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"In der Hochschulpolitik geben sie sich nicht viel"

Wissenschaftler sind ja immer aufgefordert über den Tellerrand zu gucken. Viele unsere klugen Köpfe sind derzeit in den USA und beobachten mit Interesse den Wahlkampf, soweit möglich. Sie fragen sich natürlich auch, was haben die Parteien zum Thema Hochschulpolitik anzubieten. Ein entscheidender Punkt bei der Briefwahl.

17.09.2002
    In fünf Tagen ist es soweit: Am 22. September wählt Deutschland seinen 15. Bundestag. 61,2 Millionen Deutsche sind wahlberechtigt. Die meisten werden ihre Stimme in ihrem Wohnort abgeben - doch nicht jeder hat dazu die Möglichkeit. Hunderte deutscher Studenten und Professoren zum Beispiel, die diesen Herbst im Ausland studieren und lehren sind nächstes Wochenende gar nicht zuhause - viele davon werden ihre Stimme per Briefwahl abgeben. Unser Reporter Michael Naumann hat Deutsche an einem College in den USA getroffen und erfahren, dass die Distanz zum deutschen Wahlkampf ganz neue Perspektiven, zum Beispiel beim Thema Bildung, eröffnen kann.

    Für Sabine Heuer aus Leipzig wird die anstehende, die zweite Bundestagswahl sein. Und gleichzeitig auch schon die zweite, die die 24-Jährige nur per Briefwahl miterlebt. Denn während Sabine vor vier Jahren ein Semester lang in Schweden war, verfolgt sie den aktuellen deutschen Wahlkampf gerade von Amerika aus. Im März hat sie in Ohio ein zweijähriges Master-Studium begonnen.

    Ich hab das damals wie heute als wichtig empfunden. Und das ist auch was wo ich wirklich gern dran teilnehmen möchte. Das ist meine Möglichkeit, Einfluss zu nehmen auf’s politische Sustem und das möchte ich auch wahrnehmen.

    An dem College, an dem Sabine jetzt seit ein paar Monaten studiert, ist Annette Steigerwald schon viele Jahre Professorin für Deutschkunde. Die gebürtige Bayerin hat Anfang der 80er Jahre ihre Heimat verlassen und seither immer nur per Brief gewaehlt.

    Ich glaube, man hat ne ganz andere Perspektive, weil man ja nicht selbst im Land ist und das heisst, was mich mehr interessiert, sind die größeren Themen Größere Themen für mich sind: welche Umweltpolitik wird vertreten, welche Zuwanderungspolitik, Ausländerpolitik und Sachen, die gesamteuropäisch wichtig sind.

    Professorin Steigerwald achtet natürlich auch und vor allem auf bildungspolitische Aspekte, erst recht weil sie Uni-Erfahrungen aus zwei Ländern zusammenbringen kann. Für Steigerwald steht zum Beispiel fest, dass – egal, welche Regierung am 22.9. gewählt wird – der Weg an Studiengebühren für deutsche Hochschulen in den nächsten Jahren nicht vorbei führen wird

    Ich bin jetzt sehr lange in einem System, wo in der Bildung gilt: Das was Du haben willst, dafür musst Du auch irgendwas bezahlen. Und ich finde das eigentlich auch vertretbar, denn dadurch haben die Studenten eine wesentlich größere Mitbestimmung über die Qualität.

    Und selbst Studentin Sabine Heuer stimmt zu, dass Studiengebühren in Zukunft nicht von vornherein verteufelt werden sollten.

    Ich möchte auf keinen Fall ein amerikanisches Uni-System in Deutschland haben, aber eine finanzielle Umverteilung und ein Mitspracherecht für Studenten. Schlichtweg weil sie diejenigen sind, die für die Leistung bezahlen und weil sie auch Bildung oder Lehrer als Dienstleistung empfinden dürfen und eben auch evaluieren dürfen...und nicht nur immer die kleinen Dummerchen, die ihren Professor anhimmeln. Das ist schon ein neuer Einblick, den ich vorher so nicht gehabt habe.

    Von dem ganzen Wahlkampf-Rummel um Gerhard Schröder und Edmund Stoiber hat Sabine von den USA aus nicht soviel mitbekommen. Auch nicht von den TV-Duellen. Zum Glück, wie sie sagt, denn ihr ist der Wahlkampf zusehr auf Fassaden-Malerei ausgerichtet.

    Mich interessieren diese TV-Duelle herzlich wenig. Ich hab nicht das Gefühl, dass ich was verpasse, wenn ich hier bin. Ich weiss auch nicht, ob mich das beeinflussen würde, denn es geht ja bloss darum, wie sie da rüberkommen. Es geht ja gar nicht mehr darum, was sie sagen, denn sie ähneln sich so sehr in dem was sie sagen, dass es wirklich bloss darum geht, wie sie sich da eben präsentieren. Und das sollte eigentlich nicht ausschlaggebend sein für die Wahl, wenn es um Inhalte geht.

    Dozentin Annette Steigerwald sieht das nicht ganz so radikal. Kein Wunder - in ihrer jetzigen Heimat Amerika gehoeren Fernsehduelle seit ueber vier Jahrzehnten zur Praesidentschaftswahl. Nur in Telefonaten mit der Familie in Deutschland faellt Steigerwald dieser Unterschied wieder auf.

    Meine Eltern sagen zum Beispiel auch: Was soll denn das mit diesem Duell... Ja, ich bin das halt von hier gewohnt. Warum nicht!? Macht doch Spaß...Rammadamma...

    (Autor: Michael Naumann)

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