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"In der Bundesversammlung gibt es keine Koalitionen"

Eine eigenständige Position zur Wahl des Bundespräsidenten sei das Recht der Sozialdemokraten, betont SPD-Generalsekretär Hubertus Heil. Die Parteispitze werde am Montag entscheiden, ob sie Bundespräsident Horst Köhler für eine weitere Amtszeit unterstütze oder einen eigenen Vorschlag mache. Die Vorstellung, dass in der Bundesversammlung jeder Bewerber wiedergewählt werden müsse, führe dazu, dass man das Gremium nicht mehr brauche.

Moderation: Christoph Heinemann | 23.05.2008
    Christoph Heinemann: Noch vor wenigen Tagen galt die Wiederwahl des Bundespräsidenten als sicher, sofern der Amtsinhaber den Hut abermals in den Ring werfen würde. Das hat er gestern getan, aber die Sicherheit ist dahin und das hat mit einem möglichen Kurswechsel der SPD zu tun. Äußerten sich führende Sozialdemokraten kürzlich noch lobend über den Bundespräsidenten, könnte die SPD nun eine eigene Kandidatin ins Rennen schicken. Gesine Schwans Namen wird genannt. Sie ist die Präsidentin der Europa-Universität Viadrina und sie ist bereits einmal gegen Horst Köhler angetreten.

    Abermals ist die Haltung der SPD widersprüchlich und wir hoffen, dass Hubertus Heil jetzt Licht ins Dunkel bringen wird. Wir sind mit dem Generalsekretär der SPD am Autotelefon verbunden. Guten Morgen!

    Hubertus Heil: Schönen guten Morgen, Herr Heinemann. Ich grüße Sie!

    Heinemann: Herr Heil, Peter Struck hat sich bereits vor einiger Zeit für Horst Köhler ausgesprochen. Werden Sie das auch tun?

    Heil: Wir werden am Montag im SPD-Parteivorstand unsere Position in der Bundesversammlung deutlich machen. Ich sage nur ganz grundsätzlich: wir haben Respekt vor der Ankündigung des Bundespräsidenten zu kandidieren. Aber die Vorstellung, dass in einer Bundesversammlung automatisch jeder wiedergewählt werden muss, würde dazu führen, dass man keine Bundesversammlung mehr braucht.

    Die SPD wird selbständig entscheiden. Wir lassen uns da von niemandem von außen was vorschreiben. Die SPD hat heute Geburtstag, nämlich 145-jährigen. So lange gibt es die Sozialdemokratie. Und wir werden als traditionsbewusste und als verantwortungsbewusste Partei am Montag unsere Position deutlich machen. Weder Herr Huber noch Herr Lafontaine werden die Position der SPD bestimmen. Wir entscheiden selbst.

    Heinemann: Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! - Es geht nicht um eine automatische Wiederwahl. Peter Struck hat über den Bundespräsidenten folgendes gesagt, Zitat: "Ich habe an der Arbeit Horst Köhlers nichts auszusetzen. Er hat hohes Ansehen in der Bevölkerung. Was mir besonders imponiert: Er engagiert sich stark für Afrika. Das liegt auch mir am Herzen. Horst Köhler leistet da Beachtliches." Zitat Ende. - Warum sollte man eine solche Persönlichkeit nicht wiederwählen?

    Heil: Ich kann vieles unterschreiben, was gesagt wurde, und trotzdem hat meine Partei das Recht, die eigene Position der Bundesversammlung zu benennen. Und dass es geeignete Persönlichkeiten in den Reihen der SPD gibt, ist im Übrigen kein Geheimnis. Noch mal: Wir werden das Montag im Parteivorstand diskutieren und dann entscheiden. Ich finde schon, dass bei allem Respekt vor Leistungen eines amtierenden Präsidenten man sich auch darüber Gedanken machen kann, wie geht es in Deutschland weiter, was sind an gesellschaftspolitischen Signalen von einem Staatsoberhaupt für unser Land wichtig. Solche Erwägungen können und müssen auch eine Rolle spielen. Ich halte das für vollkommen legitim. Ich finde die Aufregung einiger konservativer Politiker darüber geradezu grotesk.

