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In den Fußstapfen Ronald Reagans

In seiner Rede zur Lage der Nation hat der US-Präsident das Ziel erklärt, eine Freihandelszone mit Europa zu vereinbaren. Der Politologe Thomas Jäger vergleicht Barack Obama deshalb mit Ronald Reagan, der die Politik der Deregulierung ideologisch durchgesetzt habe.

Thomas Jäger im Gespräch mit Thielko Grieß | 13.02.2013
    Thielko Grieß: Es ist eine Tradition, jährlich Ende Januar oder Anfang Februar: die Rede zur Lage der Union, der Union aus 50 Bundesstaaten, die die Vereinigten Staaten ausmachen. Es geht dabei ein wenig pathetischer zu als bei Regierungserklärungen in Deutschland, es gibt ein wenig mehr Inszenierung, aber in so eine Rede, wie sie US-Präsident Barack Obama in der Nacht gehalten hat, passt auch reichlich politischer Inhalt. Der Präsident, gerade erst ins Amt eingeführt für die nächsten vier Jahre, skizzierte die Grundzüge seiner Politik. Barack Obama will ein Freihandelsabkommen erreichen mit der Europäischen Union, also ein Wegfall von Zöllen, ähnliche Verhältnisse, wie sie die Staaten der Europäischen Union in ihrem Binnenmarkt längst haben. Für den Freihandel über den Atlantik hatten sich auf dieser Seite des Ozeans zum Beispiel Angela Merkel und der britische Premier Cameron eingesetzt. Beide Seiten, hier und jenseits des Atlantiks, erhoffen sich letztlich mehr Handel und mehr Wohlstand. Das war noch mit das Konkreteste im außenpolitischen Teil der Rede Obamas, der sehr kurz war, und am Telefon ist jetzt Thomas Jäger, Professor für internationale Politik an der Universität Köln. Guten Tag, Herr Jäger.

    Thomas Jäger: Guten Tag, Herr Grieß.

    Grieß: Haben Sie den Eindruck, anhand dieser dürren Sätze, dass das Projekt Freihandelszone in der zweiten Amtszeit von Barack Obama sehr weit oben steht?

    Jäger: Dafür gibt es ziemlich gute Chancen. Die Außenpolitik hat in dieser Rede eine geringe Rolle gespielt. Das hat seine Gründe in den Zielen, die er mit der Rede verfolgt hat. Aber er hat hier eine ganz konkrete Ankündigung gemacht, und das ist natürlich nicht ein Vorhaben, wo man jetzt bei null startet, sondern der amerikanische Präsident hat das Ziel, eine Freihandelszone mit den Europäern zu vereinbaren, zu dem Zeitpunkt verkündet, an dem klar ist, die Unterschiede sind nur noch so klein, dass es eine Regelung geben wird und dass man zu einem Vertrag kommen wird.

    Grieß: Die Unterschiede zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten meinen Sie?

    Jäger: Ja.

    Grieß: Welche sind das?

    Jäger: Es sind ja jetzt schon im Beitrag eine ganze Reihe von Punkten angesprochen worden, von der Gentechnik über Umweltstandards und anderes mehr. Aber man ist in den Gesprächen bisher so weit, dass man sieht, hier sind Annäherungen möglich, man wird zu Vereinbarungen kommen. Also es ist nicht so, dass der Präsident hier etwas angekündigt hat, wo man sich morgen das erste Mal zusammensetzt und überlegt, wie können wir das ganze auf den Weg bringen, sondern das ist schon so weit auf den Weg gebracht, dass auch der Zeitraum nicht unwahrscheinlich ist, bis 2014 das abzuschließen, denn nicht nur die Kommission hat hier ihr Mandat bis dahin zu Ende, sondern auch der amerikanische Präsident wird mit den nächsten Wahlen in den USA ganz andere Sachen auf der Agenda haben als dieses Abkommen.

    Grieß: Welche Widerstände hat denn Barack Obama in seinem eigenen Land unter dem Stichwort Freihandelszone noch zu überwinden?

