hand zu erhalten.
    "Das ist heute ein bisschen unnötig geworden. Man kann sich woanders schneller informieren. Zum Beispiel in Echtzeit übers Netz. Sprich, die Informationsmöglichkeiten des Ortsvereins, die ist unnötig geworden, aber sie ist nie wirklich ersetzt worden durch eine andere Funktion."
    So weit will die CDU nicht gehen. Der Ortsverein soll bleiben. Zugleich soll es aber weitere Formate geben. Mehr persönliche Gespräche, Online-Foren, Videochats usw. plant Peter Tauber. Auch über mehr direkte Demokratie wollen die Christdemokraten nachdenken.
    Der Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer warnt die CDU davor, im ganzen Reformprozess die Stammklientel zu vernachlässigen:
    "Wenn man da zu sehr darauf eingeht und sich zu sehr als neue hippe Großstadtpartei definieren will, dann verliert man auf der anderen Seite eben die älteren, die Konservativen. Die sind quantitativ deutlich stärker. Das darf man nicht vergessen. Die Union hat ihre Wahlergebnisse vor allem erreicht durch die starke Stellung bei den Älteren. Und wenn sie diese Älteren vergrault durch ein neues Image, dann wird es gefährlich."
    In dieser Gefahr sieht sich die CDU nicht. Der Lücke, oder englisch, des Gap zwischen Alt und Jung ist man sich bewusst. Peter Tauber:
    "Die CDU lebt ja davon, dass sie das Gap hat, wenn sie Volkspartei sein will. Sie muss nur einen Modus Vivendi finden, dass am Ende des Tages einer Diskussion trotzdem der von der Jungen Union noch loszieht und zusammen mit dem von der Seniorenunion ein Plakat aufhängt. Erst wenn die das nicht mehr Zusammenmachen, haben wir erst ein Problem. Dass es den Gap in der Debatte gibt, ist sozusagen systemimmanent, das wird auch so bleiben.
    Nun im Herbst macht Peter Tauber den Anfang, er reist durchs Land, um zu erfahren, was die Mitglieder überhaupt bewegt. Ein gutes Jahr will er sich dafür Zeit lassen. Danach erst kommt der eigentliche Reformprozess. Wobei am Ende keine neue Partei herauskommen soll, sondern vielmehr eine Art CDU 2.0, gewappnet für eine Post-Merkel-Ära, mit mehr Gewicht auf Inhalten als auf Personen.
    Dass "Mehr Inhalt" aber nicht automatisch ein Rezept für den Erfolg ist, haben die Grünen Bitter erfahren müssen. Sie haben bei der Bundestagswahl im vergangenen Jahr zwar mit der Urwahl der Spitzenkandidaten neue Maßstäbe im Bereich der Mitgliederbeteiligung gesetzt.
    Was bei den Grünen schief lief
    Doch im Fokus der Aufmerksamkeit standen - die Inhalte:
    "Ich glaube, wir waren zu sehr Taschenrechner und zu wenig aufgekrempelte Hemdsärmel in der Anmutung. Also, zu viele Details."
    Sagt Michael Kellner, der politische Bundesgeschäftsführer der Grünen Partei selbstkritisch auf die Frage, was denn schiefgelaufen sei bei der letzten Bundestagswahl.
    8,4 Prozent der Stimmen. Eigentlich ein sehr ordentliches Ergebnis. Und doch - nach 10,7 Prozent 2009 und den Umfrage-Hochs nach der Atomkatastrophe in Fukushima, die in Baden-Württemberg sogar den ersten Grünen Ministerpräsidenten ins Amt brachte, war das Ergebnis ein Schock.
    "Das war ihr eigener Fehler bei der Bundestagswahl. Stichwort Veggieday und anderes", sagt der Politologe Oskar Niedermayer. Das andere, das war die Konzentration auf das Thema Steuern im Wahlkampf.
    "Also, das Steuerthema war ein ganz großer Fehler, weil man versucht hat, kurz vor den Wahlen den eigenen Markenkern zu erweitern. Der eigene Markenkern ist Umweltpolitik. Da haben die Leute den Eindruck, das ist bei den Grünen am besten aufgehoben."
    Der Markenkern aber geriet fast in Vergessenheit. Sich neu zu erfinden, ist also auch nicht immer ein empfehlenswertes Rezept. Was vom Wahlkampf blieb, war das Image der Verbotspartei. Der Partei, die den Leuten nicht nur in die Tasche greifen wollte, sondern ihnen auch noch vorschreiben, wie sie zu leben haben.Kommende Woche trifft sich die Bundestagsfraktion deshalb zum Freiheitskongress. Und auch beim Parteitag im November wird es um einen neuen grünen Freiheitsbegriff gehen.
    "Wir wollen auch nicht die Probleme unter den Teppich kehren. Ökologie und Freiheit, da gibt es ein Spannungsverhältnis."
    Erklärte Parteichef Cem Özdemir nach einer Vorstandsklausur.
    "Umwelt braucht Grenzen, damit sie geschützt wird."
    Freiheit mit Regeln. Und natürlich: Die Energiewende. Wie macht man deutlich, dass es dabei um mehr geht als nur die Höhe der Strompreise? Darüber wird in der Partei in diesem und im kommenden Jahr diskutiert. Die Instrumente sind längst erprobt: Mitgliederversammlungen. Online. Parteitag. Das Ziel: Dauerhaft zweistellig. Die potentiellen Wähler dafür sitzen in den großen Städten, aber längst auch auf dem Land.