    Heinemann: Na ja, die Aufregung ist in Ihrer Partei wahrscheinlich nicht weniger laut. Erwarten Sie zum Beispiel von Peter Struck, dass er jetzt am 26. Mai sagt: April, April, ich bin doch nicht für Horst Köhler?

    Heil: Nein. Wir werden am Montag miteinander diskutieren und die engere Führung der SPD - das heißt der Parteivorsitzende, die Stellvertreter, der Fraktionsvorsitzende, auch ich - werden natürlich Orientierung geben, auch unsere Meinung sagen im SPD-Parteivorstand, der dann entscheiden wird. So ist das in der Demokratie, und ich finde das auch vollkommen in Ordnung. Da bitte ich Sie einfach, bis Montag zu warten, weil ich finde die Art und Weise, Vorstände zu überrumpeln, keine vernünftige. Wir werden das am Montag klar machen, was unsere Position ist - selbstbewusst, in der klaren Erwartung, dass wir Recht haben, unsere eigene Position zu markieren, und wie gesagt nach intensiver Diskussion im Vorstand.

    Heinemann: Warum erst am Montag? Kurt Beck hatte angekündigt, sobald sich der Bundespräsident geäußert hat, werde die SPD unverzüglich antworten. Nun sind Sie bereits einen Tag im Verzug.

    Heil: Nein. Ich finde das ist ein bisschen eine alberne Sicht der Dinge. Entschuldigen Sie, Herr Heinemann, bei allem Respekt. Aber wir haben gesagt, dass wir uns aus Respekt nach dem Bundespräsidenten äußern, nicht wie die FDP es gemacht hat oder die CDU zu versuchen, durch Parteipolitisierung im Vorfeld den Bundespräsidenten für sich vereinnahmen zu wollen. Wir haben am Montag Parteivorstand. Wir haben damit deutlich gemacht, dass wir uns nach dem Bundespräsidenten - und zwar zügig - unverzüglich äußern, und ich finde das vollkommen in Ordnung. Aber es ist auch so, dass da ein demokratisches Gremium zusammenkommt - mit dem Vorstand, mit den Fraktionsvorsitzenden der SPD im Bund und in den Ländern. Und es ist vollkommen legitim, dass man da nicht einfach sozusagen eine One-Man-Show macht und eine Ankündigung macht, sondern dass wir das diskutieren und am Montag entscheiden. Ich finde das ein Jahr vor der Bundestagswahl, so wie wir es vereinbart haben, richtig, dass wir uns nach dem Staatsoberhaupt äußern und dass wir das unverzüglich, nämlich Montag tun.

    Heinemann: Sind Sie, Hubertus Heil, für eine Kandidatur von Gesine Schwan?

    Heil: Das werde ich in meiner Partei, in meinem Parteivorstand am Montag sagen, was meine Position ist. Ich finde das richtig, dass man das untereinander diskutiert. Ich sage ganz grundsätzlich: Ich habe nicht nur hohen Respekt, sondern viel Sympathie für Gesine Schwan. Sie ist eine intelligente, eine kluge, eine pragmatische Frau. Ich habe letztes Mal - das ist kein Geheimnis - für Gesine Schwan gestimmt. Ich finde im Übrigen, dass es nicht nur darum geht, dass eine Frau auch mal Bundespräsident werden kann, sondern ich kann mir diese Frau sehr gut vorstellen.

    Heinemann: Mit welchen Stimmen wollte die SPD eine eigene Kandidatin wählen lassen?

