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Imm Cologne 2019
Plüschige Moderne mit schwerem Samt

Kerzenlicht, Samt, Cord und organische Formen: Die 1940er- bis 60er-Jahre feiern auf der diesjährigen Möbelmesse ein Comeback. Stilistisch lebt die gute, alte Zeit auf, technisch ist man auf dem neuesten Stand. Der digital vernetzte Mensch sehnt sich zu Hause nach Wärme und Gemütlichkeit.

Von Ana Suhr | 17.01.2019
    Ein grünes Samtsofa und ein brauner Samtsessel, beide schlicht in der Form, stehen um einen runden, hellen Flokati-Teppich, auf dem zwei minimalistische schwarze Metall-Tischchen stehen
    Plüschige Atmosphäre: Samtsessel und Flokati-Teppich auf der Möbelmesse 2019 (imago/Rech)
    In Zeiten von Wohnungsmangel und Platznot reden Experten regelmäßig von der Notwendigkeit zur Beschränkung. Minimalismus und angepasste, individualisierte Wohnkonzepte sind Schlagworte, die auch auf der Möbelmesse überall zu hören sind. Möbel müssten in diesen Zeiten mobil, multifunktional und möglichst auch smart sein, der Endkunde wünsche es so, heißt es.
    Warum aber zeigen die meisten Aussteller dann Wohnräume, die stilistisch zurückblicken und die mit ihren ausufernden Sitzlandschaften in jeden 60er-Jahre Bungalow passen, aber in kaum eine Stadtwohnung von heute? Offensichtlich ist diese Sehnsucht nach der "guten, alten Zeit" ein Zeichen wachsender Verunsicherung durch zu viel und zu schnellen Wandel in unserer Gesellschaft.
    Dramatische Gesamtwirkung der Räume
    Auch Ursula Geismann vom Verband der deutschen Möbelindustrie hat diesen Widerspruch schon ausgemacht. Sie stellt in einem Vortrag die wichtigsten Ergebnisse der aktuellen Studie "Wohnen in Deutschland" vor.
    "Von der Formsprache erleben wir hier auf der imm ganz deutlich das Thema Mid-Century Design, also Möbel aus den 1940er bis 60er-Jahren, die uns an die Formsprache aus der Zeit erinnern. "
    Stillstand im Schöner-Wohnen-Sektor? Nicht ganz. Denn etwas hat sich erstmals seit letztem Winter doch verändert und ist auf der diesjährigen Kölner Möbelmesse nicht zu übersehen: Die Moderne ist plüschiger geworden, dunkler und schwerer. Das liegt an Materialien wie Samt, schwarzem Marmor, Rauchglas und dunklen Hölzern, aber auch an den gesättigten sogenannten Edelsteinfarben wie Saphirblau, Petrol, Smaragdgrün oder Rubinrot. Alle diese Farben werden mit warmen Metallen wie Gold und Messing kombiniert. Barock anmutende, große Blumenmuster auf schwarzem Grund steigern die dramatische Gesamtwirkung der Räume.
    Häusliche Behaglichkeit versus schnelllebige Arbeitswelt
    Das ist er, der eine große Trend, der in diesem Jahr alle anderen Stilrichtungen und Strömungen verdrängt. Stilistisch mit Volldampf in die Vergangenheit, technisch aber bitte angepasst ans 21. Jahrhundert.
    "Wir sehen eine Retro-Welle aus den 1970er-Jahren, Orange kommt zurück, überhaupt knalligere Farben, eine organische Formensprache und beispielsweise bei Polstermöbeln auch modulare Elemente, wie die älteren von uns ja aus den 70ern kennen, mit dem Bezugsstoff Cord."
    Vielleicht löst der Cordstoff ja auch irgendwann mal den allgegenwärtigen Samt ab. An dem kommt man dieses Jahr auf der imm nämlich einfach nicht vorbei. Samt. Überall Samt. Auf Stühlen, Sesseln, Sofas und Sitzsäcken sowie an Bettgestellen. Sogar vor Bürostühlen macht der weiche Stoff keinen Halt. Das Material ist sanft und flauschig. Der damit zum Ausdruck gewordene Wunsch nach häuslicher Behaglichkeit steht im krassen Gegensatz zur schnelllebigen Arbeits- und Berufswelt.
    "Die Menschen sind ein bisschen gespalten. Es gibt auf der einen Seite das Grauenland, das draußen ist, das irgendwie komisch ist, das digital ist, und darum will man es sich zuhause gemütlich machen mit authentischen Materialien, mit Holz, mit echtem Kerzenlicht, mit Flokati, mit Fell. Und gleichzeitig sitzt man und hat dieses Tablet in der Hand, holt sich Informationen oder kommuniziert. Man ist so ein bisschen, als wäre das Seelenleben noch nicht in dieser digitalen Welt angekommen, und das habe ich mal digitaler Neandertaler genannt."
    Wohnfarbe des Jahres - Korallenrot
    Wenn sich der digitale Neandertaler dann doch irgendwann mal wieder vor seine Höhle trauen wird, dann haben vielleicht auch wieder helle Hölzer eine Chance. Ab und zu kann man sie schon bei Stühlen oder Beistelltischen wieder sehen. Das neue Orange hingegen wagt sich noch nicht so ganz ans Licht. Auch Living Coral ist bislang selten, obwohl der bei uns als Korallenrot bekannte Ton die Wohnfarbe des Jahres 2019. Aber richtig durchgesetzt hat er sich noch nicht. Nur ganz vereinzelt ist Korallenrot auf der Möbelmesse zu sehen – als Samtbezug auf Retrosesseln.