Dirk Müller: Wieder viele Tote an diesem Wochenende in Afghanistan, mehr als 90, darunter Taliban-Kämpfer, amerikanische Soldaten und Zivilisten. Immer noch keine klaren politischen Verhältnisse, denn die Wahlkommission in Kabul hat immer noch kein Endergebnis, obwohl es längst vorliegen sollte. Oppositionskandidat Abdullah spricht von massiver Wahlfälschung. Immer noch die anhaltende Diskussion um den nächtlichen Kampfeinsatz gegen die zwei Tanklastwagen auf Befehl des deutschen Kommandos in Kundus. Bundeswehrgeneralinspekteur Schneiderhan hat den Befehl von Oberst Georg Klein nun eindeutig verteidigt. Innerhalb der NATO-Staaten wird dies allerdings nach wie vor kritischer gesehen. Die afghanische Regierung hat jetzt ihren Untersuchungsbericht über den Angriff vorgelegt. 30 Zivilisten sollen dabei umgekommen sein. Nach afghanischen Angaben also 30 tote Zivilisten. Darüber sprechen wollen wir nun mit dem früheren NATO-General Harald Kujat. Guten Morgen!
Harald Kujat: Guten Morgen, Herr Müller.
Müller: Herr Kujat, ist es der Angriff bei diesem Risiko wert gewesen?
Kujat: Die Frage ist, ob man das Risiko so vorhergesehen hat. Man handelt in einer solchen Situation immer in der Schwierigkeit, Fehler machen zu müssen, einfach weil man das Gesamtbild der Lage, das wir jetzt nach vielen Tagen und sozusagen aus dem warmen Wohnzimmer heraus bekommen haben, zu diesem Zeitpunkt gar nicht hat. So ist es offensichtlich auch in diesem Fall gewesen. Deshalb sage ich, was immer der betroffene Oberst in dieser Nacht entschieden hat, es hätte Kritik gegeben. Hätte er diesen Angriff auf die Tanklaster nicht beantragt, dann wären möglicherweise auch Menschen zu Schaden gekommen, weil diese Tanklaster als Bomben benutzt worden wären.
Müller: Also ist es das Risiko wert gewesen?
Kujat: Ich kann das Verhalten nicht kritisieren, weil ich der Meinung bin, in Abwägung aller Umstände ist richtig gehandelt worden. Aber die Situation in Afghanistan ist eben leider so und die Taliban - das haben ja auch die Äußerungen dieser afghanischen Mitglieder dieser Untersuchungskommission gesagt - handeln auch bewusst so, dass sie das Leben ihrer eigenen Landsleute gefährden, indem sie sie als Schutzschilde nehmen, oder wie in diesem Fall, indem sie sie zwingen, zu den Tanklastfahrzeugen zu gehen oder dort hinlocken. Also ich denke schon, dass man hier auch auf die afghanischen Behörden hören sollte, die ja eindeutig hier die Schuld den Taliban zuweisen.
Müller: Es geht ja nicht um Ursache und Wirkung, Herr Kujat, aber dennoch einmal die Frage: Wir kennen ja die Situation der Geiselhaft, der Geiselnahme. Das passiert ja häufiger, dass Zivilisten mit einbezogen werden, um bestimmte Objekte auch zu schützen, um eventuell auch Angriffe abzuwehren beziehungsweise überhaupt nicht erst in die Kampfplanung einfließen zu lassen. Das weiß man alles, auch die Bundeswehr weiß das, auch Oberst Georg Klein weiß das. Dennoch hat er dieses Risiko im Grunde befohlen. War das richtig?