    "Unsere Zielgruppe ist natürlich ganz stark Frauen, jüngere Menschen. Und wir arbeiten daran, dass wir auch Wählerinnen und Wähler bei den über 60-Jährigen weiter ausbauen können."
    Mit den Menschen in den Dialog treten
    Um ein zweistelliges Wahlergebnis macht sich die Volkspartei SPD zwar in weiten Teilen Deutschlands noch keine Sorgen. Aber eben - noch. Und deshalb sucht auch sie nach Wegen, um ihre Zielgruppe anzusprechen. Nicht zwingend neue Wähler, sondern vielmehr die alten. 151 Jahre hat die Partei nun auf dem Buckel. Aber in den vergangenen Jahren ist eben etwas auf der Strecke geblieben.
    "Damit es uns noch lange gibt, müssen wir ein Erfolgsrezept verfolgen, das uns auch stark gemacht hat. Nämlich im Gespräch mit den Menschen zu bleiben und unseren Blick auf ihre Lebensträume und Interessen auszurichten.
    Sagt die Generalsekretärin der SPD, Yasmin Fahimi. Die SPD muss feststellen: Sie ist schon längst nicht mehr die Arbeiterpartei, die bei den Menschen ist. Nun soll der Sozialdemokrat wieder der Genosse aus der Nachbarschaft werden. Nur die Voraussetzungen sind andere als früher:
    "Was sich aus unserer Sicht geändert hat, ist: Es gibt eben nicht mehr zwei Formen der Nachbarschaft, sondern es gibt ganz viele. Es gibt nicht nur den ländlichen Raum und es gibt nicht nur den städtischen, sondern es gibt ganz unterschiedliche Strukturen, es gibt ganz unterschiedliche Milieus, ganz unterschiedliche Lebensentwürfe."
    Gleichzeitig, sagt Fahimi, sei es nicht mehr so einfach, mit der Politik die Menschen noch zu erreichen. Das Leben eines jeden einzelnen sei oft zu komplex, um sich mit großen politischen Themen auseinanderzusetzen. Deshalb wollen die Sozialdemokraten jetzt raus aus dem Raumschiff Politik - wieder näher zu den Menschen:
    "Wir wollen unsere Arbeit vor Ort stärken. Mit der Nachbarschaftskampagne, mit der wir vor Ort gehen und die Gespräche, die Dialoge vor Ort von unseren ehrenamtlichen Parteimitgliedern stärken wollen. Und zwar insofern, dass sie sich darauf konzentrieren können in diese Gespräche zu gehen und ihnen die Instrumente, die Analysen, die Formate, die sich bereits bewährt haben in Wahlkämpfen und anderen Orten für sie quasi aufgearbeitet zur Verfügung zu stellen."
    SPD-Chef Sigmar Gebriel nach dem Treffen mit den Betriebsräten der Rüstungsindustrie
    SPD-Chef Sigmar Gebriel nach dem Treffen mit den Betriebsräten der Rüstungsindustrie (dpa / picture-alliance / Stephanie Pilick)
    Modellprojekte sollen in Kürze starten. Aber die Sozialdemokraten setzen nicht nur auf die Arbeit vor Ort.
    "Wir wollen als SPD die Beteiligungsangebote für unsere Mitglieder ausbauen."
    Erste Erfahrungen hat die SPD bereits im Dezember vergangenen Jahres gemacht. Sie hat ihre Mitglieder darüber abstimmen lassen, ob die SPD den Koalitionsvertrag mit CDU und CSU unterschreiben soll. Die damalige Schatzmeisterin der SPD und heutige Umweltministerin Barbara Hendricks nach der Auszählung der Stimmzettel:
    "Also, ich wiederhole 369 680 haben ihre Abstimmungsunterlagen zurückgesandt. Das entspricht einer Beteiligungsquote von 77,86 Prozent."
    Ein Ergebnis, das vor allem im Jahr des 150. Geburtstages der SPD erst einmal für einen Höhenflug sorgt. Parteichef Sigmar Gabriel:
    "Eine lebendige deutsche Sozialdemokratie hat gezeigt, wir sind nicht nur die älteste, wir sind auch die modernste Partei in Deutschland. Wir sind die Beteiligungspartei in Deutschland."
    Dieser Ausspruch ist wohl der Euphorie des Tages zuzuschreiben. Denn so weit ist es noch nicht. Generalsekretärin Fahimi weiß, das war erst der Anfang.
    Die Parteien in Deutschland verspüren einen Druck sich zu verändern. Das alles aber, nachdem schon seit Jahrzehnten über notwendige Reformen gesprochen wird. Nun wandeln sich die gesellschaftlichen Strukturen offenbar so unübersehbar, dass die Parteien versuchen sich anzupassen, um nicht vom Wandel geschluckt zu werden, sondern ihn mitgestalten. Je nach aktueller Position und Stärke mit unterschiedlicher Geschwindigkeit. Allen gemein ist aber: Es ist eine Reise ins Unbekannte. Denn schon die veränderte Parteienlandschaft zeigt: Es ist nicht vorhersehbar, ob Parteien in 20 oder 30 Jahren in der heutigen Rolle und Organisation noch gebraucht werden.