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"In der Regel sind wir eher so flickschusternd unterwegs"

"Wir würden uns im Gesundheitswesen viel häufiger wünschen, dass man das Gesamtproblem betrachtet und nicht immer nur in Detailproblemen sich bewegt", sagt Johannes Bruns. Für den Generalsekretär der Deutschen Krebsgesellschaft ist der nationale Krebsplan ein guter Weg. Es wäre auch "sinnvoll, das bei anderen Krankheiten zu tun".

Johannes Bruns im Gespräch mit Friedbert Meurer | 23.06.2009
    Friedbert Meurer: Vor gut einem Jahr hat Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt die Idee für einen nationalen Krebsplan vorgestellt. Es geht dabei darum, wie das Gesundheitssystem möglichst effektiv den Patienten helfen und Krebserkrankungen vorbeugen kann. Ein Jahr lang wurde geplant und sich getroffen, nun gibt es erste Zwischenergebnisse, die heute auf der nationalen Krebskonferenz in Berlin vorgestellt werden.
    Johannes Bruns ist Generalsekretär der Deutschen Krebsgesellschaft. Das ist die älteste und größte onkologische Fachgesellschaft in Deutschland. Guten Morgen, Herr Bruns!

    Johannes Bruns: Schönen guten Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: Was ist Ihr Wunsch an einen nationalen Krebsplan?

    Bruns: Der nationale Krebsplan ist für uns erst mal was sehr Positives, weil es eigentlich relativ neu ist, im Gesundheitswesen über gesamte Krankheitsbilder einfach mal zu diskutieren, alle Beteiligten an einen Tisch zu holen und zu versuchen, die Probleme, die wir in Zukunft durch steigende Krankheitszahlen haben, mehr oder weniger auch mal frühzeitig anzugehen, um sie in Gänze zu betrachten und nicht immer nur einzelne Bereiche in einzelnen Sektoren.

    Meurer: Eine Maßnahme, an die gedacht ist und die im Fokus steht, ist die Organisation von Krebszentren. Wie sollten Krebszentren aussehen?

    Bruns: Krebszentren sollten Kompetenz nach außen darstellen, die glaubhaft ist, die überprüfbar ist, so dass Patienten und auch einweisende Ärzte und sonstige, die an dieser Stelle in diesem Netzwerk beteiligt sind, sich orientieren können und wissen nach dem Motto, wenn ich diese Diagnose gestellt bekomme, ist die Versorgung in diesem Zentrum nach aktuellen Leitlinien am besten organisiert und da sind die Erfolgschancen, mit meiner Erkrankung auch die besten Heilungschancen zu haben, gesichert.

    Meurer: Muss ein Krebszentrum, Herr Bruns, sich immer unter einem Dach in einem Gebäude befinden?

    Bruns: Nein. Ein Krebszentrum wird sehr schnell und gerne mit einem Haus verbunden, aber im Grunde genommen ist die Krebstherapie eine der Therapien, wo das Thema interdisziplinäres Denken, mehrere Fachgebiete, Strahlentherapeuten, Pathologen, Internisten, Chirurgen, aber auch die Versorgung über die Sektorengrenze, das was Ulla Schmidt eben angesprochen hat, eine Rolle spielt. Das Thema stationär, also Krankenhaus und niedergelassene muss in einem Gesamtnetzwerk so für den Patienten organisiert werden, dass er nicht dieses Gefühl hat, dass er, wenn er aus dem Krankenhaus herauskommt, über eine Grenze geht, um in der niedergelassenen Versorgung erst wieder neu mit seiner Erkrankung anzufangen, sondern das muss wie ein Kontinuum, wie ein Netzwerk um den Patienten herum organisiert sein. Das ist der Zentrumsbegriff.

    Meurer: Diese Krebszentren gibt es ja im Moment auch schon. Sollen die jetzt einfach häufiger werden und überall zu finden sein?

    Bruns: Vor vielen Jahren hat die Krebsgesellschaft ja angefangen, mit den sogenannten Brustzentren mal ein erstes Pilotprojekt zu etablieren. Die sind mittlerweile flächendeckend in der Republik vorhanden. Wenn man sich die Zentren mal anschaut, da werden schon mehr als 80 Prozent in etwa 260 Zentren behandelt, 80 Prozent der neuerkrankten Patienten. Und wenn man sich dann vorstellt, dass die anderen 20 Prozent in etwa 600 bis 700 Kliniken in der Republik behandelt werden, dann merkt man schon, dass diese Expertise auch notwendig ist, weil ansonsten kommen wir dazu, dass manche Zentren einfach Zahlen in Behandlungszahlen haben, die einfach betriebswirtschaftlich unsinnig sind und letztendlich auch die Erfahrungsmöglichkeiten gar nicht bieten, um in einem Zentrum wirklich auch Fortschritte vernünftig umsetzen zu können.

    Meurer: Nun scheint es ja so zu sein, Herr Bruns, dass 90 Prozent aller Krebsuntersuchungen oder Operationen, wie auch immer, ambulant ausgeführt werden. Was bedeutet das denn für die Einrichtung von Krebszentren?

