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"In gewisser Weise die Spitze eines Eisberges"

Der Mikrobiologe Alexander Kekulé von der Uni Halle schließt neue Vogelgrippefälle in Deutschland für die nächsten Tage und Wochen nicht aus. Eine schnelle, lauffeuerartige Ausbreitung, wie man sie jetzt beobachte, sei für das Virus typisch. Angesichts der Versäumnisse im Krisenmanagement auf Rügen plädierte Kekulé dafür, die Abwehr dieser Seuche in die Zuständigkeit des Bundes zu geben.

Moderation: Jochen Spengler |
    Spengler: Was ja viele Bürger beunruhigt, das ist die enorme Zunahme der Fälle innerhalb weniger Tage, gewissermaßen von null auf hundert. Könnte das daran liegen, dass möglicherweise das Virus schon monatelang auf Rügen verbreitet war, ohne dass es bemerkt wurde, einfach weil nicht kontrolliert worden ist?

    Kekulé: Also es gibt Leute, die diese Theorie aufgestellt haben. Ich glaube daran nicht. Weil dieses Vogelgrippevirus, wenn es zuschlägt, sehr, sehr brutal und in kürzester Zeit Vögel tötet. Das hätte man mit Sicherheit auf Rügen beobachtet. In anderen Fällen, in China, hatte man solche Ausbrüche, da sind dann wirklich innerhalb weniger Tage die Vögel tot umgefallen in der Natur. Und diese schnelle, lauffeuerartige Ausbreitung, wie wir sie jetzt beobachten, ist also ganz normal für das Virus. Da braucht man gar nicht die Theorie, dass es schon länger da war.

    Spengler: Nun gibt es ja viele Einheimische, die sagen: Na ja, tote Vögel haben wir ja jedes Jahr auf der Insel, deswegen ist uns das nicht besonders aufgefallen.

    Kekulé: Das wäre schon anders gewesen, weil eben - wie es jetzt auch der Fall ist - dann sich das so lauffeuerartig ausbreitet. Ich glaube, es ist in einer gewissen Weise die Spitze eines Eisberges und zwar deshalb, weil es möglicherweise schon weitere Herde in Deutschland gibt, die sich nun gerade entwickeln. Das kann in den nächsten Tagen und Wochen kommen. Aber ich glaube nicht, dass man jetzt sozusagen in Panik glauben sollte, dass das Virus schon überall ist.

    Spengler: Was sagen Sie denn als Mikrobiologe zum Krisenmanagement der letzten Tage dort oben auf Rügen?

    Kekulé: Tja, am Anfang war das Management aus meiner Sicht wirklich eine Katastrophe. Ich bin auch überrascht darüber, dass in einem Bereich - wo man schon lange damit gerechnet hat, dass die ziehenden Schwäne, also diese Singschwäne, die Vogelgrippe bringen könnten -, dass man in diesem Bereich offensichtlich überhaupt nicht vorbereitet war. Ich plädiere schon lange dafür, dass für diese etwas schwierigere Seuchenabwehr, sowohl beim Tier als auch beim Menschen, nicht die Landkreise oder die Länder zuständig sein können. Sondern dort muss, ähnlich wie bei der Reaktorsicherheit, eine Zuständigkeit des Bundes etabliert werden, wo wirklich die Spezialisten sind und auch die Möglichkeiten sind, so etwas dann einzudämmen.

    Spengler: Nützt das denn jetzt was, wenn man hört - wir haben es eben in der Reportage gehört -, da beschimpfen dann einige Anwohner diejenigen, die da die Kontrollen machen: Ja, mein Gott, wir fahren hier mit unseren Autos durch die Desinfektionswannen und oben drüber ziehen die Vögel und verbreiten ihren Unrat dann auf die andere Seite?

    Kekulé: Also die Anwohner haben natürlich intuitiv Recht, dass die Vögel die Krankheit wahrscheinlich auch aufs Festland weiterverbreiten werden. Ich glaube nicht, dass man das so ruckzuck jetzt noch eindämmen kann - die Chance hätte es nur ganz am Anfang gegeben. Andererseits ist es so, dass wir wissen, dass gerade in Nutztierbestände und Haustierbestände das Virus typischerweise eben nicht durch Zugvögel reinkommt, sondern durch Menschen, die das an ihren Schuhen oder an ihren Autos oder sonst wie sozusagen passiv transportieren. Und gegen diese zweite Verbreitung - die ja viel wichtiger ist, weil wir damit verhindern, dass das Virus in die Nahrungskette hineinkommt -, da ist es eben dringend notwendig, Autoreifen und Ähnliches zu desinfizieren.

