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"In hohem Maße unangemessen und unerfreulich"

Im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen kommt es heute zu ersten Warnstreiks. Die von der Gewerkschaft ver.di und dem Deutschen Beamtenbund geforderten Verbesserungen von insgesamt fünf Prozent stuft Thomas Böhle, Präsident der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA), als völlig unrealistisch ein.

Thomas Böhle im Gespräch mit Silvia Engels | 03.02.2010
    Silvia Engels: Im Öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen haben die Gewerkschaften heute zu bundesweiten Warnstreiks aufgerufen. So wollen ver.di und Deutscher Beamtenbund ihre Forderung nach fünf Prozent mehr Lohn und Gehalt durchsetzen. Im öffentlichen Nahverkehr, in Krankenhäusern oder bei der Müllabfuhr wird das heute so mancher zu spüren bekommen. Tarifverhandlungen im Öffentlichen Dienst, sie gehen so gut wie nie ohne Warnstreiks ab. Die Arbeitgeber sagen nun, die Gewerkschaften hätten diese Ausstände schon lange geplant und sie wollten sie um jeden Preis umsetzen. Die Gewerkschaften halten dagegen, zum Beispiel Verdi-Chef Frank Bsirske.

    O-Ton Frank Bsirske: Es bleibt uns überhaupt keine andere Möglichkeit in der Situation, in der wir uns befinden, als jetzt die Beschäftigten aufzufordern, Flagge zu zeigen und deutlich zu machen, dass sie mit dieser Art der Verhandlungsführung der Arbeitgeberseite nicht einverstanden sind.

    Engels: Frank Bsirske. – Und für die Kommunen, die Arbeitgeber der Kommunen, sitzt Thomas Böhle in der Tarifverhandlung. Er ist der Präsident der kommunalen Arbeitgeber und nun am Telefon. Guten Morgen, Herr Böhle.

    Thomas Böhle: Guten Morgen, Frau Engels.

    Engels: Die Frage haben Sie schon oft gehört, aber trotzdem bleibt es dabei: warum legen Sie denn kein Angebot vor?

    Böhle: Weil wir überhaupt nicht auch nur annähernd erkennen können, was sich hinter diesen fünf Prozent, die die Gewerkschaften fordern, verbirgt. Sie haben ein ganzes Bündel an Vorstellungen und auf die Frage, was das eigentlich linear bedeutet, das heißt also um wie viel Prozent die Einkommen steigen sollen, blieben sie bis dato jede Antwort schuldig. Und im Übrigen: Wenn wir schon wissen, seit zehn Tagen sagen wir mal, dass Streiks geplant sind, dann werden die so und so kommen. Da ist es völlig egal, wie wir das Angebot formulieren, und insofern halten wir es für vernünftiger, noch einmal weiter zu versuchen, bei den Gewerkschaften auszuloten, ja was wollt ihr denn eigentlich wirklich, und das, meine ich, sollten wir noch mal ernsthaft versuchen in der nächsten Verhandlungsrunde am 10. und 11. Februar.

    Engels: Anders herum kann man auch sagen, dass Sie es den Gewerkschaften sehr leicht machen, zu Streiks aufzurufen, wenn noch nicht mal irgendeine Form von Angebot von der Arbeitgeberseite vorliegt.

    Böhle: Ja was wäre denn geschehen, wenn wir ein Angebot unterbreitet hätten? Dieses Angebot hätte ja in jedem Fall deutlich entfernt sein müssen von den fünf Prozent, weil das eine absolut unrealistische Zahl ist, und dann hätten die Gewerkschaften doch so und so gesagt, das ist eine Provokation, dieses Angebot, das ist ja unerhört, da müssen wir Flagge zeigen, so oder so.

    Engels: Generell ist aber bei vielen Betroffenen, die heute möglicherweise auf die Bahn warten, oder die im Krankenhaus sich um ihre Versorgung irgendwie sorgen, der Eindruck groß, dass mit diesen immer wiederkehrenden Warnstreiks eigentlich sie Opfer eines Schauspiels werden, weil das beide Tarifparteien brauchen, um sich wichtig zu machen?

    Böhle: Die letztere Einschätzung werden Sie nachvollziehen, dass ich die nicht teilen kann. Das hat überhaupt nichts mit wichtig machen zu tun. Entscheidend ist ja auch, dass nicht die Arbeitgeber zu Streiks aufrufen, sondern die Gewerkschaften, und ich halte das für völlig unangemessen. Wir sind mitten in Verhandlungen, wir haben sogar eine Arbeitsgruppe eingesetzt, gemeinsam, die in dieser Woche versuchen soll, zum Thema Entgeltordnung, welches ja ein sehr kompliziertes Thema ist, nach Lösungen zu suchen, und mitten in Verhandlungen zu Warnstreiks aufzurufen, ist einfach in hohem Maße unangemessen und unerfreulich.

    Engels: Herr Böhle, dann schauen wir auf die Situation bei den Kommunen. Wir hören auch in den letzten Tagen immer wieder die prekäre Situation, wir hören Informationen über Einnahmeausfälle und neue Belastungen. Aber es ist ja auch eine Tatsache, dass es einigen Kommunen immer noch besser geht als anderen. Wie bekommen Sie eigentlich die verschiedenen Interessen innerhalb des kommunalen Lagers unter einen Hut?