    Bruns: Der Patient, der an Krebs erkrankt, hat in der Regel eine chronische Erkrankung, und wir versuchen, sie immer weiter zu chronifizieren. Viele entscheidende Punkte werden natürlich im Krankenhaus durchgeführt, aber man versucht natürlich auch, diese Möglichkeiten, die Sie gerade beschrieben haben, immer wieder zu optimieren und maximal zu nutzen, um Patienten im Bereich der niedergelassenen Versorgung heimatnah, also wohnortnah versorgen zu können, um ihnen auch sozusagen das Herausreißen aus dem täglichen Leben so weit wie möglich zu ersparen, und da ist es zwingend notwendig, die Möglichkeiten, die wir in den letzten Jahren auch entwickelt haben, ambulant zu behandeln, durchzuführen. Wir brauchen allerdings auch ein gutes Kontinuum, wenn es dem Patienten wieder schlechter geht, er ein Rezidiv hat, also einen Neuerkrankungsausbruch hat, dass er dann eventuell auch nahtlos wieder in ein mit dem Niedergelassenen kooperierendes Krankenhaus überwiesen werden kann. Das ist eben der Netzwerkgedanke, so viel wie möglich - und das ist ja der Grundgedanke - für den Patienten in gewohnter Umgebung, aber da wo es notwendig ist und wo spezifische Therapien notwendig sind auch in einem etwas, vielleicht befremdlicheren Umfeld wie einem Krankenhaus.

    Meurer: Wie groß ist der Konkurrenzkampf zwischen Krankenhäusern und niedergelassenen Ärzten?

    Bruns: Ich sage mal, wenn man fachlich mit den Kollegen der Niederlassung redet und mit den Krankenhäusern, dann kommen die relativ schnell übereinander. Nur dann, wenn die große Grenzziehung der Finanzierung, die in unserem Gesundheitswesen ja geteilt ist zwischen Versorgung im niedergelassenen Bereich und im Krankenhausbereich, wenn an dieser Stelle Diskussionen auf Strukturveränderungen kommen, dann wird es in der Regel scheinbar unmöglich, diese Grenze zu überwinden, weil sie sich wie ein tiefer Graben durch dieses Gesundheitswesen zieht. Das mag, ich sage mal, bei manchen operativen Eingriffen, die man im Krankenhaus machen muss, nicht so entscheidend sein; nur bei einer Erkrankung, wo regelmäßig ambulante Phasen, mal eine stationäre Phase immer wieder wechseln, ist dieser Wechsel natürlich fatal, weil da ist es schwierig, dann medizinisch sinnvolle Dinge, auf die man sich sehr schnell einigen kann, auch so zu organisieren, dass sie organisatorisch gut ablaufen.

    Meurer: Nun organisiert ja die Deutsche Krebsgesellschaft, deren Generalsekretär Sie sind, alle zwei Jahre den Deutschen Krebskongress. Brauchen wir da noch einen nationalen Krebskongress?

    Bruns: Nein. Wir begrüßen diese Initiative sehr, die von der Politik auch ausgegangen ist, vom Ministerium, wo die uns gefragt haben, das zu machen. Wie am Anfang schon gesagt: Es ist ein völliges Novum, in diesem Gesundheitswesen über die gesamten Belange eines Krankheitsbildes oder einer Krankheitsart zu sprechen und darüber zu überlegen, was müssen wir tun. In der Regel sind wir eher so flickschusternd unterwegs, dass wir sagen, da machen wir ein bisschen was im Krankenhaus, bei der entsprechenden Abrechnung verändern wir irgendwas, da führen wir eine neue Diagnosemethode ein, aber wir betrachten ganz selten Dinge in der Gesamtheit ihrer Belange und da ist es sicherlich auch sinnvoll, das bei anderen Krankheiten zu tun. Nur Krebs bietet sich an, weil es einfach durch seine Chronifizierung, durch seine Schwere, die sich für den einzelnen Patienten darstellt, eine Krankheit ist, an der sich das primär erst mal anbietet, es zu tun. Das ist neu, aber wir würden uns das im Gesundheitswesen viel häufiger wünschen, dass man das Gesamtproblem betrachtet und nicht immer nur in Detailproblemen sich bewegt.

    Meurer: Krebsbehandlungen sind teuer. Werden solche Behandlungen künftig rationiert werden?

    Bruns: Wenn man mal die gesamten statistischen Zahlen, die wir dazu im Statistischen Bundesamt haben, anschaut, dann ist Krebs bei den Gesamtausgaben etwa mit sieben Prozent an fünfter, sechster Stelle der Krankheitsarten. Von daher ist das Gesamtfeld Krebs gar nicht so teuer, nur die Entwicklungen in den letzten Jahren sind, weil Industrie, Pharmaindustrie natürlich ganz wesentliche Dinge auch vorbereitet und entwickelt für die Krebstherapie, natürlich mit neuen Entwicklungen, mit Forschungsausgaben belastet, die dann in das Gesundheitswesen sinnvollerweise übergeben werden müssen. Und dort die Diskussion zu finden, was ist jetzt der richtige Preis - die einen sagen, es ist viel zu teuer; die anderen sagen an der Stelle nach dem Motto, das ist das, was es kostet, wenn man Dinge neu entwickelt -, diese Diskussion müssen wir führen, die ist angelegt. Von vornherein global zu sagen, in das eine oder andere Lager sich zu schlagen und zu sagen, es ist zu teuer oder so, das, glaube ich, ist momentan nicht sinnvoll. Man muss sich die Zahlen anschauen und muss dann bewerten - und wir haben ja auch die Diskussion über Kosten-Nutzen-Bewertung - und dann überlegen im Einzelfall des einzelnen Medikamentes oder der einzelnen Maßnahme, ist sie für das, was sie erreicht, zu teuer oder nicht. Darüber muss man eine öffentliche Diskussion führen, die eher eine gesellschaftliche Diskussion ist. Die darf der Arzt nicht mit seinem Patienten ganz alleine führen, sondern darüber müssen wir in der jetzigen Situation sicherlich eine eher gesellschaftliche Diskussion führen.

    Meurer: Johannes Bruns, Generalsekretär der Deutschen Krebsgesellschaft, zum nationalen Krebskongress heute in Berlin. Danke und auf Wiederhören, Herr Bruns.

    Bruns: Auf Wiederhören!