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"In der Wirtschaft sind wir deutscher als die Deutschen"

"Es ist gut, zum Klub dazuzugehören", sagt Estlands Staatspräsident Toomas Hendrik Ilves knapp zweieinhalb Jahre nach der Einführung des Euro. Die Dominanz Deutschlands in der Währungsunion sei gut, dennoch müssten auch die Verdienste anderer Länder berücksichtigt werden.

Toomas Hendrik Ilves im Gespräch mit Gerd Breker | 10.07.2013
    Peter Kapern: Das Baltikum und der Euro – Lettland war 2008 fast bankrott. Nun wird das Land sehr bald schon Mitglied der Euro-Zone, zum 1. Januar 2014 nämlich. Das haben die EU-Finanzminister gestern so beschlossen. Ministerpräsident Valdis Dombrowskis ist optimistisch, nach dem Motto: Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht und jetzt helfen wir Europa. Lettlands baltischer Nachbar ist Estland, das aktuell noch jüngste Mitglied der Euro-Zone. Seit dem 1. Januar 2011 ist das Land dabei. Gelegenheit, eine Zwischenbilanz zu ziehen. Wie ist es Estland mit dem Euro bisher ergangen? Das hat mein Kollege Gerd Breker den Staatspräsidenten gefragt, Toomas Hendrik Ilves, und er hat ihm zunächst geschildert, dass auch das Leben mit dem Euro nicht alle Probleme löst.

    Toomas Hendrik Ilves: Größte Probleme! Sie beginnen mit den großen Problemen. Das größte Problem ist, dass Westeuropa glaubt, Osteuropa, das sind graue Menschen, die in grauen Häusern leben und ein graues Leben führen. Auch im neunten Jahr nach dem Beitritt zur Europäischen Union gibt es immer noch eine Teilung in West- und Osteuropa.
    Andererseits: In der Wirtschaft sind wir deutscher als die Deutschen. Unser Defizit liegt bei zehn Prozent, vorher sieben Prozent, aber wir mussten Schulden machen, um den ESM zu erfüllen. Wir gehören zu den wenigen, die die Maastricht-Kriterien tatsächlich einhalten.
    Wir haben wie andere auch unter der Finanzkrise gelitten. Doch jetzt geht es schon besser. Das Wachstum liegt bei etwa drei Prozent. Die Arbeitslosigkeit liegt unter dem EU-Durchschnitt, ist aber immer noch ein großes Problem. Neun Prozent sind einfach zu viel.

    Gerd Breker: Wie schätzen Sie die Rolle Deutschlands in der Finanzkrise ein? Soll die Kanzlerin eine stärkere Führungsrolle übernehmen?

    Ilves: Ja, für uns alle! Wir unterstützen ihre Positionen. Wir glauben, wir gehen den richtigen Weg, bezogen auf die Finanz- und Haushaltspolitik. Wir gehören zu den Staaten, die das Richtige tun. Manchmal hat man den Eindruck, dass nur Deutschland das Richtige tut. Das stimmt nicht. Ich stimme Robert Sikorski zu, der auch eine stärkere Führungsrolle von Deutschland in Europa sich wünscht, nicht nur in der Finanz- und Haushaltspolitik, sondern in politischer Hinsicht.

    Breker: Was hat Estland die Einführung des Euro gebracht?

    Ilves: Es hat das Kapital der ausländischen Investoren zurückgebracht, das bei der Finanzkrise aus dem Land aus Angst vor der Inflation abgezogen wurde. Mit den Entscheidungen von 2010, Ecofin und so, kam es zurück, mit jedem Schritt ein bisschen mehr. Das Leben ist teurer geworden, die Menschen in Estland können die Preise nun etwa mit denen in Deutschland vergleichen. Das war vorher schwieriger. Wir sind für Integration. Wir sind auf hohem Niveau bei den Mitgliedsbeiträgen wie auch bei den Beiträgen für die Unterstützung des Euro. Es ist gut, zum Klub dazuzugehören.

    Breker: Welche Lehren müssen aus Ihrer Sicht aus der Finanzkrise gezogen werden?

    Ilves: Eine Lehre ist, die Wirtschaft nicht überhitzen zu lassen. Haushaltsdisziplin! Eine Lektion ist, dass, wenn etwas schlecht läuft und Du siehst es, dann nicht zu reagieren. Wir haben sofort die Ausgaben gekürzt. Viele Regierungen aber haben die notwendigen Entscheidungen aufgeschoben. Nur je länger Du wartest, umso schlimmer wird die Krise, weil Du mehr ausgibst, als durch die Steuer gedeckt ist.

    Breker: Denken Sie, in der Finanzkrise ist das Schlimmste schon überstanden?

    Ilves: Wenn ich das wüsste, dann wäre ich ein reicher Mann.

    Kapern: Gerd Breker war das im Gespräch mit dem estnischen Staatspräsidenten Toomas Hendrik Ilves.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.