Peter Kapern: Am 11. März 2004 zerfetzten mehrere Bomben mitten im Berufsverkehr Züge und Bahnhöfe in Madrid. 192 Menschen starben und 1400 wurden verletzt. Die Terroranschläge konnten aufgeklärt werden, weil die Ermittler nachvollziehen konnten, wer wann mit wem kommuniziert hatte – per Telefon, per E-Mail. Das ging, weil in Spanien Daten auf Vorrat gespeichert worden waren. Dass dies auch in Deutschland geschieht, das verhindert die FDP, obwohl es eine von allen EU-Ländern beschlossene Richtlinie gibt. Um Mitternacht läuft die Frist ab, die Deutschland zur Umsetzung dieser Richtlinie gesetzt ist.
- Am Telefon bei uns ist jetzt Manfred Weber, Europaabgeordneter der CSU. Guten Tag, Herr Weber.
Manfred Weber: Hallo, Herr Kapern.
Kapern: Herr Weber, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, die deutsche Justizministerin, weist immer darauf hin, dass diese Richtlinie nun die umstrittenste Richtlinie der EU-Geschichte sei. Stimmt das und wenn ja, ist es dann völlig in Ordnung, wenn sie nicht umgesetzt wird?
Weber: Die Richtlinie war bei der damaligen Beschlussfassung in allen europäischen Institutionen strittig. Ja, es wurde darum hart gerungen. Aber es gab sowohl bei den Mitgliedsstaaten als auch im Europäischen Parlament bei den frei gewählten Europaabgeordneten eine eindeutige und klare Mehrheit für diese bestehende Richtlinie. Damit handelt es sich um Europarecht, das gesetzt worden ist. Und es ist schon wirklich beachtlich in Deutschland, dass gerade die Ministerin, die für Rechtsetzung, für Justizfragen, für den Rechtsstaat zuständig ist, sich weigert, bestehendes europäisches Recht in Deutschland anzuwenden und umzusetzen und damit auch, muss ich schon klar sagen, Parteiinteressen vor Staatsinteressen stellt.
Kapern: Aber Frau Leutheusser-Schnarrenberger hat ja möglicherweise nicht nur schlechte Argumente. Beispielsweise kann sie auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts hinweisen, das diese Richtlinie ja verworfen hat.
Weber: Das Bundesverfassungsgericht hat die nationale Umsetzung verworfen, nicht die Richtlinie. Deswegen wurde das bestehende Umsetzungsvollzugsgesetz in Deutschland für verfassungswidrig erklärt und es ist jetzt Aufgabe des Deutschen Bundestages, eine grundgesetzkonforme Umsetzung von Europarecht durchzuführen. Und das Verfassungsgericht hat sogar im Urteil sehr detailliert beschrieben, wie denn das gemacht werden könne. Die Karlsruher Richter haben ausdrücklich bestätigt, dass es auch in Deutschland möglich ist, Daten auf Vorrat anlasslos – um das geht es ja, das ist ja der inhaltlich strittige Punkt, dass das in Deutschland erlaubt ist - so zu speichern. Aber Karlsruhe sagt ja auch dazu, ihr müsst sicherstellen, dass nur auf die Daten zugegriffen wird, wenn es sich um Schwerstkriminalität handelt und unter ganz engen Bedingungen. Und diese Rahmenarbeit, die ist in Berlin zu machen. Und ich sage auch dazu: Wenn Deutschland das machen würde, nämlich höhere Standards beim Zugriff auf die Daten festzulegen, dann hätten wir Deutsche sogar die Chance, die anstehende Novellierung in Europa mitzugestalten und den europäischen Standard damit zu setzen. Ich glaube, es wäre eine Chance, wenn Berlin in die Gänge käme.
Kapern: Welchen Sinn macht es, eine Richtlinie umzusetzen, von der die EU-Kommission selbst nicht überzeugt ist und deren Überarbeitung die Kommission, die Brüsseler Behörde schon angekündigt hat?
