Sandra Schulz: Offenbar ist der Weg frei für den Kauf der Steuersünder-CD aus der Schweiz. 2,5 Millionen Euro soll die Datensammlung kosten. Zusätzliche Einnahmen für den Fiskus von mehreren Hundert Millionen Euro könnten auf der Habenseite herauskommen. Aber darf der Staat das? Diese Frage sorgt seit Tagen für Diskussionen, auch wenn sich die Bundesregierung schnell entschieden hat zugunsten des Geschäfts. Unser Querschnitt beginnt mit dem Schweizer Publizisten Roger Köppel und mit Bundeskanzlerin Angela Merkel.
O-Ton Roger Köppel: Der deutsche Rechtsstaat schafft Anreize für Rechtsverletzungen in der Schweiz. Er setzt im Prinzip Kopfgeldprämien aus, damit in der Schweiz das Bankkundengeheimnis verletzt wird.
O-Ton Angela Merkel: Und zu diesem Zweck sollte alles versucht werden, um an diese Daten heranzukommen.
O-Ton Hans Leyendecker: In der Schweiz haben eine Menge Leute sich darauf eingerichtet, mit dem schmutzigen Geld anderer Leute zu leben.
O-Ton Gerhart Rudolf Baum: Und wir machen uns gemein mit Kriminellen!
Schulz: Darf der Staat das? Das wollen wir in den kommenden Minuten etwas grundsätzlicher besprechen. Mir zugeschaltet ist der Autor der Kolumne "Gewissensfrage" im Magazin der "Süddeutschen Zeitung", der Ethiker und Jurist Dr. Dr. Rainer Erlinger. Guten Morgen!
Rainer Erlinger: Guten Morgen!
Schulz: Kaufen oder nicht, muss auch der Staat sich Gewissensfragen stellen?
Erlinger: Ja, ich denke schon. Der Staat natürlich als abstraktes Gebilde nicht, aber es handeln ja Menschen, es handeln die Politiker, und die müssen natürlich schon auch sich überlegen, was ist richtig, was ist falsch, noch mehr, behaupte ich, als vielleicht der Privatmann, denn der Staat vertritt ja auch unsere Rechtsordnung und auch unser Gemeinwesen.
Schulz: Welche ethischen Prinzipien sind hier zur Kollision gekommen?
Erlinger: Wir haben auf der einen Seite natürlich die Problematik, dass wir ja einen Staat haben, der gerade chronisch klamm ist, der relativ wenig Geld hat und das braucht. Das würde ich aber von dieser Rechnung, die man immer aufmacht, 2,5 Millionen gegen 100 oder 200 Millionen, die jetzt so im Raum stehen, das würde ich immer als Nebenkriegsschauplatz sehen. Für mich steht auf der einen Seite die Steuergerechtigkeit und auf der anderen Seite die Verpflichtung des Staates, nichts Unrechtes zu tun.
Schulz: Und gegen eines dieser Prinzipien muss der Staat verstoßen. Er begeht einen Rechtsbruch?
Erlinger: Ob es ein Rechtsbruch genau ist, darüber kann man streiten. Es wird ja immer von der Hehlerei gesprochen; da hätte ich meine Zweifel, weil Daten ja keine Sache sind und im Strafgesetzbuch wird die Hehlerei auf eine Sache beschränkt. Das ist es wohl nicht. Aber vom Unwertsgehalt her, denke ich, ist es etwas Ähnliches, und wir sehen ja gerade in den letzten Jahren haben wir ja ein zunehmendes Bewusstsein, wie wichtig Daten eigentlich sind. Früher hat man gesagt, na ja, Daten, was ist das schon, keine besondere Bewandtnis dem zugemessen, aber spätestens seit dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts, dieses Recht auf informationelle Selbstbestimmung, sehen wir, wie wichtig eigentlich Daten sind, und wir haben in den letzten Jahren, die Datenschützer mühen sich, dass ein zunehmendes Bewusstsein und auch ein Unrechtsbewusstsein entsteht, wenn jemand mit Daten unrecht umgeht, wenn jemand Daten stiehlt. Diese Problematik ist hier extrem betroffen.
Schulz: Die ist extrem betroffen. Der Staat hat sich jetzt ein Urteil gebildet, der Staat will diese Daten kaufen. Ist das richtig oder falsch?
