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"Immer noch das stärkste Pferd im Stall"

Guido Westerwelle stellt in den Augen seines Biografen Majid Sattar, Journalist bei der "FAZ", den Prototyp einer neuen Politiker-Generation dar. Für den Außenminister und FDP-Vorsitzenden sei Politik die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung.

Majid Sattar im Gespräch mit Friedbert Meurer | 16.03.2010
    Friedbert Meurer: Wenn man die letzten Jahre hierzulande einmal Revue passieren lässt und die Frage stellt, wer treibt die deutsche Politik an, dann war die Antwort darauf zuletzt nicht mehr Gerhard Schröder, oder jetzt Angela Merkel, sondern Oskar Lafontaine. Er trug zum Erfolg der Linken bei und er hat damit das deutsche Parteiensystem regelrecht erschüttert. Lafontaine hat seine Mission erfüllt, er zieht sich nach Saarbrücken ins Saarland zurück. Jetzt heißt der neue Antreiber womöglich Guido Westerwelle.

    Guido Westerwelle stellt in den Augen seines Biografen Majid Sattar, Journalist bei der "FAZ", den Prototyp einer neuen Politiker-Generation dar. Für den Außenminister und FDP-Vorsitzenden stünde nicht mehr der gesellschaftspolitische Antrieb im Vordergrund, sondern Politik sei für ihn die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung.

    O-Ton Guido Westerwelle: The published opinion is not always the public opinion. That's english! – Oder, um es auf Deutsch zu sagen: Ihr kauft mir den Schneid nicht ab. Das verspreche ich euch!"

    Meurer: Der Außenminister und FDP-Vorsitzende letztes Wochenende auf dem Landesparteitag der FDP Nordrhein-Westfalen in Siegen. – Einige sehen Westerwelle schon als Pim Fortuyn der deutschen Politik, also als jemand, der dem Establishment das Fürchten lehren will.
    Majid Sattar ist Journalist der "FAZ" und hat eine Biografie letztes Jahr über eben Guido Westerwelle geschrieben. Guten Morgen, Herr Sattar.

    Majid Sattar: Guten Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: Worin besteht denn der Schneid von Guido Westerwelle?

    Sattar: Ich glaube, das war eine Wunde, die tief saß aus der Zeit nach der Bundestagswahl, als er sich vorgeführt fühlte und die Nation darüber diskutierte, wie großartig seine Fremdsprachenkenntnisse sind. Es war ihm ein Anliegen, darauf hinzuweisen, dass er inzwischen doch durchaus in der Lage ist, Englisch zu sprechen.

    Meurer: Das heißt, Westerwelle ist weniger schneidig, als er im Moment auftritt?

    Sattar: Na ja, er hat zumindest gezeigt, dass ihn das verletzt hat. Wie gesagt, es war ihm sehr wichtig, das rüberzubringen.

    Meurer: Was überwiegt Ihrer Ansicht nach in seinem Charakter, die Verletzlichkeit, oder – ich verwende jetzt noch mal diesen Ausdruck – den Schneid, die deutsche Politik zu verändern?

    Sattar: Na ja, wenn man die Debatten der letzten Wochen sieht, beginnend mit der Hartz-IV-Debatte im Februar, dann kann man ja – und das wurde ja auch so diskutiert – vermuten, die FDP verfolge da eine langfristige Strategie, wolle eine populistische Partei werden. Ich glaube, sie ist eher da von der Angst getrieben gewesen. Mit Blick auf die Umfragewerte in Nordrhein-Westfalen wollte sie die Notbremse ziehen und hat eine sehr populistische Debatte losgetreten, wohl wissend, dass sie damit aber genau die Gefühlslage einer bestimmten Protestwählergruppe anspricht und sich insofern Mobilisierung für die NRW-Wahl erhofft.

    Meurer: Wohl wissend auch Antreiber dieser ganzen Debatte war ja nun mal Guido Westerwelle gewesen. Ist ihm klar gewesen, dass er damit wieder ein altes Image heraufbeschwört, das boshafterweise als Polit-Clown einmal bezeichnet worden ist?

    Sattar: Ja, das ist ihm sicher klar gewesen. Er hat das in Kauf genommen. Er hat auch in Kauf genommen, dass er in der Beliebtheitsskala wieder absinken wird. Das ist sozusagen der kurzfristige Nutzen, den er aus einer solchen Debatte zieht, und langfristig will er sicherlich trotzdem die Beliebtheitswerte eines Hans-Dietrich Genschers erreichen. Aber das ist erst mal vertagt, das Thema.

    Meurer: Das ist ziemlich weit vertagt. – Was hat ein Guido Westerwelle mit jemandem wie Hans-Dietrich Genscher, oder dem verstorbenen Otto Graf Lambsdorff, oder den anderen Mitgliedern der ehemaligen FDP-Garde gemeinsam?

    Sattar: Na ja, er beruft sich oft auf beide. In der Außenpolitik, etwa in der Abrüstungspolitik, beruft er sich immer wieder auf Hans-Dietrich Genscher und nennt ihn seinen großen Förderer, was so nicht stimmt. Genscher hat lange an ihm gezweifelt. Wer ihn eher gefördert hat, ist der verstorbene Otto Graf Lambsdorff, auf den er sich in wirtschaftspolitischen Fragen beruft.

    Meurer: Und worin bestanden die Zweifel von Hans-Dietrich Genscher?

    Sattar: Die rührten aus der Zeit in den 90er-Jahren, als Guido Westerwelle doch ein sehr schrilles Auftreten hatte und Genscher ihm nicht öffentlich unterstellte, er könne es nicht.