Weber: Da muss man sich anschauen, was konkret zur Überarbeitung ansteht. Sowohl in den Beschlüssen der Kommission, als auch in der Debattenlage bei den EU-Innenministern, die so was ja beschließen müssten, und auch bei uns im Parlament im Innenausschuss ist eigentlich allen auf der europäischen Ebene klar, dass wenn wir die Richtlinie anfassen, dass wir dann die Zugriffsstandards erhöhen werden. Also genau das, was auch Karlsruhe sagt: Ihr müsst festlegen, gesetzgeberisch, für ganz Europa möglichst, dass nur auf die Daten zugegriffen wird, wenn es wirklich um Schwerstkriminalität, um Terror, um Mord, um Kindesmissbrauch geht. Und diese Fragen stehen in Brüssel zur Debatte. In der Novellierung wird definitiv nicht die Frage gestellt werden, ob das Prinzip, nämlich die Überschrift der Richtlinie, nämlich Vorratsdatenspeicherung, ob das gemacht wird oder nicht. Das heißt, das anlasslose Speichern dieser Handydaten, das wird nicht zur Debatte stehen. Da wird auch die Kommission keine Veränderung vorschlagen.
Kapern: Kann es gelingen, das Vorhaben von Frau Leutheusser-Schnarrenberger, nämlich das sogenannte Quick-Freeze-Verfahren, dort zu verankern?
Weber: Das ist immer wieder sozusagen die Rückfallposition. Auch unser deutsches Bundesverfassungsgericht hat im damaligen Urteil ausdrücklich gesagt, dass Quick Freeze keine Alternative zur Vorratsdatenspeicherung ist. Und man muss einfach schon einmal dann jenseits der ganzen Rechtsfragen, die wir so in der politischen Debatte jetzt diskutieren, beschäftigen mit der Grundsatzfrage. Wir haben in Deutschland auch Terroristen gehabt. Das waren Rechtsradikale, die Ausländer umgebracht haben. Und auch in dem Fall, bei der NSU, war es so. Das kann man sich, glaube ich, ganz praktisch vorstellen: Wenn man gewusst hätte, mit wem hat dieser Wahnsinnige, der Ausländer umbringt, mit wem hat der die letzten drei Wochen telefoniert, wenn man diese Daten hätte, ist es natürlich einfacher für einen Ermittlungsbeamten herauszufinden, wer noch alles im Netzwerk betroffen ist, wer in dessen Umfeld sich bewegt. Damit kann man natürlich ermittlungstechnisch mehr erreichen. Und genau um die Frage geht es bei wirklichen Schwerkriminalitätsfragen: Wollen wir unseren Behörden die Möglichkeit geben, zu wissen, mit wem hatte dieser Verbrecher, dieser Schwerverbrecher Kontakt. Und ich glaube, dass man schon Verständnis dafür gewinnen kann, wenn eben die Schutzstandards entsprechend hoch sind. Und das wäre jetzt die Aufgabe, diese Schutzstandards in Berlin zu definieren.
Kapern: Kurz noch zum Schluss, Herr Weber: Frau Leutheusser-Schnarrenberger weist auch darauf hin, dass auch andere Länder diese Richtlinie nicht umsetzen. Wie groß ist der Widerstand in der EU gegen diese Richtlinie?
Weber: Wir haben in unterschiedlichsten Ländern unterschiedlichste Debattenlagen. In den Ländern, wo wir Terroranschläge hatten, Spanien, Großbritannien, ist die Debatte faktisch nicht vorhanden. Dort wird, auch von der Gesellschaft akzeptiert, viel getan, um weitere Terroranschläge zu verhindern, dort ist die Sensibilität hoch. Wir in Deutschland hatten Gott sei Dank bisher keinen Anschlag und deswegen haben wir hohe Datenschutzsensibilität. Also, die Debattenlage in Europa ist sehr unterschiedlich. Am Ende der Tage müssen wir, denke ich, für das Grundprinzip werben und Verständnis dafür erzeugen, dass wir in ausgesprochenen Spezialfällen diese Daten verwenden müssen, um Verbrecher dingfest zu machen. Und wir sollten stärker an der Sache argumentieren und weniger in den Rechtsfragen argumentieren.