    Jäger: Ja das ist so, dass die Demokraten nicht wirklich begeistert sind. Wenn man die Rede gesehen hat, da gab es an vielen Stellen nun wirklich seitens der demokratischen Abgeordneten Jubel. An dieser Stelle ganz verhaltener Applaus, der nach und nach zögerlich kam, weil es hier eben darum geht, dass man soziale Errungenschaften bewahren will. Gewerkschaften sind gewöhnlich nicht die großen Befürworter von Freihandel, und das ist eine wichtige Säule, auf der Obamas politische Macht letztlich ruht. Insofern hat er hier noch Überzeugungsarbeit nach innen zu leisten, das ist aber der Sinn der ganzen Rede gewesen, und er muss noch ein zweites tun, das ist auch noch nicht auf den Weg gebracht, er muss den Kongress sozusagen bitten, ihm das sogenannte "fast track"-Verfahren zu geben. Das bedeutet, das Parlament beauftragt die Regierung, dieses Abkommen zu verhandeln, und kann es dann nur ablehnen oder annehmen. Es kann aber nicht in den Vertrag eingreifen und Nachbesserungen wünschen.

    Grieß: Herr Jäger, schauen wir noch auf die anderen Aspekte, die anderen Elemente, die außenpolitischen Elemente in dieser Rede. Das war nicht viel. Da tauchte auf Syrien, ein wenig Nordkorea und ein bisschen Nahost. Ist das zu wenig für eine Weltmacht?

    Jäger: Das ist nicht zu wenig für das, was Obama vorgehabt hat. Obama hat sich mit dieser Rede in die Fußstapfen von Ronald Reagan begeben. Ronald Reagan war der Präsident, der die Politik der Deregulierung ideologisch durchgesetzt hat, und Obama geht es nun darum, einen völlig anderen Blick auf Politik, auf das Verhältnis von Staat und Gesellschaft in der Bevölkerung der Vereinigten Staaten zu verankern. Das ist der Sinn der Rede gewesen. Da spielt die Außenpolitik nur eine ganz kleine Rolle und das war ja auch alles sehr widersprüchlich, was er gebracht hat, etwa wenn er in Syrien argumentiert, man habe da nicht wirklich was unternehmen können, oder wenn er für Afghanistan sagt, der Krieg wird im Dezember 2014 wirklich vorbei sein, ohne zu sagen, was vorbei denn heißt.

    Grieß: Sie heben die innenpolitische Bedeutung hervor. Aber jeder im Weißen Haus weiß ja auch, dass diese Rede rund um den Globus beachtet wird, und es hätte ja Anlässe genügend gegeben. Nordkoreas Atomtest gestern zum Beispiel.

    Jäger: Ja, aber das hätte aus Sicht des amerikanischen Präsidenten von dem abgelenkt, was er wirklich an Botschaft herüberbringen wollte. Er wollte, dass die Amerikaner Jobs und Middle Class, also Arbeitsplätze und die Mittelschicht. Das wollte er immer wieder sagen, immer wieder sagen, und es ist ganz schwierig, etwa von einem Diskurs über das, was Afghanistans Zukunft bedeutet, zu amerikanischen Arbeitsplätzen zu kommen. Insofern wäre das für ihn ein Rauschen gewesen, das seine Botschaft gestört hätte. Nun war er bei Afghanistan noch relativ konkret, er hat den Abzug von 34.000 Soldaten im nächsten Jahr, also bis zu seiner nächsten "State of the Union" angekündigt und gesagt, im Dezember 2014 wird der Krieg vorbei sein. Jetzt wird es darum gehen, mit den Streitkräften zusammen zu überlegen, was denn mit den dann immer noch dort stationierten 30.000 Soldaten geschieht – werden sie nur die afghanische Regierung unterstützen, etwa in der Ausbildung von Sicherheitskräften, werden sie selbst auch noch dort auf dem Boden Terroristen jagen, oder wird das etwas sein, was wieder in die Luft verlegt wird. Und da war Obama sehr konkret an dem einen Punkt. Er hat, ohne das Wort zu benutzen, über die Drohnen-Angriffe, über gezielte Tötungen gesprochen und gesagt, das wird weiter die Art und Weise sein, wie wir gegen Terroristen vorgehen.