Kujat: Er hat es ja nicht befohlen, sondern er hat - das muss man immer wieder klarstellen - diesen Angriff auf die Tanklastwagen angeordnet. Ich kann im Augenblick nicht sagen, ich glaube niemand kann das im Augenblick sagen, in welchem Umfang er über die wirkliche Lage informiert war. Ich denke, wir müssen hier auch den Bericht der NATO-Untersuchungskommission abwarten, in der es ja nicht nur um die Frage geht, sind Zivilisten zu Schaden gekommen, wie viele Zivilisten sind zu Schaden gekommen, sondern es geht auch um die Frage, haben alle Beteiligten richtig gehandelt, hat der betroffene Oberst richtig gehandelt, haben andere, die an dieser Entscheidung beteiligt waren, die Flugzeuge einzusetzen, richtig gehandelt, wer hat über welche Information zu welchem Zeitpunkt verfügt. All diese Fragen sind bisher nicht geklärt und sie müssen geklärt werden, bevor man sich ein abschließendes Urteil bilden kann.
Müller: Herr Kujat, wäre das ehrenrührig, unter Soldaten zu sagen, wir haben einen Fehler gemacht?
Kujat: Nein, das ist überhaupt nicht ehrenrührig. Das ist eine ganz menschliche Verhaltensweise, und lassen Sie mich das ganz deutlich sagen: In einem Konflikt, in einem Krieg kommt jeder Soldat einmal in Situationen, wo er sich entscheiden muss für die eine oder die andere Sache, aber er weiß genau, er wird einen Fehler machen, wie immer er sich auch entscheidet. Das ist einfach so, das ist menschlich und das können wir, glaube ich, als Außenstehende jetzt gar nicht nachempfinden, wie man sich in einer solchen Situation, in der man wie auch immer gezwungen ist, möglicherweise Schuld auf sich zu laden, verhält. Das ist eine Situation, die immer wieder entstehen kann, und deshalb kann man auch gar nicht sagen, ich schließe aus, dass ich Fehler mache. Im Gegenteil: Menschen machen Fehler und im Krieg und in Konflikten werden immer Fehler gemacht.
Müller: Sie sagen jetzt immer Krieg. Meinen Sie, in Afghanistan ist Krieg?
Kujat: Die Soldaten, die dort unten eingesetzt werden, die empfinden das natürlich als Krieg. Wir würden das aus völkerrechtlichen Gründen, aus versicherungstechnischen Gründen sicherlich nicht so bezeichnen wollen. Die Bundesregierung tut das auch nicht. Aber entscheidend ist ja, wie die Soldaten das empfinden. Aber ich meinte das auch ganz grundsätzlich, unabhängig von Afghanistan. Das ist eine grundsätzliche Konfliktsituation, in die man sich als Vorgesetzter begibt, und man muss eben sehen, dass man immer das kleinste Übel wählt, dass man selbst ohne große Schuld aus einer solchen Situation herauskommt.
Müller: Sie haben eben gesagt, Herr Kujat, einige Dinge sind nicht nachvollziehbar, jetzt jedenfalls noch nicht. Nachvollziehbar für viele Beobachter ist auch nicht das Verhalten der NATO in Brüssel, des NATO-Hauptquartiers. Es wird gemauert, geblockt und verschwiegen. Ist das einer demokratischen Militärallianz würdig?
Kujat: Im Augenblick ist es wohl so, dass der Untersuchungsbericht jedenfalls abschließend noch nicht vorliegt. Deshalb ist es richtig, dass jetzt keine Details nach außen gelangen, bevor man nicht das Gesamtbild hat. Was sicherlich zu kritisieren ist, ist das Verhalten einiger Verbündeter. Das hat nichts mit Solidarität zu tun und Solidarität ist eine der tragenden Säulen dieser Allianz. Ich finde auch, dass Vorverurteilungen vor allen Dingen auch in einer solchen schwierigen Situation völlig unangemessen sind. Das hat die Bundesregierung ja auch sehr deutlich gesagt, ich selbst habe das auch gesagt und man muss hier eine ganz klare Position beziehen und diese Position heißt, dass man sich auch vor die deutschen Soldaten stellt, dass man versucht, die Situation zu erklären, in der sie sich befunden haben, dass man für Verständnis sorgt. Im Übrigen muss ich auch hinzufügen: Wir haben das ja an diesem Wochenende wieder gesehen, Sie selbst haben das gesagt. Täglich gibt es Ereignisse dort in Afghanistan, bei denen Zivilisten zu Schaden kommen. Das ist bei dieser Art des Krieges einfach nicht auszuschließen, so sehr man sich auch darum bemüht und so sehr man sich auch darum bemühen muss.