    Heil: Ich sage noch mal: Wir machen unseren Vorschlag am Montag, entscheiden, ob wir Horst Köhler unterstützen oder einen eigenen Vorschlag machen. Dann müssen sich andere daran orientieren. In der Bundesversammlung gilt ganz grundsätzlich: Es gibt keine Koalitionen, sondern es gibt Wahlmänner und Wahlfrauen des Bundes und der Länder. Ich habe letztes Mal - den Hinweis gestatte ich mir - auch erlebt, dass es CSU-Abgeordnete gab, die beispielsweise für Gesine Schwan gestimmt haben. Insofern, bei einem Vorschlag muss man immer gucken, dass es keine Koalitionen in der Bundesversammlung gibt, sondern dass es frei gewählte Wahlmänner und Wahlfrauen der Bundesversammlung sind.

    Heinemann: Herr Heil, die Alternativen der SPD wären prickelnd. Entweder lässt sie die eigene Kandidatin mit den Stimmen der Linkspartei wählen, wird also bis zur Bundesversammlung politisch erpressbar sein, oder sie ginge als Verliererin aus der Bundesversammlung und in die Bundestagswahl.

    Heil: Ich verstehe diese Argumente nicht ganz richtig. Ich muss mal nachfragen bei Ihnen: Wissen Sie, wie in einer geheimen Wahl Menschen abstimmen? Ich weiß es nicht! Und noch mal: in der Bundesversammlung gilt, das sind frei gewählte Männer und Frauen. Da gibt es nicht diese Form von Fraktionsdisziplin, die wir in anderen Bereichen erlebt haben. Das zeigt ein Blick in die Geschichte auch der Bundesversammlung. Wie kann man denn ausschließen, wer einen wählt? Das frage ich mich dann hin und wieder doch.

    Heinemann: Aber man muss doch vorher mal Berechnungen anstellen.

    Heil: Klar ist, dass wir als SPD das Recht haben, einen eigenen Vorschlag zu machen. Ob wir das in Anspruch nehmen, das werden wir am Montag entscheiden. Und dann werden wir mal schauen, wie sich das Ganze sortiert. Ich will nur darauf hinweisen: Schwarz-Gelb hat nicht automatisch eine Mehrheit in der Bundesversammlung. Diese Frage richtet sich dann genauso an die anderen, die so tun als hätten sie ein geborenes Recht darauf. Das finde ich nicht in Ordnung. Es geht um Persönlichkeiten in diesem Zusammenhang und da werden Wahlmänner und -frauen genau hingucken, wen sie wählen. Die SPD wird sich da nicht an anderen Parteien orientieren, weder rechts noch links. Wir werden unsere Position für die Bundesversammlung markieren.

    Heinemann: Schließen Sie denn aus, dass eine SPD-Kandidatin mit den Stimmen der Linkspartei gewählt würde?

    Heil: Schließt die CDU aus, dass es Stimmen aus der Linkspartei für Herrn Köhler geben könnte, frage ich mich? Also das ist, wie ich finde, keine vernünftige Frage: Wie kann man denn ausschließen, von wem man gewählt wird? Das scheint mir nicht ganz logisch.

    Heinemann: Man muss doch vorher mal die Stimmen zusammenrechnen, die ein eigener Kandidat oder eine eigene Kandidatin eventuell bekommen könnte.

    Heil: Noch mal, es gibt in der Bundesversammlung keine Koalitionen wie in Parlamenten, sondern es gibt Wahlmänner und -frauen, die entscheiden in diesem Zusammenhang. Wir wissen, wie die Stimmverhältnisse sind in diesem Zusammenhang, aber das darf nicht dazu führen, dass man glaubt, daraus Parteienkonstellationen ableiten zu können, sondern es geht um die Persönlichkeiten, die da zur Wahl stehen. Die Bundesversammlung tritt einmal zusammen, und in der Bundesversammlung gibt es keine Koalitionen.