Erlinger: Ich würde als Ethiker sagen, das ist falsch, weil er eben ein Gut kauft, das aus unrechten Quellen stammt, unrecht Gut gedeiht nicht, und ich hätte diese Herkunft, die große Problematik. Ich sage, der Staat macht sich da moralisch gesehen nicht und juristisch wahrscheinlich zum Datenhehler und unterstützt das. Man muss sich nur mal vorstellen: Wir hatten vor jetzt gar nicht allzu langer Zeit bei der Deutschen Bundesbahn ja den Datenskandal, weil Kontonummern abgeglichen wurden zwischen den Gehaltskonten und den Lieferantenkonten. Und da sieht man: am Schluss mussten Vorstände zurücktreten nur deswegen, und da sieht man mal, wie wertvoll wir heutzutage diese Privatsphäre sehen, dass hier etwas abgeglichen wird, und damals sollten ja auch nur diejenigen rausgefiltert werden, bei denen die Gefahr bestand, dass die Korruption einschlägig war bei der Bahn. Also es ging jetzt hier nicht um unbescholtene Bürger, sondern eben auch um die Idee, dass man hier die schwarzen Schafe rausfiltert. Deswegen würde ich als Ethiker sagen Nein, das sollte der Staat nicht tun. Ich glaube aber, dass dennoch Frau Merkel oder der Staat vielleicht richtig daran tut, es dennoch zu kaufen.
Schulz: Also ein Widerspruch, den Sie da andeuten. Bundesfinanzminister Schäuble argumentiert ja auch damit, dass vor zwei Jahren in der sogenannten Liechtenstein-Affäre der Staat genauso entschieden habe. Ist das moralphilosophisch ein Argument?
Erlinger: Das wäre für mich das Allergeringste. Man kann natürlich eine gewisse Selbstbindung und so weiter der Verwaltung sagen. Das würde ich aber nicht sagen. Ich sehe sie sogar umgekehrt. Beim Strafrecht nennt man es ja strafschärfend den Wiederholungstäter. Wenn es damals falsch war und es jetzt wieder falsch ist, würde man nicht sagen, jetzt darf er es tun, sondern im Gegenteil: Er darf es umso weniger tun. Aber ich sehe einen Ansatzpunkt, nämlich dass der Politiker nicht der Philosoph ist, wie Aristoteles das ja mal forderte, dass die Philosophen die Staatenlenker werden sollten. Das ist vielleicht ganz gut, aber es gibt auch einen Sozialphilosophen Max Weber, der hat sich in seiner Schrift "Politik als Beruf" – das war ein Vortrag vor Studenten, der dann veröffentlicht wurde – überlegt, dass Politiker eventuell da andere Maßstäbe anlegen müssen.
Schulz: Aber wenn das so ist, wie ja auch im aktuellen Fall entschieden, dass der Zweck offenbar doch die Mittel heiligt, wird der Fall dann auch Schule machen?
Erlinger: Das steht zu befürchten. Wir haben auf der einen Seite natürlich den Wunsch, den ich auch vertrete, dass die Steuerhinterziehung möglichst verfolgt wird, dass die unterbunden wird und dass der Staat die Steuern bekommt, die ihm zustehen und die er auch braucht für unser Gemeinwesen, um mal ganz banal zu sagen, von denen Schulen und Krankenhäuser gebaut werden. Aber es besteht auch die Gefahr, dass es Schule macht insofern, als dass eben der Bürger noch mal ein bisschen gläserner wird. Wir haben ja immer bei der Hehlerei den Vergleich mit dem Diebstahl der Sachen. Ich glaube, wenn einem alles genommen wird, was man hat an Sachen, dann steht man nackt da. Wenn einem alle Daten genommen werden, dann steht man auch noch durchsichtig da. Das ist fast schlimmer.
Schulz: Nun könnte es auch insofern Schule machen, dass dann auch die Bürger anfangen, Rechtsbruch gegen Rechtsbruch abzuwägen. Das könnte ja auch eine Konsequenz sein?
