Freitag, 19. April 2024

Archiv

Immunsystem
Darm-Bakterien schützen vor Lebensmittelallergien

Allergien gegen Lebensmittel werden immer häufiger. Doch warum manche Menschen so heftig auf Erdnüsse oder Milchprodukte reagieren, ist noch nicht in allen Einzelheiten erforscht. Eine aktuelle Studie zeigt: Offenbar sorgen Bakterien in unserem Darm dafür, dass unser Immunsystem Lebensmittel toleriert.

Von Christine Westerhaus | 01.07.2019
Ein Kind wird gefüttert und schaut sehr skeptisch.
In der Periode der Gewöhnung an feste Nahrung entwickeln viele Kinder Lebensmittelallergien (imago/Photocase)
Alle Dinge, die in den Körper gelangen, können potenziell gefährlich sein. Doch ohne Luft und Nahrung können wir nicht überleben. Deswegen muss das Immunsystem lernen, manches anzugreifen, anderes aber zu tolerieren. Nahrung zum Beispiel oder Pollen und Milben aus dem Hausstaub. Wie der Körper das macht, war lange unklar. Doch immer deutlicher zeichnet sich ab: Die nützlichen Bakterien, die unseren Körper besiedeln, helfen dem Immunsystem, sich an Erdnüsse oder Eier zu gewöhnen. Und das schon sehr früh im Leben, erklärt Talal Chatila von der Harvard Medical School in Boston:
"Die Periode, in der Babys von der Muttermilch entwöhnt und an feste Nahrung gewöhnt werden, ist eine kritische Phase. Und in dieser Zeit entwickeln viele Kinder Lebensmittelallergien. Studien haben gezeigt, dass bestimmte nützliche Bakterien dabei sehr aktiv sind. Deswegen denke ich: In dieser Zeit werden über die Bakterien die Weichen gestellt, so dass Lebensmittel toleriert werden. Und alle Störungen begünstigen Lebensmittelallergien - wie zum Beispiel Antibiotika oder ein fehlender Kontakt zu den Müttern, die Bakterien auf ihre Kinder übertragen."
Gute Mikroben, schlechte Mikroben
Tatsächlich konnten Talal Chatila und sein Team zeigen: Bei Kindern mit Lebensmittelallergien kommen im Darm andere Bakterien vor als bei unempfindlichen Menschen. Und als die Forscher diese Mikroben in Mäuse verpflanzten, entwickelten die Tiere ebenfalls eine Überreaktion gegen bestimmte Lebensmittel. Als die Forscher den Mäusen hingegen die Bakterien unempfindlicher Kinder einpflanzten, konnten die Tiere Lebensmittel tolerieren:
"Das war für uns der erste Hinweis, dass es möglicherweise bestimmte 'gute Bakterien' gibt, die vor Lebensmittelallergien schützen. Wir haben den Mäusen dann einen Mix von fünf bis sechs verschiedenen Bakterienstämmen verabreicht und haben gesehen, dass wir auch damit verhindern konnten, dass die Tiere allergisch gegen Lebensmittel werden."
Bakterienkur kann Allergie rückgängig machen
Das zeigt, dass es ausreichen könnte, einzelne Bakterienstämme zu verabreichen, um Überreaktionen zu vermeiden. Und nicht nur das: Den Forschern gelang es sogar, eine Lebensmittelallergie bei Mäusen durch eine Bakterienkur wieder rückgängig zu machen.
"Das war eine sehr spannende Entdeckung, denn es deutet an, dass wir auf diesem Weg Lebensmittelallergien beim Patienten erfolgreich mit Bakterien behandeln können."
Bisher gingen Forscher davon aus, dass sich Überreaktionen nicht mehr umkehren lassen, wenn ein Mensch bereits allergisch ist. Auf der anderen Seite verschwinden Lebensmittelallergien bei manchen Kindern auch wieder von selbst. Über die nützlichen Bakterien im Körper öffnet sich nun möglicherweise ein Weg, das Immunsystem zu besänftigen und nicht mehr allergisch auf Lebensmittel zu reagieren.
Immunsystem braucht frühen Kontakt mit Allergenen
"Wir wissen jetzt, dass bestimmte Mikroben diese Toleranz wieder herstellen können. Nun wollen wir nach der idealen Mischung von Bakterien suchen, die wir bei Patienten nutzen können. Und wir wollen herausfinden, ob es nicht vielleicht sogar ausreicht, wenn wir nur Bestandteile von Bakterien verabreichen oder Stoffwechselprodukte, die sie herstellen."
Allerdings muss sich erst noch zeigen, ob solche Bakterienkuren auch beim Menschen funktionieren. Momentan ist es sinnvoller, kleine Kinder frühzeitig an Nahrungsmittel zu gewöhnen und sie auf diesem Weg vor Allergien zu schützen. Denn auch das haben Studien gezeigt: Babys am Kontakt mit der Umwelt zu hindern, ist genau der falsche Weg. Ihr Immunsystem braucht die Auseinandersetzung mit Erde aus dem Garten, Pollen aus der Luft und Eiweißen aus der Erdnuss.