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In Neapels Altstadt verfallen die Kirchen

Seit mehr als 30 Jahren sind in der Altstadt von Neapel 163 zum Teil kunsthistorisch wertvolle Kirchen geschlossen, weil sie renovierungsbedürftig sind. Jetzt hat die UNESCO die Stadtverwaltung aufgefordert, endlich etwas zu unternehmen. Weil die Kassen leer sind, haben sich Bürgerinitiativen gegründet, um den Verfall stoppen.

Von Thomas Migge |
    "Wir müssen zusammen, die Besucher der Stadt, die Neapolitaner und die Verantwortlichen, etwas tun, damit diese Bauwerke gerettet werden: vor dem Verfall, vor Kunstdieben und dem Vergessen. Sie verfallen und sie werden zerstört. Die Rede ist von einem bedeutenden Teil unser städtischen Kulturgüter."

    Fabrizio Vona ist Superintendent der neapolitanischen Kulturgüter. Und somit, in Zusammenarbeit mit dem Bistum Neapel, auch für die katholischen Gotteshäuser verantwortlich. Bei einer Veranstaltung vor wenigen Wochen appellierte er erneut an die Öffentlichkeit endlich etwas zur Rettung dieser Kirchen zu tun:

    "Die Zerstörung dieser Kirchen hat einen Grad erreicht, dass man sich schämen muss. Es ist doch lächerlich, dass wir kein Geld haben, um diese Bauwerke wenigstens zu pflegen. Es stimmt doch gar nicht, dass keine Finanzmittel zur Verfügung stehen. Es wurden Finanzmittel zur Verfügung gestellt, schon in den 80er-Jahren, die aber nicht genutzt wurden."

    Aus unerklärlichen Gründen nicht genutzt wurden, muss man hinzufügen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt deshalb bereits im Fall von staatlichen Geldmitteln für rund 30 neapolitanische Gotteshäuser. Vermutet wird, dass diese Geldmittel irgendwo in privaten Taschen versickert sind.

    Neapel, Centro storico, historisches Zentrum, Chaos total. Pkws und Motorroller quetschen sich durch die engen Gassen und Straßen. Fast könnte der Besucher sie übersehen. Die 163 Kirchen im historischen Zentrum, die zum Teil seit über 30 Jahren geschlossen sind und um die sich so gut wie niemand mehr kümmert. Und das, obwohl das Centro storico Weltkulturgut der UNESCO ist – die übrigens erst vor einigen Wochen einen erneuten Protest im Rathaus von Neapel gegen den Verfall historischer Bauwerke einreichte. Proteste, auf die in der Regel nie eine Reaktion kommt, klagt der Kunsthistoriker Antonio Pariante vom Bürgerkomitee zur Rettung der geschlossenen Kirchen:

    "Das ist ein großes Problem und das seit Jahren. Nehmen wir den Fall Kirche San Felice in Pincis. Sie wurde im 12. Jahrhundert errichtet und erhielt im 18. Jahrhundert ihr jetziges spätbarockes Aussehen. Eine sehr elegante Kirche mit einem prächtigen Altar aus mehrfarbigem Marmor und einem Marmorbaldachin. Seit 1980 ist sie geschlossen. Es ist eine Schande, dass man sich nicht darum kümmert."

    Auch die Kirche Santa Maria della Sapienza, eine der schönsten Barockkirchen Neapels, ist seit Jahren verriegelt. Wie es heißt: wegen Restaurierungsarbeiten. Aber Anwohner bestätigen, dass sie noch nie jemanden haben arbeiten sehen. Die Kirche wurde zwischen 1625 und 1630 errichtet. Ihre ungemein elegante Vorhalle ist in ganz Neapel berühmt. Wo früher durch diese Vorhalle die Gläubigen das Gotteshaus betraten, lagert heute Müll. Sogar Autoreifen und verrostete Fahrräder wurden hier illegal entsorgt.
    Wir treffen Antonio Pariante vor Santa Maria della Sapienza:

    "Es ist schon paradox, dass man hier nicht rein kann. Auch nicht, um zu kontrollieren, wie es drinnen aussieht. Denn es geht hier ja nicht nur um die Schließung der Monumente, sondern auch darum, was in ihnen geschieht. Viele geschlossene Kirchen werden von Kunsträubern aufgesucht. Aber auch darum kümmert sich die Stadtverwaltung nicht."

    Pariante und die Mitglieder seiner Organisation, unterstützt von Kunsthistorikern aus ganz Italien, haben sich erst kürzlich an die UNESCO in Paris gewandt – mit der dringenden Bitte, die städtischen Verantwortlichen in Neapel davon zu überzeugen, in den geschlossenen Kirchen kontrollieren zu dürfen.
    Gelingt es den Kunstschützern die Pforten einer der betroffenen Kirchen nach Jahre langer Schließung zu öffnen, macht sich nicht selten blankes Entsetzen breit. Nicht nur wegen der aufgrund von Wassereinbrüchen zerstörten Wandmalereien und Gemälde, sondern auch, weil die Kirchengebäude inzwischen nicht selten ausgeraubt wurden. Die Kunstdiebe haben oft alles mitgehen lassen, was nicht niet- und nagelfest war.
    Seit wenigen Jahren, seit Kardinal Crescenzio Sepe Erzbischof von Neapel ist, unterstützt das Erzbistum Bürgerinitiativen, die sich, selbst finanziert, bestimmter geschlossener Kirchen annehmen. Wie zum Beispiel der Kirche Gesù e Maria. Die Kunsthistorikerin Anna Cataldini gehört der Bürgerinitiative an, die sich um diese heruntergekommene Kirche kümmert:

    "Diese Kirche hat Diebstähle aller Art über sich ergehen lassen. Sogar die Marmorbrüstungen am Altar wurden abgesägt und landeten auf dem Kunstmarkt. Uns geht es jetzt darum, die Kirche zu reinigen, denn sie ist total verschmutzt und dann soweit wie möglich wieder zu restaurieren und stundenweise an bestimmten Tagen wieder zugänglich zu machen. Während unserer Arbeit kehrten die Kunstdiebe leider zurück. Gerede erst heute Nacht haben sie wertvolle Barockkacheln aus einer Wand einer Kapelle herausgelöst und gestohlen."

    Bürgerinitiativen zur Rettung der verschlossenen und ausgeraubten Kirchen Neapels haben es schwer. Vom Erzbischof bekommen sie viel Zuspruch. Er tut was er kann, aber mit Geld kann auch er nicht helfen. Ausschließlich private Sponsoren greifen den Kirchenrettern unter die Arme. Aber auch ihre Überweisungen nehmen angesichts der schweren Finanzkrise des Staates und immer neuer Steuern ständig ab.