Erlinger: Ja, diese Abwägung ist natürlich eine Gefahr, dass man sagt, na ja, vor allem dieses "der Zweck heiligt die Mittel", ich habe jetzt hier irgendwie eine Unrechttat und da kann ich eine andere Unrechtstat dagegen setzen. Da ist der Staat aber noch mehr gefordert, hier das Recht und auch das moralische Recht, sozusagen die Moral zu halten, wenngleich, ich habe ja vorhin Max Weber angesprochen, der eben unterschieden hat zwischen diesen zwei Ethiken. Der sagte, die Gesinnungsethik, das ist etwas für den Heiligen, der seine Gesinnung hochhält und nicht fragen muss, was am Schluss rauskommt. Er meinte aber, der Politiker, der dürfe nicht gesinnungsethisch handeln, sondern er nannte es verantwortungsethisch. Der muss auch immer schauen, was hinten rauskommt, hätte jetzt Kohl gesagt, also diese Verantwortung für die Folgen einer Tat, und da sehe ich eben diese Problematik, was wir jetzt für eine verheerende Wirkung auf das Verhältnis des Bürgers zum Staat hätten, wenn er das Gefühl hat, hier werden Steuersünder – es sind ja nicht nur sagen wir Steuerhinterzieher -, die man schon namentlich auf dieser CD hat, aus bestimmten Gründen, weil man eben die Moral hochhält, nicht verfolgt. Ich glaube, da wäre es eine verheerende Wirkung, die auf die Steuermoral insgesamt käme und vor allem auch auf das Verhältnis des Bürgers zum Staat. Da steht der Politiker jetzt in der Verantwortung und muss sagen, ich muss hier abwägen: einerseits das schwindende Vertrauen des Bürgers in den Staat, dass er mit den Daten des Bürgers sorgsam umgeht, auf der anderen Seite das schwindende Vertrauen in den Staat, dass er einen gerechten Staat und einen zuverlässigen schafft. Hier muss man sich entscheiden und in eine Richtung macht man sich schmutzig.
Schulz: Aber was ist daran verheerend, um Ihr Wort aufzugreifen, wenn der Rechtsstaat signalisiert, wir halten an rechtsstaatlichen Prinzipien fest?
Erlinger: Ich glaube, dass bei uns im Momentanen der Gesellschaft nicht so sehr der Zweifel am Rechtsstaat besteht, sondern dass der Zweifel am Gerechtigkeitsstaat besteht, dass der Zweifel daran besteht, dass alle gleich mal jetzt nicht herangezogen werden, dass alle ihren Beitrag zum Sozialwesen leisten, dass es gerecht zugeht, und da ist der Staat gerade oder das Gemeinwesen, gar nicht sozusagen der Staat, aber die Gesellschaft dabei, ein bisschen zu zerbrechen, dass wir ein Aufbrechen haben. Wir haben das große Glück noch in Deutschland, dass wir eine relativ homogene Konsensgesellschaft haben, dass alle das Gefühl haben, wir sitzen irgendwo in einem Boot, und das beginnt gerade zu bröckeln. Hier sehe ich eben die größere Gefahr in das Vertrauen der Bürger in den Staat als beim Rechtsstaat. Wir haben mit allen Abstrichen denn doch einen gut funktionierenden Rechtsstaat.
Schulz: Der Ethiker und Autor der Kolumne "Gewissensfrage" im "SZ"-Magazin, Rainer Erlinger, heute in den "Informationen am Morgen". Danke schön!
Erlinger: Gerne!
O-Ton Roger Köppel: Der deutsche Rechtsstaat schafft Anreize für Rechtsverletzungen in der Schweiz. Er setzt im Prinzip Kopfgeldprämien aus, damit in der Schweiz das Bankkundengeheimnis verletzt wird.
O-Ton Angela Merkel: Und zu diesem Zweck sollte alles versucht werden, um an diese Daten heranzukommen.
O-Ton Hans Leyendecker: In der Schweiz haben eine Menge Leute sich darauf eingerichtet, mit dem schmutzigen Geld anderer Leute zu leben.
O-Ton Gerhart Rudolf Baum: Und wir machen uns gemein mit Kriminellen!
Schulz: Darf der Staat das? Das wollen wir in den kommenden Minuten etwas grundsätzlicher besprechen. Mir zugeschaltet ist der Autor der Kolumne "Gewissensfrage" im Magazin der "Süddeutschen Zeitung", der Ethiker und Jurist Dr. Dr. Rainer Erlinger. Guten Morgen!
Rainer Erlinger: Guten Morgen!
Schulz: Kaufen oder nicht, muss auch der Staat sich Gewissensfragen stellen?
Erlinger: Ja, ich denke schon. Der Staat natürlich als abstraktes Gebilde nicht, aber es handeln ja Menschen, es handeln die Politiker, und die müssen natürlich schon auch sich überlegen, was ist richtig, was ist falsch, noch mehr, behaupte ich, als vielleicht der Privatmann, denn der Staat vertritt ja auch unsere Rechtsordnung und auch unser Gemeinwesen.
Schulz: Welche ethischen Prinzipien sind hier zur Kollision gekommen?
Erlinger: Wir haben auf der einen Seite natürlich die Problematik, dass wir ja einen Staat haben, der gerade chronisch klamm ist, der relativ wenig Geld hat und das braucht. Das würde ich aber von dieser Rechnung, die man immer aufmacht, 2,5 Millionen gegen 100 oder 200 Millionen, die jetzt so im Raum stehen, das würde ich immer als Nebenkriegsschauplatz sehen. Für mich steht auf der einen Seite die Steuergerechtigkeit und auf der anderen Seite die Verpflichtung des Staates, nichts Unrechtes zu tun.