    Spengler: Also, um das noch mal klar zu sagen: Menschen, aber auch zum Beispiel Katzen oder Hunde, die jedenfalls in Verbindung kommen mit infizierten Vögeln, die können dieses Virus übertragen, selbst wenn sie selber nicht erkranken?

    Kekulé: Genau so ist es. Also es kann zum Beispiel ein Hund einen toten Schwan beschnuppern oder berühren, dann hinterher auf den Bauernhof zurücklaufen, wo er vielleicht herkommt, und sobald er dann durch den Hühnerstall durchläuft, können die Hühner dort infiziert sein. Das ist auch einer der Hintergründe, warum man angeordnet hat, auf Rügen jetzt die Hühner zu keulen.

    Spengler: Findet das Ihren Beifall?

    Kekulé: Ich sage mal, die Hühner baden jetzt in gewisser Weise das Versagen der Behörden dort aus. Man hätte natürlich frühzeitig die Hühnerhöfe sperren müssen und verhindern müssen, dass dort Hunde oder Menschen oder andere beweglichen Dinge – das kann ja auch mal ein Traktor sein – irgendwo das Virus einschleppen. Dann hätten die Hühner nicht gekeult werden müssen. Da man aber am Anfang die toten Tiere hat rumliegen lassen und auch offensichtlich den Zugang dorthin nicht verhindert hat, gab es meines Erachtens zu dem Zeitpunkt keine andere Option mehr, als die Hühner zu keulen.

    Spengler: Und Impfungen? Was bringen die?

    Kekulé: Bei den Impfungen ist es ja so, dass die geimpften Tiere nicht mehr zu unterscheiden sind von normalen Tieren hinterher, das merkt man sozusagen nicht. Und man kann bei geimpften Tieren dann nicht mehr feststellen, ob sie erkrankt sind. Die können diese Krankheit dann quasi völlig versteckt mit sich rumschleppen, über Jahre hinweg, und die Erfahrung aus anderen Ländern, speziell aus China, zeigt, dass auf die Weise das Virus keineswegs ausgelöscht wird, sondern im Gegenteil die Krankheit verschleppt wird. Ich bin deshalb ganz massiv gegen Impfungen und kann nur den Kurs der Bundesregierung unterstützen, dass es sinnvoll ist, diese Tiere dann letztlich zu keulen, um am Ende wieder zu völlig sauberen Beständen zu kommen. Was anderes gilt natürlich für Zootiere oder für seltene Tiere, die man schützen will. Da kann man im Einzelfall mal impfen. Aber bei Nutztieren - muss ich jetzt sagen - möchte ich wirklich wissen, wenn ich da ein Ei esse oder einen Vogel, dass da kein Virus drinnen ist und zwar ganz sicher.

    Spengler: Ganz kurz zum Schluss, Herr Professor Kekulé: Sie haben am Anfang gesagt: Ja, die Vogelgrippe wird sich wahrscheinlich weiter ausbreiten über Deutschland, wahrscheinlich gibt es noch anderswo Infektionsherde, trotzdem bestehe kein Anlass für Panik. Wieso nicht?

    Kekulé: Na, es ist einfach eine Tierkrankheit. Und man muss ganz klar sagen, diese Infektion springt nur auf den Menschen über, wenn man wirklich mit dem Vogelkot intensivsten Kontakt hat. Also getrockneten Kot inhaliert oder - wie es in der Osttürkei passiert ist - das Geflügelblut anfasst und dann die Kinder haben sich das ins Gesicht geschmiert. Ich gehe einfach davon aus, dass solche Dinge bei uns nicht passieren, so dass wir in den nächsten Wochen noch viel Aufregung haben werden. Aber es ist nach wie vor eine Tierkrankheit, ähnlich wie die Maul-und-Klauen-Seuche, und keine, vor der die Menschen Angst haben müssen.