    Heinemann: Herr Heil, ja und nein zu einer Zusammenarbeit mit der Linkspartei vor der Hamburg-Wahl. Ja und nein zu einem Steuer- und/oder/oder nicht Abgabenkonzept. Ja und nein zu einer Erhöhung der Diäten der Bundestagsabgeordneten. Ja und nein zum Empfang des Dalai Lama. Deutliche Signale aus der SPD für eine Unterstützung Horst Köhlers; nun die Möglichkeit einer SPD-Gegenkandidatin. - Ist die SPD von allen guten Geistern verlassen?

    Heil: Das ist Ihre Sicht der Dinge, offensichtlich nicht meine. Ich sage ganz klar Ja auch zum Hören des Deutschlandfunks. Aber Spaß beiseite: Die SPD hat in dieser Koalition klare Linien. Wir haben unsere Position zum Mindestlohn deutlich gemacht, setzen ihn Stück für Stück durch. Wir haben nach schwieriger Diskussion eine klare Linie zum Thema Bahn-Reform deutlich gemacht. Wir werden in der kommenden Woche Orientierungspunkte in der Steuer- und Abgabenpolitik vorlegen. Also wenn in der CSU im Moment und in der CDU so viel Klarheit herrschen würde wie in der SPD, dann würde diese Koalition auch schneller vorankommen.

    Heinemann: Haben Sie gerade "Klarheit" gesagt?

    Heil: Ja! Ich sage das sehr deutlich. Wir haben als Sozialdemokraten einen festen Plan, was wir in dieser Koalition durchsetzen wollen. Wir benennen unsere Themen. Wir haben klar gemacht, dass wir im Bereich der Haushalts- und Finanzpolitik an unserem Kurs festhalten - der Konsolidierung, der Zukunftsinvestitionen - und nicht jeden Tag neue Versprechungen gemacht, wie die CSU das im Moment tut. Wenn Sie eine andere Sicht der Dinge haben, dann kann ich das nicht vollständig ändern, aber ich bin der festen Überzeugung, dass wir die Dinge, die wir jetzt noch zu klären haben, Stück für Stück klären werden, auch auf der Strecke Richtung 2009.

    Heinemann: Muss die SPD vor der P-, der Präsidentenfrage, und der K-, der Kanzlerfrage, nicht erst einmal die V-Frage beantworten, das heißt jemanden finden, welcher oder welche die Partei auch führt?

    Heil: Wir haben eine gewählte Parteiführung mit Kurt Beck und den Stellvertretern. Dabei bleibt's!

    Heinemann: Wer führt die SPD?

    Heil: Der SPD-Parteivorstand mit Kurt Beck an der Spitze, gemeinsam im Team mit den Stellvertretern.

    Heinemann: Und führen, das beinhaltet auch, dass man zu ein und demselben Thema ja und nein sagt?

    Heil: Nein. Das heißt, zu diskutieren und Dinge zu klären. Aber das heißt nicht, zu glauben, dass Politik unter demokratischen Parteien immer auf den Tisch hauen ist, sondern man handelt nach dem Motto: Zuhören, Entscheiden und Handeln. Genau das machen wir auch in dieser Frage. Ich habe zumindest noch Respekt vor gewählten Gremien, die demokratisch legitimiert sind.

    Heinemann: Herr Heil, hat Kurt Beck seinen Anspruch auf eine Kanzlerkandidatur verwirkt, oder wollen Sie mit seinem Hü und Hott in die Bundestagswahl reiten?

    Heil: Ich habe wie gesagt eine andere Wertung. Dass Sie ständig diese Wertung wiederholen, muss ich mir nicht zueigen machen. Ich sage nur sehr deutlich: Kanzlerkandidatenfragen werden zum richtigen Zeitpunkt geklärt. Wenn wir jetzt bei uns Kanzlerkandidatenfragen ausrufen würden, dann wäre das übrigens für die Frage, was wir in dieser Koalition voranbringen, gemeinsam auch mit unseren Partnern, nicht gut, sondern das wird rechtzeitig Ende des Jahres, Anfang nächsten Jahres geklärt, und da wird der Parteivorsitzende einen klaren Vorschlag machen.