Müller: Die Situation in Afghanistan. Bei uns im Deutschlandfunk der frühere NATO-General Harald Kujat. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
Kujat: Ich danke Ihnen.
Harald Kujat: Guten Morgen, Herr Müller.
Müller: Herr Kujat, ist es der Angriff bei diesem Risiko wert gewesen?
Kujat: Die Frage ist, ob man das Risiko so vorhergesehen hat. Man handelt in einer solchen Situation immer in der Schwierigkeit, Fehler machen zu müssen, einfach weil man das Gesamtbild der Lage, das wir jetzt nach vielen Tagen und sozusagen aus dem warmen Wohnzimmer heraus bekommen haben, zu diesem Zeitpunkt gar nicht hat. So ist es offensichtlich auch in diesem Fall gewesen. Deshalb sage ich, was immer der betroffene Oberst in dieser Nacht entschieden hat, es hätte Kritik gegeben. Hätte er diesen Angriff auf die Tanklaster nicht beantragt, dann wären möglicherweise auch Menschen zu Schaden gekommen, weil diese Tanklaster als Bomben benutzt worden wären.
Müller: Also ist es das Risiko wert gewesen?
Kujat: Ich kann das Verhalten nicht kritisieren, weil ich der Meinung bin, in Abwägung aller Umstände ist richtig gehandelt worden. Aber die Situation in Afghanistan ist eben leider so und die Taliban - das haben ja auch die Äußerungen dieser afghanischen Mitglieder dieser Untersuchungskommission gesagt - handeln auch bewusst so, dass sie das Leben ihrer eigenen Landsleute gefährden, indem sie sie als Schutzschilde nehmen, oder wie in diesem Fall, indem sie sie zwingen, zu den Tanklastfahrzeugen zu gehen oder dort hinlocken. Also ich denke schon, dass man hier auch auf die afghanischen Behörden hören sollte, die ja eindeutig hier die Schuld den Taliban zuweisen.
Müller: Es geht ja nicht um Ursache und Wirkung, Herr Kujat, aber dennoch einmal die Frage: Wir kennen ja die Situation der Geiselhaft, der Geiselnahme. Das passiert ja häufiger, dass Zivilisten mit einbezogen werden, um bestimmte Objekte auch zu schützen, um eventuell auch Angriffe abzuwehren beziehungsweise überhaupt nicht erst in die Kampfplanung einfließen zu lassen. Das weiß man alles, auch die Bundeswehr weiß das, auch Oberst Georg Klein weiß das. Dennoch hat er dieses Risiko im Grunde befohlen. War das richtig?
Kujat: Er hat es ja nicht befohlen, sondern er hat - das muss man immer wieder klarstellen - diesen Angriff auf die Tanklastwagen angeordnet. Ich kann im Augenblick nicht sagen, ich glaube niemand kann das im Augenblick sagen, in welchem Umfang er über die wirkliche Lage informiert war. Ich denke, wir müssen hier auch den Bericht der NATO-Untersuchungskommission abwarten, in der es ja nicht nur um die Frage geht, sind Zivilisten zu Schaden gekommen, wie viele Zivilisten sind zu Schaden gekommen, sondern es geht auch um die Frage, haben alle Beteiligten richtig gehandelt, hat der betroffene Oberst richtig gehandelt, haben andere, die an dieser Entscheidung beteiligt waren, die Flugzeuge einzusetzen, richtig gehandelt, wer hat über welche Information zu welchem Zeitpunkt verfügt. All diese Fragen sind bisher nicht geklärt und sie müssen geklärt werden, bevor man sich ein abschließendes Urteil bilden kann.