Schulz: Und gegen eines dieser Prinzipien muss der Staat verstoßen. Er begeht einen Rechtsbruch?
Erlinger: Ob es ein Rechtsbruch genau ist, darüber kann man streiten. Es wird ja immer von der Hehlerei gesprochen; da hätte ich meine Zweifel, weil Daten ja keine Sache sind und im Strafgesetzbuch wird die Hehlerei auf eine Sache beschränkt. Das ist es wohl nicht. Aber vom Unwertsgehalt her, denke ich, ist es etwas Ähnliches, und wir sehen ja gerade in den letzten Jahren haben wir ja ein zunehmendes Bewusstsein, wie wichtig Daten eigentlich sind. Früher hat man gesagt, na ja, Daten, was ist das schon, keine besondere Bewandtnis dem zugemessen, aber spätestens seit dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts, dieses Recht auf informationelle Selbstbestimmung, sehen wir, wie wichtig eigentlich Daten sind, und wir haben in den letzten Jahren, die Datenschützer mühen sich, dass ein zunehmendes Bewusstsein und auch ein Unrechtsbewusstsein entsteht, wenn jemand mit Daten unrecht umgeht, wenn jemand Daten stiehlt. Diese Problematik ist hier extrem betroffen.
Schulz: Die ist extrem betroffen. Der Staat hat sich jetzt ein Urteil gebildet, der Staat will diese Daten kaufen. Ist das richtig oder falsch?
Erlinger: Ich würde als Ethiker sagen, das ist falsch, weil er eben ein Gut kauft, das aus unrechten Quellen stammt, unrecht Gut gedeiht nicht, und ich hätte diese Herkunft, die große Problematik. Ich sage, der Staat macht sich da moralisch gesehen nicht und juristisch wahrscheinlich zum Datenhehler und unterstützt das. Man muss sich nur mal vorstellen: Wir hatten vor jetzt gar nicht allzu langer Zeit bei der Deutschen Bundesbahn ja den Datenskandal, weil Kontonummern abgeglichen wurden zwischen den Gehaltskonten und den Lieferantenkonten. Und da sieht man: am Schluss mussten Vorstände zurücktreten nur deswegen, und da sieht man mal, wie wertvoll wir heutzutage diese Privatsphäre sehen, dass hier etwas abgeglichen wird, und damals sollten ja auch nur diejenigen rausgefiltert werden, bei denen die Gefahr bestand, dass die Korruption einschlägig war bei der Bahn. Also es ging jetzt hier nicht um unbescholtene Bürger, sondern eben auch um die Idee, dass man hier die schwarzen Schafe rausfiltert. Deswegen würde ich als Ethiker sagen Nein, das sollte der Staat nicht tun. Ich glaube aber, dass dennoch Frau Merkel oder der Staat vielleicht richtig daran tut, es dennoch zu kaufen.
Schulz: Also ein Widerspruch, den Sie da andeuten. Bundesfinanzminister Schäuble argumentiert ja auch damit, dass vor zwei Jahren in der sogenannten Liechtenstein-Affäre der Staat genauso entschieden habe. Ist das moralphilosophisch ein Argument?
Erlinger: Das wäre für mich das Allergeringste. Man kann natürlich eine gewisse Selbstbindung und so weiter der Verwaltung sagen. Das würde ich aber nicht sagen. Ich sehe sie sogar umgekehrt. Beim Strafrecht nennt man es ja strafschärfend den Wiederholungstäter. Wenn es damals falsch war und es jetzt wieder falsch ist, würde man nicht sagen, jetzt darf er es tun, sondern im Gegenteil: Er darf es umso weniger tun. Aber ich sehe einen Ansatzpunkt, nämlich dass der Politiker nicht der Philosoph ist, wie Aristoteles das ja mal forderte, dass die Philosophen die Staatenlenker werden sollten. Das ist vielleicht ganz gut, aber es gibt auch einen Sozialphilosophen Max Weber, der hat sich in seiner Schrift "Politik als Beruf" – das war ein Vortrag vor Studenten, der dann veröffentlicht wurde – überlegt, dass Politiker eventuell da andere Maßstäbe anlegen müssen.
Schulz: Aber wenn das so ist, wie ja auch im aktuellen Fall entschieden, dass der Zweck offenbar doch die Mittel heiligt, wird der Fall dann auch Schule machen?
