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"In Deutschland gibt es keine Organmafia"

Die Manipulationen bei der Spenderorganvergabe in Regensburg und Göttingen sind angesichts von 50.000 Transplantationen in den letzten zehn Jahren Einzelfälle, sagt Frank Montgomery von der Bundesärztekammer. Dennoch schlägt er ein Sanktionssystem bei Verstößen vor - bis hin zur Schließung von Transplantationszentren.

Das Gespräch führte Dirk Müller | 27.08.2012
    Dirk Müller: Wir brauchen eine stärkere Kontrolle, das ist seit Wochen von vielen Seiten zu hören. Zu sehr ist das Vertrauen erschüttert in das System Organspende und Transplantation in Deutschland. Die manipulierten Fälle an den Unikliniken in Göttingen und in Regensburg haben einen Verdacht auch wieder ganz groß werden lassen: Wer reich ist, wer Beziehungen hat, der ist eher an der Reihe mit einer Spenderniere, einem Herzen oder einer Spenderleber, wer reich ist, bekommt vielleicht sogar auch das bessere Organ. Eine Spitzenrunde in Berlin will über notwendige Schritte, über notwendige Konsequenzen beraten.
    Was soll, was muss passieren bei der Organspende? Darüber sprechen wir jetzt mit Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer. Guten Morgen.

    Frank Ulrich Montgomery: Guten Morgen, Herr Müller.

    Müller: Herr Montgomery, ist hier ein ganzes System gescheitert?

    Montgomery: Nein, das System ist überhaupt nicht gescheitert. Sie dürfen nicht vergessen: Wir haben in dem Zeitraum über 50.000 Transplantationen gehabt und haben in einem einzigen Fall ein schwerwiegendes kriminelles Verhalten eines Einzelnen. Daran scheitert kein System. Das gibt es in staatlichen Systemen, das gibt es in Selbstverwaltungssystemen. Hier muss man aufarbeiten und hier muss man Pflöcke einschlagen, dass sich das nicht wiederholen kann. Aber daraus ein Scheitern zu konstruieren, hielte ich für grandios überzogen.

    Müller: Wenn man in den vergangenen zwei, drei Wochen immer wieder auch mal in den Zeitungen, auch in den Wochenzeitungen von "Organmafia" gelesen hat, dann muss man das auf Romane beziehen, nicht auf die Wirklichkeit?

    Montgomery: Das ist leider auch nicht ganz so, aber Sie können es mit Sicherheit nur auf Vorgänge außerhalb Deutschlands beziehen. In Deutschland gibt es keine Organmafia. Wir wissen aber, dass es in manchen asiatischen Ländern durchaus das Angebot gibt, gegen Geld Transplantationen zu erfahren, unter großen Risiken, gesundheitlichen wie ethischen Risiken, aber das gilt alles für Deutschland nicht. Das muss man ganz klar auseinanderhalten.

    Müller: Also hier werden keine Organe verpflanzt, die irgendwo illegal eingekauft wurden?

    Montgomery: Nein. Nach unserer Kenntnis ist das Transplantationsgeschehen in Deutschland, das ja von einer niederländischen Zentralstelle überwacht wird für sieben Länder in Europa, wirklich frei von Organhandel oder derartigen Dingen. Wir haben eher mit der Mangelverwaltung zu tun. Unser Problem ist eben wirklich die Gerechtigkeit, damit der, der das am nötigsten braucht, das für ihn erforderliche Organ bekommt, aber nicht etwa ein Handel oder gar, dass Sie gegen Geld ein Organ kaufen können.

    Müller: Sie gehen fest davon aus, wenn manipuliert wird, dann sind das Einzelfälle?

    Montgomery: Wir haben 50.000 Fälle in den letzten zehn Jahren in den Kommissionen analysiert, wir haben 119 Auffälligkeiten gefunden und 20 Verstöße gegen die Richtlinien der Verteilung. Da kann man weder von Mafia, noch von großflächigem kriminellem Verhalten sprechen. Wir haben es wirklich mit einem Einzelfall zu tun, und da sind wir uns ziemlich sicher heute.

    Müller: Aber gehen Sie denn auch davon aus, dass bislang längst nicht alle Vorfälle gemeldet wurden?

    Montgomery: Nein, davon gehen wir nicht aus, weil wir ja nicht nur auf die Meldung achten, sondern wir ja darüber hinaus analysieren. Eurotransplant in Leiden teilt uns ja Auffälligkeiten mit, denen man dann nachgehen kann. Ich bin da ziemlich sicher, dass dort keine versteckten und von uns nicht beachteten Auffälligkeiten drin sind.

    Müller: Dann brauchen wir auch nicht viel ändern, wenn ich Sie richtig verstanden habe?

    Montgomery: Doch, wir müssen schon etwas ändern, weil erstens müssen wir ja auf den Fall von Regensburg und Göttingen reagieren. Hier müssen wir Sicherheitsbremsen einziehen. Zweitens müssen wir Transparenz herstellen, denn das Vertrauen in die Organspende hat gelitten, und wenn wir das wieder herstellen wollen, können wir das nur durch vollkommene Offenheit. Auch Ihre Fragen belegen ja schon, dass Zweifel und Reste übrig bleiben. Das müssen wir jetzt alles auf den Tisch legen, damit auch die Bevölkerung weiß, hier sind verantwortungsvolle Menschen verantwortungsvoll am Werk und wir haben in Deutschland eine gute Transplantationsmedizin, ein sehr gutes System, das Leben rettet.

    Müller: Gehen wir, Herr Montgomery, auf die Vorschläge des Bundesgesundheitsministers ein. Bessere Aufsicht, ist das der erste notwendige Schritt?