    Böhle: Man muss schon sagen, dass es dem Gros der Kommunen richtig schlecht geht. Wenn Sie mal nach Nordrhein-Westfalen sehen, oder wenn Sie die gesamten Kommunen im Osten ansehen, dort sind die Spielräume verschwindend gering, die stehen unter sogenanntem Haushaltssicherungsvorbehalt. Das heißt, dass der Regierungskommissar im Haus jede Ausgabe ansieht, ob sie jetzt notwendig ist oder nicht. Das sind natürlich die Kommunen, nach denen wir uns primär zu richten haben, und dort tut jede Erhöhung weh. Die Kommunen werden aber insgesamt absolut zerrieben zwischen sinkenden Einnahmen und wachsenden Ausgaben. Wir haben allein im Jahr 2009 ein negatives Finanzierungssaldo, das heißt also mehr Ausgaben als Einnahmen, von bundesweit sechs Milliarden Euro. Wir haben einen Schuldenstand von mittlerweile über 120 Milliarden Euro. Und in einer solchen Situation sind fünf Prozent oder ein Wert, der auch nur in die Nähe kommt, überhaupt nicht leistbar.

    Engels: Andererseits hat eine Region rund um Düsseldorf oder Frankfurt immer noch höhere Einnahmen als beispielsweise ein ländlicher Kreis in Mecklenburg-Vorpommern.

    Böhle: Ja, das ist völlig richtig. Aber wenn Sie jetzt diesen Maßstab anlegen, was erzählen Sie dann dem Landkreis in Mecklenburg-Vorpommern? Der ist ja völlig überfordert. Und solange wir noch den Flächentarif haben – und das habe ich noch nicht gehört, dass die Gewerkschaften unterschiedliche Einkommenshöhen wollen -, müssen wir uns nach dem Gros der absolut schwachen Mitglieder ausrichten, und die können sich das nun beim besten Willen nicht leisten.

    Engels: Ist die Lage für die Kommunen dann unter dem Strich so verzweifelt, dass sie die Tarifverhandlungen platzen lassen werden?

    Böhle: Das hängt ja ganz vom weiteren Fortgang ab. Die Gewerkschaften selber haben ja vor nicht einmal einem Jahr mit den Ländern einen Abschluss unterzeichnet, der eine Steigerung von 1,2 Prozent vorsah, und sie haben bis heute nicht erklären können, wie sie bei den Kommunen, wo sie ja im Grunde genommen (beides ist Öffentlicher Dienst) keine wirklich gravierenden Unterschiede haben, fünf Prozent fordern. Und wenn dort ein realistischer Blick sich einstellt – und das geht gar nicht anders; wir müssen ja zu irgendeinem Ergebnis kommen -, dann werden wir auch zu einer Einigung kommen. Es ist nur die Frage, wie lange die Gewerkschaften dieses unwürdige Spiel mit Streiks, Warnstreiks und Ähnlichem treiben wollen.

    Engels: Das klingt ein bisschen so, als ob Sie die Gewerkschaften in die Richtung treiben wollen, dass sie ein ähnliches Angebot unterbreiten, wie Sie es eben gerade genannt haben?

    Böhle: Ja. Das würde uns sicher weiterhelfen, das ist ja klar. Je näher das an realistische Formen heranrückt, umso leichter tun wir uns, zu einem Ergebnis zu kommen.

    Engels: Hoffen Sie darauf, dass in der Wirtschaftskrise, die wir ja gerade durchleben, der Unmut in der Bevölkerung über einen möglichen Streik so groß ist, dass ver.di und Beamtenbund so etwas gar nicht durchhalten können?

    Böhle: Von Hoffnung würde ich jetzt nicht reden, aber ich räume schon ein, dass das eine realistische Erwartung ist, dass es so ist, weil wenn Sie sich betrachten – und das wissen die Leute ja auch -, dass der öffentliche Dienst in den Jahren 2008, 2009, was die Steigerungen betrifft, der absolute Lohnführer war – wir haben dort Steigerungen von zwischen acht und zwölf Prozent nur innerhalb von zwei Jahren -, dann ist es, meine ich, allgemein nur ganz schwer bis gar nicht nachvollziehbar, dass jetzt noch mal fünf Prozent drauf müssen, noch dazu, wenn Sie bedenken, dass durch die Steuerreform im Schnitt 1,3 Prozent netto mehr im Geldbeutel ist bei allen seit 1. 1. 2010.

    Engels: Um ein Angebot vorlegen zu dürfen, brauchen Sie ja innerhalb Ihres Lagers die Zustimmung von 75 Prozent der Kommunen. Wann ist es denn so weit, bei der nächsten Runde im Februar?

    Böhle: Das hängt eben davon ab. Wenn wir uns in einer Größenordnung verständigen, die für uns gerade noch tragbar ist, dann klar, wir müssen ja zu einem Ergebnis kommen. Nur wenn das sich in diesen Höhen abspielt, wie das im Moment der Fall ist bei fünf Prozent, dann sehe ich überhaupt keinen Weg, diese Zustimmung zu bekommen, gerade vor dem Hintergrund dieser doch zahlreichen Kommunen in Nordrhein-Westfalen, in den östlichen Bundesländern, auch in anderen Ländern haben wir teilweise massive Probleme. Nehmen Sie mal das sogenannte reiche München. Wir müssen 2010 in dreistelliger Millionenhöhe wieder in die Neuverschuldung gehen. Es trifft alle, was wir jetzt finanzpolitisch erleben.

    Engels: Der Präsident der kommunalen Arbeitgeber. Er verhandelt für die Kommunen in den Tarifverhandlungen. Wir sprachen mit ihm über die heute beginnenden Warnstreiks und die Chancen für die Tarifrunde. Vielen Dank an Herrn Böhle.

    Böhle: Gerne.