    Grieß: Herr Jäger, Sie haben gesagt, Obamas Leitmotiv war es, zu einem neuen Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft in den Vereinigten Staaten zu kommen. Wenn Sie das vergleichen mit anderen "State of the Union" Adresses, also mit anderen Reden zur Lage der Nation, die andere Präsidenten zu Beginn ihrer zweiten Amtszeit gehalten haben, etwa George W. Bush oder Bill Clinton, ist das etwas, was Obama nun auszeichnet? Hat er eine besondere Rede gehalten, oder können wir die schnell zu den Akten legen?

    Jäger: Nein, das ist eine besondere Rede gewesen. Man wird in Zukunft sehen, ob sie die Wirkung entfaltet hat, die er entfalten wollte. Aber ansonsten ist es Präsidenten gerade zu Beginn der zweiten Amtszeit, wo ihnen letztlich noch 15, 16 Monate zur Verfügung stehen, in denen sie Gesetze durchbringen können, darum zu tun, zu sagen, was sind meine Prioritäten, und das hat Obama versäumt. Er hat nicht gesagt, was ist ihm wirklich wichtig: Sind es die Einschränkungen in den Waffengesetzen, ist es die Einwanderung, ist das ein neues Steuersystem, ist es die Klimapolitik, ist es die Energiepolitik. Er hat all dies genannt und die Bildungs- und Infrastrukturpolitik dazu. Er wird nicht alles durchsetzen können. Er hat nicht gesagt, was ist seine erste Priorität – das werden wir jetzt beobachten können. Was er gesagt hat: Ich biete einen neuen Blick darauf, wie wir das Verhältnis von Staat und Gesellschaft verstehen können, der sich fundamental von dem unterscheidet, was hier im Land bisher gedacht wurde.

    Grieß: Aber läuft man da vielleicht wieder in dieselbe Falle, dass wir von Barack Obama eine ganze Reihe von Ankündigungen und Plänen hören, aber letztlich doch wenig Durchsetzung dann beobachten können im Verlauf der Zeit, so wie in der ersten Amtszeit auch schon?

    Jäger: Die Falle, die Sie nennen, ist sehr real. Aber er steht vor einer anderen Lage, als das in den letzten Jahren der Fall war. Das hat mit ihm und seinen Demokraten gar nichts zu tun, mit den Republikanern sehr viel. Der Grund ist, dass die Republikaner inzwischen tief gespalten sind, in die konservativen Tea-Party-Republikaner und die moderaten Republikaner. Und Obama geht es darum, dass er über die öffentliche Meinung die moderaten Republikaner dazu bringt, mit den Demokraten zusammen abzustimmen. Dann haben sie eine Mehrheit in beiden Häusern. Das ist jetzt in den letzten Monaten schon zwei-, dreimal bei großen Gesetzen gelungen, wo sozusagen eine Minderheit der Republikaner mit den Demokraten gegen die Mehrheit der Republikaner gestimmt hat. Das sind die Obama Republicans, die er jetzt hier versucht, immer weiter in sein Feld zu locken, und dazu braucht er die öffentliche Meinung, denn in eineinhalb Jahren geht der Wahlkampf schon wieder los und viele derer, die jetzt im Repräsentantenhaus über diese Gesetze abstimmen müssen, müssen sich dann wieder vor ihren Wählerinnen und Wählern verantworten. Insofern ist das der Versuch, über die öffentliche Meinung die Republikaner weiter zu spalten und diejenigen, die eben nicht in Fundamentalopposition zu ihm stehen, dazu zu bringen, seinen Gesetzesvorhaben zuzustimmen.

    Grieß: …, sagt Thomas Jäger, Professor für internationale Politik an der Universität in Köln. Herr Jäger, danke für Ihre Zeit heute Mittag.

    Jäger: Sehr gerne.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.