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Immer locker in den Knien

Die Brandung an der französischen Atlantikküste eignet sich bestens zum Wellenreiten. Deshalb möchte eine Kursteilnehmerin lernen, wie man sie bezwingt. Aber aller Anfang ist schwer und zusätzlich machen auch noch Quallen das Wasser unsicher.

Von Kerstin Ruskowski | 07.10.2012
    In einem Ganzkörper-Neoprenanzug kniet Kristina im feinen weißen Sand am Strand des Örtchens Messanges. Neben ihr hocken im Halbkreis die anderen Teilnehmer ihrer ersten Surfstunde: drei französische Brüder zwischen sechs und elf Jahren und eine ungefähr neunjährige Engländerin.

    Brett Davies arbeitet schon seit Jahren als Surflehrer in Frankreich und Ghana, wo er demnächst eine eigene Surfschule eröffnet. Ursprünglich kommt er aus Cornwall. Dort hat er vor 30 Jahren mit dem Surfen angefangen. Vom Gesicht des 37-Jährigen ist nicht viel zu sehen: Er hat sich vom Haaransatz bis unter die Nasenflügel mit Sunblocker eingecremt und trägt eine große schwarze Plastiksonnenbrille. Zunächst erklärt er, wie die einzelnen Teile des Surfbretts heißen. Dann geht es um die richtige Liegeposition. Aber vor allem eines ist wichtig zu wissen, bevor man das erste Mal mit dem Surfbrett ins Wasser geht - besonders am Atlantik, wo die Wellen nicht selten mehrere Meter hoch sind.

    "Surfen ist ein extremer Sport. Und extreme Sportarten bringen Gefahren mit sich. Also trennt ihr euch im Wasser. Vielleicht kommt das Brett und trifft euch und dann möchte ich, dass ihr etwas macht, um euch zu schützen: Wenn ihr fallt, müsst ihr euer Gesicht schützen - so."

    Brett hält beide Unterarme vor sein Gesicht.

    "Besser das Brett trifft euch hier, als in euer Auge. Ok?"

    Brett klopft auf seinen Unterarm. Kristina nickt. Aber es gibt noch eine andere, natürliche Gefahr, vor der Brett seine Surfschüler warnen möchte. Mit dem Zeigefinger malt er eine Qualle in den Sand - mit den Mundwinkeln nach unten.

    "Ok, ich bin ein Surflehrer, kein Künstler. Das ist eine Qualle. Eine Qualle, genau. Eine zornige Qualle. Ich glaube nicht, dass wir heute welche sehen. Ich habe seit drei Wochen keine gesehen. Aber es kann sein, dass ihr welche seht. Dann sagt mir Bescheid, wir gehen raus und woanders hin. Aber ich glaube nicht, dass wir heute welche sehen werden."

    Und noch eine Sache ist wichtig - insbesondere an der französischen Atlantikküste: die Strömung. Denn die kann ganz schön gefährlich werden. Deswegen sollte man sie immer im Auge behalten, um notfalls rechtzeitig zum Strand zurückschwimmen zu können.

    Dann geht es das erste Mal ins Wasser. Brett möchte, dass Kristina und die anderen erst einmal ein Gefühl für das Surfbrett bekommen. Aufstehen sollen sie noch nicht, sondern sich erst einmal auf das Brett legen und von der Welle tragen lassen.

    Kristina hat vor allem Probleme mit der Größe des Surfbretts. Denn das ist so breit, dass es gar nicht so einfach ist, es sich unter den Arm zu klemmen.

    "Irgendwie sind meine Arme zu kurz, um dieses Ding zu tragen."

    Nach wenigen Minuten im Wasser ruft Brett Kristina zu sich, um noch einmal zu erklären, wie sie das Brett positionieren muss, um sich von der Welle tragen zu lassen.

    Wenn jemand sich zu sehr von der Strömung mitreißen lässt, pfeift Brett und zeigt mit den Armen an, in welche Richtung er sich bewegen soll.

    Wachsamkeit ist die wichtigste Aufgabe für Surflehrer an der französischen Atlantikküste. Denn zu der teils sehr starken Strömung kommt erschwerend hinzu, dass das Wasser in der Hochsaison einfach sehr voll ist. Deswegen hat jede Gruppe farbige Leibchen an. So können die Surflehrer auf einen Blick sehen, wer zu ihrer Gruppe gehört. Die mit den gelben Leibchen gehören zu Brett.

    Nach etwa 20 Minuten im Wasser müssen Kristina und die anderen wieder an den Strand. Denn jetzt folgt die wichtigste Lektion überhaupt.

    "Jetzt zeige ich euch die richtige Technik zum Aufstehen, ok? Wenn das zu schwer ist hab ich andere Techniken. Aber ich fang mit der richtigen Technik an, ok?"

    Brett legt sich der Länge nach auf das Surfbrett im Sand, die Füße gerade noch über dem Tail, dem hintersten Teil des Bretts. Dann fängt er an, mit beiden Armen in der Luft zu paddeln.

    "Ihr müsst dabei eure Hände und Arme benutzen. So. Nicht so. So kommt ihr nicht weit."