Müller: Herr Kujat, wäre das ehrenrührig, unter Soldaten zu sagen, wir haben einen Fehler gemacht?
Kujat: Nein, das ist überhaupt nicht ehrenrührig. Das ist eine ganz menschliche Verhaltensweise, und lassen Sie mich das ganz deutlich sagen: In einem Konflikt, in einem Krieg kommt jeder Soldat einmal in Situationen, wo er sich entscheiden muss für die eine oder die andere Sache, aber er weiß genau, er wird einen Fehler machen, wie immer er sich auch entscheidet. Das ist einfach so, das ist menschlich und das können wir, glaube ich, als Außenstehende jetzt gar nicht nachempfinden, wie man sich in einer solchen Situation, in der man wie auch immer gezwungen ist, möglicherweise Schuld auf sich zu laden, verhält. Das ist eine Situation, die immer wieder entstehen kann, und deshalb kann man auch gar nicht sagen, ich schließe aus, dass ich Fehler mache. Im Gegenteil: Menschen machen Fehler und im Krieg und in Konflikten werden immer Fehler gemacht.
Müller: Sie sagen jetzt immer Krieg. Meinen Sie, in Afghanistan ist Krieg?
Kujat: Die Soldaten, die dort unten eingesetzt werden, die empfinden das natürlich als Krieg. Wir würden das aus völkerrechtlichen Gründen, aus versicherungstechnischen Gründen sicherlich nicht so bezeichnen wollen. Die Bundesregierung tut das auch nicht. Aber entscheidend ist ja, wie die Soldaten das empfinden. Aber ich meinte das auch ganz grundsätzlich, unabhängig von Afghanistan. Das ist eine grundsätzliche Konfliktsituation, in die man sich als Vorgesetzter begibt, und man muss eben sehen, dass man immer das kleinste Übel wählt, dass man selbst ohne große Schuld aus einer solchen Situation herauskommt.
Müller: Sie haben eben gesagt, Herr Kujat, einige Dinge sind nicht nachvollziehbar, jetzt jedenfalls noch nicht. Nachvollziehbar für viele Beobachter ist auch nicht das Verhalten der NATO in Brüssel, des NATO-Hauptquartiers. Es wird gemauert, geblockt und verschwiegen. Ist das einer demokratischen Militärallianz würdig?
Kujat: Im Augenblick ist es wohl so, dass der Untersuchungsbericht jedenfalls abschließend noch nicht vorliegt. Deshalb ist es richtig, dass jetzt keine Details nach außen gelangen, bevor man nicht das Gesamtbild hat. Was sicherlich zu kritisieren ist, ist das Verhalten einiger Verbündeter. Das hat nichts mit Solidarität zu tun und Solidarität ist eine der tragenden Säulen dieser Allianz. Ich finde auch, dass Vorverurteilungen vor allen Dingen auch in einer solchen schwierigen Situation völlig unangemessen sind. Das hat die Bundesregierung ja auch sehr deutlich gesagt, ich selbst habe das auch gesagt und man muss hier eine ganz klare Position beziehen und diese Position heißt, dass man sich auch vor die deutschen Soldaten stellt, dass man versucht, die Situation zu erklären, in der sie sich befunden haben, dass man für Verständnis sorgt. Im Übrigen muss ich auch hinzufügen: Wir haben das ja an diesem Wochenende wieder gesehen, Sie selbst haben das gesagt. Täglich gibt es Ereignisse dort in Afghanistan, bei denen Zivilisten zu Schaden kommen. Das ist bei dieser Art des Krieges einfach nicht auszuschließen, so sehr man sich auch darum bemüht und so sehr man sich auch darum bemühen muss.
Müller: Die Situation in Afghanistan. Bei uns im Deutschlandfunk der frühere NATO-General Harald Kujat. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
Kujat: Ich danke Ihnen.