Erlinger: Das steht zu befürchten. Wir haben auf der einen Seite natürlich den Wunsch, den ich auch vertrete, dass die Steuerhinterziehung möglichst verfolgt wird, dass die unterbunden wird und dass der Staat die Steuern bekommt, die ihm zustehen und die er auch braucht für unser Gemeinwesen, um mal ganz banal zu sagen, von denen Schulen und Krankenhäuser gebaut werden. Aber es besteht auch die Gefahr, dass es Schule macht insofern, als dass eben der Bürger noch mal ein bisschen gläserner wird. Wir haben ja immer bei der Hehlerei den Vergleich mit dem Diebstahl der Sachen. Ich glaube, wenn einem alles genommen wird, was man hat an Sachen, dann steht man nackt da. Wenn einem alle Daten genommen werden, dann steht man auch noch durchsichtig da. Das ist fast schlimmer.
Schulz: Nun könnte es auch insofern Schule machen, dass dann auch die Bürger anfangen, Rechtsbruch gegen Rechtsbruch abzuwägen. Das könnte ja auch eine Konsequenz sein?
Erlinger: Ja, diese Abwägung ist natürlich eine Gefahr, dass man sagt, na ja, vor allem dieses "der Zweck heiligt die Mittel", ich habe jetzt hier irgendwie eine Unrechttat und da kann ich eine andere Unrechtstat dagegen setzen. Da ist der Staat aber noch mehr gefordert, hier das Recht und auch das moralische Recht, sozusagen die Moral zu halten, wenngleich, ich habe ja vorhin Max Weber angesprochen, der eben unterschieden hat zwischen diesen zwei Ethiken. Der sagte, die Gesinnungsethik, das ist etwas für den Heiligen, der seine Gesinnung hochhält und nicht fragen muss, was am Schluss rauskommt. Er meinte aber, der Politiker, der dürfe nicht gesinnungsethisch handeln, sondern er nannte es verantwortungsethisch. Der muss auch immer schauen, was hinten rauskommt, hätte jetzt Kohl gesagt, also diese Verantwortung für die Folgen einer Tat, und da sehe ich eben diese Problematik, was wir jetzt für eine verheerende Wirkung auf das Verhältnis des Bürgers zum Staat hätten, wenn er das Gefühl hat, hier werden Steuersünder – es sind ja nicht nur sagen wir Steuerhinterzieher -, die man schon namentlich auf dieser CD hat, aus bestimmten Gründen, weil man eben die Moral hochhält, nicht verfolgt. Ich glaube, da wäre es eine verheerende Wirkung, die auf die Steuermoral insgesamt käme und vor allem auch auf das Verhältnis des Bürgers zum Staat. Da steht der Politiker jetzt in der Verantwortung und muss sagen, ich muss hier abwägen: einerseits das schwindende Vertrauen des Bürgers in den Staat, dass er mit den Daten des Bürgers sorgsam umgeht, auf der anderen Seite das schwindende Vertrauen in den Staat, dass er einen gerechten Staat und einen zuverlässigen schafft. Hier muss man sich entscheiden und in eine Richtung macht man sich schmutzig.
Schulz: Aber was ist daran verheerend, um Ihr Wort aufzugreifen, wenn der Rechtsstaat signalisiert, wir halten an rechtsstaatlichen Prinzipien fest?
Erlinger: Ich glaube, dass bei uns im Momentanen der Gesellschaft nicht so sehr der Zweifel am Rechtsstaat besteht, sondern dass der Zweifel am Gerechtigkeitsstaat besteht, dass der Zweifel daran besteht, dass alle gleich mal jetzt nicht herangezogen werden, dass alle ihren Beitrag zum Sozialwesen leisten, dass es gerecht zugeht, und da ist der Staat gerade oder das Gemeinwesen, gar nicht sozusagen der Staat, aber die Gesellschaft dabei, ein bisschen zu zerbrechen, dass wir ein Aufbrechen haben. Wir haben das große Glück noch in Deutschland, dass wir eine relativ homogene Konsensgesellschaft haben, dass alle das Gefühl haben, wir sitzen irgendwo in einem Boot, und das beginnt gerade zu bröckeln. Hier sehe ich eben die größere Gefahr in das Vertrauen der Bürger in den Staat als beim Rechtsstaat. Wir haben mit allen Abstrichen denn doch einen gut funktionierenden Rechtsstaat.
Schulz: Der Ethiker und Autor der Kolumne "Gewissensfrage" im "SZ"-Magazin, Rainer Erlinger, heute in den "Informationen am Morgen". Danke schön!
Erlinger: Gerne!