    Montgomery: Wir haben heute ein Aufsichtssystem, das fantastische Aufsicht macht und Analyse macht, denn wenn Sie die Berichte, die wir über Regensburg und Göttingen verfasst haben, lesen, dann merken Sie, dass hier schnell und zügig aufgeklärt wurde. Aber es ist danach nichts passiert. Deswegen glaube ich, dass wir nicht nur ein Aufklärungssystem brauchen, sondern wir brauchen dann auch ein System, das daraus Konsequenzen zieht, das logistische Veränderungen dann ins Leben ruft, das aber auch mal bestraft.

    Müller: Was heißt das denn konkret? Wie geht man vor vor Ort?

    Montgomery: Wir müssen schneller zum Beispiel mithilfe auch staatlicher Gremien gemeinsam aufklären. Wenn wir dann etwas gefunden haben, müssen wir auch in die Lage versetzt werden, gemeinsam jemandem mal für eine gewisse Zeit das Transplantieren zu verbieten, bis die Vorwürfe endgültig geklärt sind. Wir müssen auch in die Lage versetzt werden, bei Auffälligkeiten ein Transplantationszentrum mal kurzfristig vom Netz zu nehmen. Das alles muss geschehen, damit nicht auf einen Fall wie in Regensburg dann noch ein zweiter so wie in Göttingen folgen kann.

    Müller: Das sind knallharte Sanktionen!

    Montgomery: Das sind selbstverständlich Sanktionen. Aber in diesem wirklich ethisch so sensiblen Gebiet müssen diejenigen, die sich bewegen, eben auch wissen, dass sie nicht alles tun können.

    Müller: Ein weiterer Punkt, der nun in diesen Vorschlagskatalog hineingekommen ist: unangemeldete Kontrollen. Kann das was bringen?

    Montgomery: Das glaube ich schon, weil es erhöht einfach das Risiko für diejenigen, die betrügen wollen. Vergessen wir nicht: Der Betrug ist sehr einfach durch das Fälschen von Labordaten geschehen. Das kann man merken, weil Labordaten sind immer im Kontext einer ganzen Krankheit zu sehen. Wenn andere Ärzte derartige Akten dann durchgucken, unangemeldet, dann merken sie so etwas und das erhöht natürlich das Risiko für den, der fälschen will. Wenn dann auch noch die Sanktionsmaßnahmen hinzukommen, dann ist das ein Instrument, um Menschen, die vielleicht für ihre Patienten das meiste rausholen wollen – das ist ja per se eigentlich ein gutes Ziel, ein gutes Motiv -, dass die dann doch davon ablassen und die Gerechtigkeitsprinzipien der Warteliste einhalten.

    Müller: Es geht ja, Herr Montgomery, in dieser Auseinandersetzung auch mal wieder um Kompetenzen, vielleicht sogar mal wieder um Kompetenzstreitigkeiten. Die Länder wollen jetzt mehr Kompetenzen. Kann das was bringen in der Praxis?

    Montgomery: Also wir brauchen die Länder ja mit Sicherheit, weil sie sind ja die meisten Träger der Universitätskliniken. Es wundert mich, dass die jetzt Kompetenzen einfordern, die sie längst haben. Transplantiert wird ja nicht an kleinen Privatkliniken, sondern an großen Universitätskliniken, die gehören in der Regel den Ländern. Also ich glaube, hier versucht, sich der eine oder andere auch ein bisschen einen schlanken Fuß zu machen, indem er jetzt nach weiteren Kontrollen schreit, die er eigentlich schon längst hätte. Ich würde es aber begrüßen, wenn mehr Aufsicht in den Kontrollkommissionen, die wir haben mit den Ländern gemeinsam, stattfinden würde, denn die Länder sind diejenigen, die wir für die Sanktionen brauchen. Insofern glaube ich, es gibt keinen Gegensatz, hier staatliche Kontrolle, dort Selbstverwaltungskontrolle. Nur wenn wir zusammenarbeiten und zusammen Konsequenzen ziehen, dann haben wir schnell das Vertrauen in die Organspende wiederhergestellt.

    Müller: Wir konnten ja auch, Herr Montgomery, von manipulierten Dringlichkeitsstufen lesen, wo Ärzte gesagt haben, ein Organ muss ganz, ganz dringend her. Gerade im Bereich eines neuen Herzens war das so, von 80, 87 Prozent war da die Rede, dass das dringend sein muss. Dabei war das in vielen Fällen nicht so. Heißt das, man wird, wenn Sie sagen, wir brauchen mehr Kontrollen, unangemeldete Kontrollen, demnächst auch Einzelfälle nach wie vor nur als Stichprobe kontrollieren können?

    Montgomery: Nein, wir wollen schon durchaus flächendeckend kontrollieren. Aber gestatten Sie mir dann doch eine andere Meinung, was die 87 Prozent der sogenannten High-Urgency-Verteilungen im Bereich des Herzens angeht. Gestatten Sie mir, als Arzt einfach zu sagen: Das ist für mich als Arzt sehr leicht nachvollziehbar, denn gerade beim Herzen kommt es dann sehr oft zu einer spontanen, sehr schnellen Dekompensation der Herzleistung, und da muss schnell transplantiert werden. Deswegen wundert es Ärzte überhaupt nicht, dass wir ein hohes Maß an High-Urgency-Transplantationen im Herzbereich haben. Das wird dann aber übrigens immer auf Intensivstationen stattfinden, und deswegen sagen wir, wenn in Zukunft neben dem Transplanteur auch noch andere Ärzte diesen Zustand bescheinigen – und ich bin sicher, dass sie das auch tun werden -, dann ist hier auch wirklich Not am Mann, dann ist hier High Urgency gegeben und dann muss schnell transplantiert werden, andernfalls stirbt der Patient.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Montgomery: Ich danke Ihnen und tschüss!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.