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"In der Sahelzone zeigt sich nun das Scheitern" der Terrorismusbekämpfung

Einer der großen Fehler in der Terrorbekämpfung in den letzten Jahren sei, dass man wie in Mali immer wieder auf autoritäre Regime gesetzt habe, die zwar Teil der Lösung sein können, "aber gleichzeitig immer Teil des Problems waren", sagt der Terrorismusexperte Guido Steinberg.

Guido Steinberg im Gespräch mit Dirk Müller | 19.01.2013
    Dirk Müller: Informationen von Alexander Göbel. Bei uns am Telefon ist nun Terrorexperte Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Guten Tag!

    Guido Steinberg: Guten Tag, Herr Müller!

    Müller: Herr Steinberg, wir haben gerade unseren Korrespondenten gehört. Ist das flächendeckend so der Fall, sind das alles Kämpfe gegen Islamisten?

    Steinberg: Ja, die Organisationen, die den Aufstand dort in Nordmali führen, sind mittlerweile alle Islamisten, seitdem sie eine Konkurrenzorganisation im letzten Sommer ausgeschaltet haben. Das Problem ist allerdings, dass dieses Gut-Böse, diese Gut-Böse-Dichotomie, die man jetzt oft in den Medien findet, nicht ganz die Wirklichkeit widerspiegelt, weil es sich eben auch um eine Revolte der Tuareg im Norden des Landes handelt.

    Eine der drei großen Organisationen, mit denen wir es dort zu tun haben, Ansar ad-Dine oder Helfer des Islam, besteht vorwiegend aus diesen Tuareg, und man muss eben immer darauf hinweisen, dass der malische Staat entscheidend an dieser Situation im Norden des Landes mitbeteiligt war. Insofern gehen viele der militärischen Lösungsversuche jetzt ins Leere. Man braucht auch ein politisches Konzept, und das ist noch nicht zu sehen.

    Müller: Sie weisen auf die Medien in diesem Zusammenhang, also unisono wird das irgendwie legitimiert – wir haben das auch viel in der Redaktion diskutiert. Meine Frage jetzt, um das weiterzudrehen: In der Politik, ist dort auch dieses Gut-und-böse-Bild zementiert?

    Steinberg: Dieses Bild ist noch nicht zementiert, aber das ist ein, in gewisser Weise ein Reflex, den wir in den letzten Jahren sehr häufig beobachten können. In dem Moment, wenn von Islamisten und El Kaida die Rede ist, dann wird die komplizierte Situation vor Ort meines Erachtens nicht mehr in all ihrer Komplexität wahrgenommen. Da überwiegt dann die Angst und das Bedürfnis, den Gegner dieser Islamisten zu stützen. Und ich denke, gerade im Fall Mali, wo sich dieses islamistische Element eben so deutlich mit der Tuareg-Revolte verbindet, also einer Tuareg-Revolte, die anschließt an ältere Revolten, die schon im Jahr 1963 begonnen haben, da ist dieses Bild eben grob vereinfacht, und ich habe etwas Sorge, dass sich das in Frankreich ohnehin auf die Politik auswirkt, aber insgesamt auch bei uns.

    Müller: War die französische Intervention aus Sicht des Westens, jetzt so, wie es dargestellt wird auch, aus Washington, aus London, aus Paris, auch aus Berlin, notwendig?

    Steinberg: Ja, ich denke, sie war alternativlos. Trotzdem ist diese Intervention ja ein Indiz für das Scheitern der Politik. Zum einen ist seit langer Zeit bekannt, dass eine Militärintervention in irgendeiner Form wahrscheinlich notwendig sein wird. Man hat sich nicht darauf einigen können, es gibt, so wie es scheint, auch kein politisches Konzept, was dahintersteht. Niemand weiß so genau, wie denn eigentlich dieser malische Staat wieder auf die Beine komme soll, wie denn dort eine funktionierende Armee aufgebaut werden soll und wie denn dann am Ende verhindert werden kann, dass sich diese malische Armee, wenn sie denn überhaupt diesen Konflikt gewinnen kann, im Norden nicht wieder, wie das in der Vergangenheit auch war, als Besatzungsarmee aufführt. Und deswegen ist die kurzfristige Entscheidung der Intervention sicherlich richtig, aber sie ist ein Indiz dafür, dass in den letzten Jahren fast alles in dieser Region falsch gelaufen ist.

    Müller: Können wir politisch, demokratiepolitisch und theoretisch gut damit leben, an der Seite der malischen Armee zu kämpfen?