Kapern: Der CSU-Europaabgeordnete Manfred Weber heute Mittag im Deutschlandfunk. Herr Weber, danke, dass Sie ein paar Minuten Zeit für uns hatten. Auf Wiederhören!
Weber: Ich bedanke mich. Auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Beiträge bei dradio.de:
Aktuell: Justizministerin bleibt stur bei Vorratsdatenspeicherung
- Am Telefon bei uns ist jetzt Manfred Weber, Europaabgeordneter der CSU. Guten Tag, Herr Weber.
Manfred Weber: Hallo, Herr Kapern.
Kapern: Herr Weber, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, die deutsche Justizministerin, weist immer darauf hin, dass diese Richtlinie nun die umstrittenste Richtlinie der EU-Geschichte sei. Stimmt das und wenn ja, ist es dann völlig in Ordnung, wenn sie nicht umgesetzt wird?
Weber: Die Richtlinie war bei der damaligen Beschlussfassung in allen europäischen Institutionen strittig. Ja, es wurde darum hart gerungen. Aber es gab sowohl bei den Mitgliedsstaaten als auch im Europäischen Parlament bei den frei gewählten Europaabgeordneten eine eindeutige und klare Mehrheit für diese bestehende Richtlinie. Damit handelt es sich um Europarecht, das gesetzt worden ist. Und es ist schon wirklich beachtlich in Deutschland, dass gerade die Ministerin, die für Rechtsetzung, für Justizfragen, für den Rechtsstaat zuständig ist, sich weigert, bestehendes europäisches Recht in Deutschland anzuwenden und umzusetzen und damit auch, muss ich schon klar sagen, Parteiinteressen vor Staatsinteressen stellt.
Kapern: Aber Frau Leutheusser-Schnarrenberger hat ja möglicherweise nicht nur schlechte Argumente. Beispielsweise kann sie auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts hinweisen, das diese Richtlinie ja verworfen hat.
Weber: Das Bundesverfassungsgericht hat die nationale Umsetzung verworfen, nicht die Richtlinie. Deswegen wurde das bestehende Umsetzungsvollzugsgesetz in Deutschland für verfassungswidrig erklärt und es ist jetzt Aufgabe des Deutschen Bundestages, eine grundgesetzkonforme Umsetzung von Europarecht durchzuführen. Und das Verfassungsgericht hat sogar im Urteil sehr detailliert beschrieben, wie denn das gemacht werden könne. Die Karlsruher Richter haben ausdrücklich bestätigt, dass es auch in Deutschland möglich ist, Daten auf Vorrat anlasslos – um das geht es ja, das ist ja der inhaltlich strittige Punkt, dass das in Deutschland erlaubt ist - so zu speichern. Aber Karlsruhe sagt ja auch dazu, ihr müsst sicherstellen, dass nur auf die Daten zugegriffen wird, wenn es sich um Schwerstkriminalität handelt und unter ganz engen Bedingungen. Und diese Rahmenarbeit, die ist in Berlin zu machen. Und ich sage auch dazu: Wenn Deutschland das machen würde, nämlich höhere Standards beim Zugriff auf die Daten festzulegen, dann hätten wir Deutsche sogar die Chance, die anstehende Novellierung in Europa mitzugestalten und den europäischen Standard damit zu setzen. Ich glaube, es wäre eine Chance, wenn Berlin in die Gänge käme.
Kapern: Welchen Sinn macht es, eine Richtlinie umzusetzen, von der die EU-Kommission selbst nicht überzeugt ist und deren Überarbeitung die Kommission, die Brüsseler Behörde schon angekündigt hat?
