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Immun gegen die Klimaerwärmung

Bislang gibt es kaum Studien darüber, wie in Riffen lebende Weichtiere auf Erhöhungen der Wassertemperatur reagieren. Diese Datenlücke schließen nun Biologen aus Norwegen. Sie haben Schnecken in Australien untersucht und dabei erstaunliche Beobachtungen gemacht.

Von Michael Stang | 15.10.2013
    Nicht nur Jäger an Land schätzen Schnecken als dankbare Beute, sondern auch Räuber im Wasser. Denn die Weichtiere zeigen kaum Raffinesse beim Tarnen, und wenn sie ihre Entdeckung doch noch bemerken, haben sie kaum eine Chance, denn das Zurückziehen in ihr Haus nützt meist auch nicht viel. Dass Ausnahmen die Regel bestätigen, zeigt die kleine Flügelschnecke vor der Küste Australiens. Meist lebt sie dort allein im seichten Wasser, mitunter tummelt sie sich aber auch direkt im Great Barrier Reef und dort lauern viele Feinde. Kommt ihr ein Angreifer zu nahe, bringt sie sich per Rettungssprung in Sicherheit.

    "Diese Flügelschnecken springen, sobald sie einen Räuber riechen. Das sind meist Marmor-Kegelschnecken. Diese schießen kleine Giftpfeile in ihr Opfer und töten es auf diese Weise. Daher fliehen die Flügelschnecken sofort, sobald sie die Kegelschnecken riechen",

    sagt die norwegische Biologin Sjannie Lefevre von der Universität von Oslo. Diese Fluchtreaktion sei aber kein einmaliges Ereignis.

    "Es ist eine einfache Art der Fortbewegung, aber effektiv. Ich habe eine Schnecke im Labor, die ist mehr als 100 Mal in nur drei Minuten gesprungen."

    Möglich macht dies der muskulöse Fuß, mit dem sich die Tiere abstoßen können. Diese Sprungtechnik wollte Sjannie Lefevre nutzen, um den Energiehaushalt der Weichtiere unter verschiedenen Bedingungen zu testen. Daher hat sie den Schnecken im Laboraquarium zunächst den Geruch der Räuber ins 29 Grad Celsius warme Wasser gegeben, um die Schnecken zum Sprung zu bewegen, was diese auch sofort taten. Dabei konnte die Norwegerin nachweisen, dass der Sauerstoffverbrauch während des Sprungs um das vier- bis fünffache zunahm, weil die Tiere mehr Energie benötigten. Nun wusste sie, wie viel Energie die Schnecken bei normalen Temperaturen verbrauchen und wie agil sie dabei sind. Sjannie Lefevre simulierte im nächsten Schritt den Klimawandel und erhöhte die Wassertemperatur.

    "Wir haben dann diese Experimente bei 34 Grad Celsius Wassertemperatur begonnen. Dabei sahen wir, dass die Schnecken auch bei höheren Temperaturen springen können und keine Probleme haben, ihren Stoffwechsel anzupassen."

    Bei Vergleichsuntersuchungen testeten die Forscher auch Fische bei diesen Temperaturen. Diese Tiere konnten sich jedoch nicht an die neuen Bedingungen anpassen und sind somit dem Klimawandel hilflos ausgeliefert. Nicht so die Schnecken. Auch nach mehreren Wochen im arg warmen Wasser fühlten sie sich wohl. Rochen sie den imaginären Feind, sprangen sie wie üblich davon.

    "Und dann wollten wir herauskriegen, welche Temperaturen sie noch aushalten. Und selbst bei 37 Grad Celsius reagierten die Schnecken normal. Bei solchen Temperaturen sind die meisten anderen Tiere in den Korallenriffen schon längst gestorben. Aber selbst eine dauerhafte Steigerung von zehn Grad Celsius macht den Schnecken nichts aus."

    Selbst bei derartig unrealistisch hohen Temperaturen vor den Küsten Australiens würden die kleinen Flügelschnecken überleben – im Gegensatz zu vielen anderen Tieren, ihre Feinde eingeschlossen. Denn die Kegelschnecken verbleiben sicherheitshalber in direkter Riffnähe, wo es tiefer und damit nicht damit ganz so warm wirdist.

    "Das sind unglaubliche flexible Kreaturen, die hart im Nehmen sind. Im seichten Wasser oder bei Ebbe kann das Wasser sehr schnell warm werden, vermutlich ist das der Grund dieser Hitzetoleranz."

    Und diese Anpassung an seichte Gewässer macht es möglich, dass die Schnecken ihren Feinden nicht nur durch Sprünge kurzfristig entwischen, sondern sie auch langfristig überleben werden.