    Steinberg: Nein, das können wir nicht, und ich denke, das ist auch einer der Gründe dafür, warum zumindest Teile der Bundesregierung da so zögerlich sind. Es ist einer der großen Fehler in unserer Terrorismusbekämpfung in den letzten Jahren, dass wir immer wieder auf autoritäre Regime in der Region gesetzt haben, die zwar Teil der Lösung eines solchen Problems sein können, aber gleichzeitig immer Teil des Problems waren. Und in der Sahelzone zeigt sich nun das Scheitern. Man muss sich einfach nur mal das letzte Jahrzehnt nach dem 11. September 2001 anschauen. Seit 2002 haben die Amerikaner und die Franzosen und ihre Verbündeten die Sahelzone als einen potenziellen Herd des islamistischen Terrorismus definiert. Zehn Jahre später ist trotz aller Maßnahmen, die in dieser Zeit ergriffen wurden, genau das passiert, und wir müssen uns tatsächlich Fragen, ob nicht erstens unsere Unterstützung für diese Regime, die vorbehaltlose, kritiklose Unterstützung für diese Regime und zweitens die Neigung, dann doch recht leichtfertig zu intervenieren, etwas mit diesem Anwachsen des Problems zu tun hat.

    Müller: Also steckt, Herr Steinberg, wenn ich das etwas weiter interpretiere, in jedem von uns, in jedem der verantwortlichen Politiker im Westen, ein Stück George Bush.

    Steinberg: Ja, in gewisser Weise, aber man sollte George Bush da tatsächlich auch gerecht werden. George Bush hat einen ganz schrecklichen Fehler gemacht mit dem Einmarsch im Irak, aber die Diagnose des Problems durch die Bush-Administration nach dem 11. September war korrekt, die US-Administration hat sehr viel genauer gesehen, dass der islamistische Terrorismus in der Auseinandersetzung mit autoritären Regimen entsteht. Dort wird die islamistische Opposition unterdrückt, sie geht ins Ausland, sie sucht sich neue Handlungsmöglichkeiten, und das ist der Ursprung von El Kaida gewesen. Das Tragische an der Bush-Administration ist, dass sie daraus die falschen Konsequenzen gezogen hat und dann das Problem meines Erachtens perpetuiert hat. El Kaida wäre heute bei Weitem nicht so stark, wenn am 11. September 2001 eine halbwegs vernünftige US-Administration im Amt gewesen wäre.

    Müller: Ist das Tragische an der Amtszeit Hollandes, die noch nicht so lange währt, dass er innenpolitisch bislang noch nichts zustande bekommen hat?

    Steinberg: Ja, das ist sicherlich ein Problem für ihn. Allerdings ist da im Zusammenhang mit dieser Mali-Intervention natürlich auch einiges zu Bruch gegangen. Er stand ja dafür, französische Truppen etwas zurückhaltender einzusetzen als sein Vorgänger Sarkozy, und jetzt ...

    Müller: Aus Afghanistan hat er ja zurückgezogen.

    Steinberg: Genau, und jetzt ist er gewissermaßen unter Druck geraten: Als sich abzeichnete, dass der malische Staat zusammenbricht, musste er handeln – ich halte das auch für alternativlos –, aber er musste in einer Situation handeln, in der die Erfolgsaussichten denkbar schlecht sind, unter anderem deshalb, weil alle Verbündeten dann doch so tun, als sei das eher ein französisches Problem, da ist man meines Erachtens auch zu wenig solidarisch. Und man müsste die Franzosen im Moment drängen, sich verstärkt um die Politik zu kümmern. Die Franzosen neigen eben doch in vielen Fällen immer noch zu harten militärischen Lösungen, die dann auch die Probleme vor Ort nicht längerfristig lösen können.

    Müller: Bundestagspräsident Norbert Lammert hat nun gesagt, was wir tun, was die Deutschen im Moment tun, nämlich zwei Transall-Maschinen zur Verfügung zu stellen, das ist viel zu wenig. Auf der anderen Seite sagen Sie, Berlin vermisst das politische Konzept. Sollten wir dennoch mehr tun?

    Steinberg: Ja, ich denke, wir sollten mehr tun. Der Außenminister hat ja dieses politische Konzept bereits angemahnt, Berlin ist da allerdings in einer schwierigen Situation. Zunächst einmal sollte hier eine exakte Definition unserer Interessen stehen. Wenn wir tatsächlich der Meinung sind, oder beziehungsweise wenn die Bundesregierung der Meinung ist, dass in Mali die innere Sicherheit Europas gefährdet ist, wie man das so oft hört, dann müsste diese tatsächlich militärisch und politisch sehr viel mehr tun. Wenn sie nicht der Meinung ist, dann wäre das durchaus ein Argument, zurückhaltender zu sein, auf politische Lösungen zu pochen, dann aber in diesem politischen Bereich tatsächlich sehr, sehr viel aktiver zu werden, als das in den letzten Monaten der Fall war.

    Müller: Bei uns in den "Informationen am Mittag" im Deutschlandfunk, Terrorexperte Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Danke fürs Gespräch und schönes Wochenende!

    Steinberg: Sehr gerne, danke!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.