    Meurer: Das schrille Auftreten, nehmen daran noch Parteifreunde Anstoß? Was meinen Sie?

    Sattar: Na ja, es gibt momentan in der Partei schon eine gewisse Unruhe, was die Debatten der jüngsten Wochen, der letzten Wochen anbelangt. In den eher bürgerlichen Kreisen der Partei fand man weder die populistische Debatte um Hartz IV besonders toll, noch fand man die Begleitmusik zur Südamerika-Reise und die Zusammenstellung seiner Reisebegleitung besonders erquicklich. Aber es ist sicherlich nicht so, dass es inzwischen eine Stimmung gibt: Guido muss weg. Das wurde ja auch schon geschrieben, nach dem Motto, wenn die Wahl in Düsseldorf daneben geht, gibt es eine Diskussion, ob die Partei einen neuen Parteivorsitzenden braucht. Daran glaube ich nicht. Die Partei weiß auch, dass er immer noch das stärkste Pferd im Stall ist.

    Meurer: In Ihrer Biografie über Guido Westerwelle, Herr Sattar, sprechen Sie von der "Generation Ich", die sozusagen in der deutschen Politik das Kommando übernommen habe. Was meinen Sie damit?

    Sattar: Er gehört – und das unterscheidet ihn halt von der Generation der Politiker Lambsdorff und Genscher – einer Generation an und ist in meinen Augen Prototyp dieser Generation, die Politik nicht mehr aus einem gesellschaftspolitischen Antrieb heraus machen möchte, sondern Politik als Möglichkeit zur Selbstverwirklichung empfindet. Man merkt das auch an seiner Sprache, wie er auftritt auf Parteitagen. Ein schönes Zitat von ihm ist ja dieses berühmte Wort, "Hier steht die Freiheitsstatue dieser Republik", und er zeigt dabei auf sich. Er meint also sich selbst und nicht die politische Bewegung, die er verkörpert. Er ist schon ein sehr ichbezogener Mensch.

    Meurer: Klingt ziemlich negativ?

    Sattar: Ja. Das kann man so sehen, aber im Grunde genommen ist er nur Verkörperung einer neuen Politikergeneration. Ich glaube, da unterscheidet ihn wenig von einem Sigmar Gabriel zum Beispiel.

    Meurer: Ist das der Geist der Zeit, weil die großen Ideologien, weil die Zeit der Ideologien eben vorbei ist?

    Sattar: Genau, das ersetzt das sicherlich. Die großen Entwürfe und die großen Visionen, die gibt es nicht mehr und das muss ersetzt werden, und das wird halt in einer zunehmend hedonistischen Gesellschaft ersetzt durch Personen, die genau dies verkörpern: Selbstverwirklichung.

    Meurer: Es hat ja irgendwas, dass Guido Westerwelle der Nach-Nachfolger von Joschka Fischer wird. Die beiden haben sich immer wieder ziemlich heftig befehdet. Wie sehr wird Westerwelle angetrieben von der Vorstellung, den ganzen Alt-68ern zeige ich es?

    Sattar: Das war lange Zeit ein großer Antrieb für ihn, gerade es Joschka Fischer zu zeigen, dass die FDP wieder die bestimmende dritte Kraft im Bundestag ist. Diese Rolle hatten die Grünen ja der FDP über 15 Jahre weggenommen, beginnend in den 90er-Jahren. Und auch, was das Persönliche anbelangt, stellen die Lebensentwürfe eines Joschka Fischers und eines Guido Westerwelles doch Gegenentwürfe dar. Ich glaube, das hat sich inzwischen erledigt, das Thema Alt-68er und so weiter. Die sind abgetreten und mit ihrem Abtritt hat sich auch das Abarbeiten an dieser Generation für Guido Westerwelle erledigt.

    Meurer: Manche fragen sich ja, hat Westerwelle das Zeug zum deutschen Pim Fortuyn, oder sogar Jörg Haider zu werden. Was glauben Sie?

    Sattar: Das glaube ich nicht. Es gab eine Zeit in den späten 90er-Jahren und dann später in der Bundestagswahl 2002, als er damit spielte, der Vorsitzende einer Partei des bürgerlichen Protestes zu sein. Sie erinnern sich an die dann später von Möllemann losgetretene Antisemitismus-Debatte. Damals, bevor das Ganze im Desaster endete, spielte er tatsächlich mit einem solchen Gedanken aus der Opposition heraus.

    Ich glaube, das hat sich erledigt. Er wird immer mal wieder die populistische Karte ziehen und genau diese Wählerklientel ansprechen wollen, die da sozusagen bürgerliche Protestwähler sind, aber eine langfristige Strategie, eine rechtspopulistische Partei nach dem Vorbild von Pim Fortuyn aufzubauen, verfolgt er nicht.

    Meurer: Kurz: Pim Fortuyn war auch homosexuell. Spielt die Homosexualität eine Rolle?

    Sattar: Was seinen Populismus anbelangt? Nein, das denke ich nicht. Ich glaube, was die Vergleiche mit Jörg Haider und Pim Fortuyn anbelangt, war es in der Tat so: Im Sommer 2002 gefiel ihm das irgendwie, was Pim Fortuyn da machte. Er war auch ästhetisch näher an Pim Fortuyn als an Jörg Haider, den er als viel zu derb empfand. Aber das Thema ist, glaube ich, wirklich erledigt.

    Meurer: Das war heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk Majid Sattar, Biograf von Guido Westerwelle. Er hat letztes Jahr ein Buch über den FDP-Vorsitzenden geschrieben. Herr Sattar, schönen Dank und auf Wiederhören.

    Sattar: Danke Ihnen.