    Beim Paddeln ist es wichtig, kräftige Kraulbewegungen zu machen und die flache geschlossene Hand im Wasser so weit wie möglich durchzuziehen, um mit wenigen Zügen möglichst viel Antrieb zu bekommen.

    "Ihr paddelt. Wenn die Welle auf das Ende des Bretts trifft, noch zwei Züge und dann steht ihr auf. Das nennt man Popup."

    In der Theorie hört sich das gar nicht so kompliziert an. Und auch die ersten Versuche im Sand meistern Kristina und die anderen Anfänger ganz gut. Doch im Wasser ist die Situation eine völlig andere: Das Brett ist viel instabiler - schließlich ist Wasser lange nicht so hart wie Sand.
    Und so ist Kristina am Ende ihrer ersten Surfstunde nicht nur ziemlich erschöpft, sondern auch einigermaßen frustriert:

    "Das hat überhaupt nicht geklappt. Ich bin liegen geblieben (lacht) beziehungsweise runtergefallen. Woah, ich kann das Ding überhaupt nicht mehr... Ich hab das Gefühl, ich hab überhaupt keine Kraft mehr. Oh. Bin ich froh, dass jetzt erstmal Feierabend ist für heute."

    Kristina lässt das Board in den Sand fallen und schüttelt ihre Arme aus. Um sich im Wasser vom Brett abzudrücken und möglichst ohne Zuhilfenahme der Knie aufzustehen, braucht es eine Menge Muskelkraft. Die haben aber die wenigsten Surfanfänger, sagt Brett.

    "Surfen ist kein einfacher Sport. Ok? Also seid nicht frustriert, wenn Ihr nicht aufstehen könnt. Ich unterrichte eine Menge Leute, denen es am ersten Tag nicht gelingt aufzustehen. Es ist ein sehr anspruchsvoller Sport und man muss körperlich sehr fit sein."

    Auch an den folgenden Tagen will es mit dem Aufstehen nicht so richtig klappen. Kristina ist sich nicht mehr so sicher, ob das mit dem Surfkurs so eine gute Idee war.

    "Es ist halt einfach, dass ich denke: Ey, wo ist da der Punkt, warum soll ich das überhaupt weitermachen mit dem Surfen? Das ist nicht so, dass ich denke: Mir fehlt einfach das Durchhaltevermögen, das ist vielmehr so, dass ich denke: Das hat doch alles keinen Sinn. Warum willst du dir für fünf Tage vornehmen, Surfen zu lernen? Das geht einfach nicht in so kurzer Zeit."

    Das Problem sind auch die mangelnden Erfolgserlebnisse: Nachdem die Wellen am ersten und zweiten Tag recht klein und kraftlos waren, muss sich Kristina am dritten und vierten Tag ganz schön umstellen. Mit zwei bis drei Metern sind die Wellen für Anfänger schon sehr hoch - und vor allem kräftig. Doch Kristina hat keine Angst. Auch ihre Sorgen, dass das mit dem Surfen generell eine blöde Idee war, hat sie vergessen. Stattdessen ist sie vollkommen beeindruckt von den Naturgewalten.

    "Und man hat nur diese gigantisch großen Wellen gesehen, wo ich dann schon dachte: Die sagen bestimmt die Surfstunde ab und hatte dann Schiss und dachte, das geht doch bestimmt voll in die Hose heute, das klappt gar nicht. Aber es war ganz im Gegenteil. Ich fands großartig. Das war echt gigantisch das Meer immer wieder auf uns zugeklatscht hat und allein, diese Kulisse zu sehen, war der absolute Wahnsinn. Das hat so wahnsinnig viel Spaß gemacht. Auch wenn es natürlich heute wieder - allein schon aufgrund der Wetterlage - nicht richtig funktioniert hat, fand ich das heute großartig. Und die Stunde ist so wahnsinnig schnell umgegangen. Das hat mich heute echt n bisschen erstaunt, dass mir das so viel Spaß gemacht hat."

    Auch Brett wundert sich, dass Kristina bei so schwierigen Wellen und so grauem Himmel so viel Lust aufs Surfen hat. Aber er sieht vor allem, dass sich allmählich was tut.

    "Sie macht definitiv Fortschritte. Gestern hat sie gesagt, war ihr bester Tag, obwohl die Wellen etwa zweieinhalb Meter hoch waren und die Strömung viel stärker war. Aber sie hat es genoss da draußen zu sein und mit den Elementen zu spielen. Gestern war es nicht leicht, weiter zu kommen, aber heute kann ich auf jeden Fall einen Fortschritt erkennen."

    Am letzten Kurstag klappt es dann auch mit dem Aufstehen - zumindest für wenige Sekunden, auch wenn keine Zeit bleibt, im Stehen die richtige Position auf dem Brett zu finden. Doch Kristina ist zufrieden - und gar nicht mehr frustriert.

    ""Also, wenn ich jetzt Montag zu Freitag vergleiche, würde ich schon sagen, dass ich mich gewaltig gesteigert habe - auch wenn eine coole Surferhaltung was ganz anderes ist. Also, wenn sich die Möglichkeit ergibt, in irgendeinem nächsten Sommerurlaub, würd ich das auf jeden Fall auch nochmal machen. Macht Spaß!""