Weber: Da muss man sich anschauen, was konkret zur Überarbeitung ansteht. Sowohl in den Beschlüssen der Kommission, als auch in der Debattenlage bei den EU-Innenministern, die so was ja beschließen müssten, und auch bei uns im Parlament im Innenausschuss ist eigentlich allen auf der europäischen Ebene klar, dass wenn wir die Richtlinie anfassen, dass wir dann die Zugriffsstandards erhöhen werden. Also genau das, was auch Karlsruhe sagt: Ihr müsst festlegen, gesetzgeberisch, für ganz Europa möglichst, dass nur auf die Daten zugegriffen wird, wenn es wirklich um Schwerstkriminalität, um Terror, um Mord, um Kindesmissbrauch geht. Und diese Fragen stehen in Brüssel zur Debatte. In der Novellierung wird definitiv nicht die Frage gestellt werden, ob das Prinzip, nämlich die Überschrift der Richtlinie, nämlich Vorratsdatenspeicherung, ob das gemacht wird oder nicht. Das heißt, das anlasslose Speichern dieser Handydaten, das wird nicht zur Debatte stehen. Da wird auch die Kommission keine Veränderung vorschlagen.
Kapern: Kann es gelingen, das Vorhaben von Frau Leutheusser-Schnarrenberger, nämlich das sogenannte Quick-Freeze-Verfahren, dort zu verankern?
Weber: Das ist immer wieder sozusagen die Rückfallposition. Auch unser deutsches Bundesverfassungsgericht hat im damaligen Urteil ausdrücklich gesagt, dass Quick Freeze keine Alternative zur Vorratsdatenspeicherung ist. Und man muss einfach schon einmal dann jenseits der ganzen Rechtsfragen, die wir so in der politischen Debatte jetzt diskutieren, beschäftigen mit der Grundsatzfrage. Wir haben in Deutschland auch Terroristen gehabt. Das waren Rechtsradikale, die Ausländer umgebracht haben. Und auch in dem Fall, bei der NSU, war es so. Das kann man sich, glaube ich, ganz praktisch vorstellen: Wenn man gewusst hätte, mit wem hat dieser Wahnsinnige, der Ausländer umbringt, mit wem hat der die letzten drei Wochen telefoniert, wenn man diese Daten hätte, ist es natürlich einfacher für einen Ermittlungsbeamten herauszufinden, wer noch alles im Netzwerk betroffen ist, wer in dessen Umfeld sich bewegt. Damit kann man natürlich ermittlungstechnisch mehr erreichen. Und genau um die Frage geht es bei wirklichen Schwerkriminalitätsfragen: Wollen wir unseren Behörden die Möglichkeit geben, zu wissen, mit wem hatte dieser Verbrecher, dieser Schwerverbrecher Kontakt. Und ich glaube, dass man schon Verständnis dafür gewinnen kann, wenn eben die Schutzstandards entsprechend hoch sind. Und das wäre jetzt die Aufgabe, diese Schutzstandards in Berlin zu definieren.
Kapern: Kurz noch zum Schluss, Herr Weber: Frau Leutheusser-Schnarrenberger weist auch darauf hin, dass auch andere Länder diese Richtlinie nicht umsetzen. Wie groß ist der Widerstand in der EU gegen diese Richtlinie?
Weber: Wir haben in unterschiedlichsten Ländern unterschiedlichste Debattenlagen. In den Ländern, wo wir Terroranschläge hatten, Spanien, Großbritannien, ist die Debatte faktisch nicht vorhanden. Dort wird, auch von der Gesellschaft akzeptiert, viel getan, um weitere Terroranschläge zu verhindern, dort ist die Sensibilität hoch. Wir in Deutschland hatten Gott sei Dank bisher keinen Anschlag und deswegen haben wir hohe Datenschutzsensibilität. Also, die Debattenlage in Europa ist sehr unterschiedlich. Am Ende der Tage müssen wir, denke ich, für das Grundprinzip werben und Verständnis dafür erzeugen, dass wir in ausgesprochenen Spezialfällen diese Daten verwenden müssen, um Verbrecher dingfest zu machen. Und wir sollten stärker an der Sache argumentieren und weniger in den Rechtsfragen argumentieren.
Kapern: Der CSU-Europaabgeordnete Manfred Weber heute Mittag im Deutschlandfunk. Herr Weber, danke, dass Sie ein paar Minuten Zeit für uns hatten. Auf Wiederhören!
Weber: Ich bedanke mich. Auf Wiederhören!
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