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"In Togo, dunkel"
Etwas andere ethnologische Geschichten

Teddybären im Japan des 18. oder das Zusammentreffen von Amazonasindianern und einem Leipziger Anthropologen Anfang des 20. Jahrhunderts: In den Geschichten Schuldts verschiebt sich die gängige ethnologische Perspektive. Wer hier wen beobachtet und erforscht, verschwimmt unversehens.

Von Joachim Büthe |
    Im 18. Jahrhundert tauchen in Japan plötzlich Teddybären auf. Seltsame Objekte, die der eigenen Kultur so fremd sind, dass man sich fragt, welche Funktion diese Fetische in der Kultur, der sie entstammen, wohl haben mögen und welche Rückschlüsse auf diese Kultur sie zulassen. Das ist eine der drei Geschichten dieses Bandes über die hier nicht mehr verraten werden soll. Ihnen gemeinsam ist die Form des ethnologischen Berichts, in dem die gewohnte Perspektive verschwimmt oder auf den Kopf gestellt wird. Wer beobachtet und erforscht hier wen?
    Schuldt: "Das Ethnographische liegt mir. Man kann sich das heute nicht mehr vorstellen wie die Leute, die in einem Land gewohnt haben, noch in meinen jungen Jahren, in dieses Land gehört haben und von anderen Ländern fast gar nichts wussten. Das war normal. Und ich bin mit Neunzehn nach England gekommen und sagte mir gleich, du, das ist hier ein fremdes Land, hier verstehst du nichts. Jetzt halte erst mal schön den Mund und lerne die Sprache und gucke, was die machen und ob du rausfinden kannst, was das zu bedeuten hat. Ich habe mir ganz fest vorgenommen, mich nicht davon ablenken zu lassen, wenn die ganz viele Sachen ähnlich machen wie bei uns in Deutschland. Das kann täuschen. Man muss erst mal rausfinden, was es ist. Diese Haltung, die Sachen auf mich zukommen zu lassen, versuchen es zu enträtseln, nicht vorauszusetzen, dass ich es schon ungefähr weiß, sondern im Gegenteil vorauszusetzen, dass ich auch das bekannt scheinende nicht kenne, diese Haltung hat mir immer sehr geholfen."
    Das Gegebene nicht als gegeben ansehen
    Diese Haltung, das Gegebene nicht als gegeben anzusehen, auch die Sprachen nicht, wird man auch in den experimentellen Texten, die Schuldt, zum Teil in Kooperation mit anderen Dichtern, verfasst hat, wiederfinden. "In Togo, dunkel"ist bereits 1981 als Privatdruck erschienen, zu einem Zeitpunkt, da man sich Schuldt als einen Erzähler von Geschichten noch nicht recht vorstellen konnte.
    Schuldt "Ich weiß nicht, ob sie eine Geschichte erzählen, aber ich erinnere mich deutlich, dass ich, als ich einen Teil dieser Sachen geschrieben habe, schon vor vielen Jahren, 1981, da kam es mir vor als sei es etwas ganz anderes als das, was ich vorher gemacht hatte. Und wenn ich heute auf die Zeit vor 1981, also die Zeit 1960 bis 1980 zurücksehe, dann sind die Bücher, die ich da gemacht habe, sich noch einigermaßen ähnlich. Danach ist damit eigentlich Schluss und je älter ich werde, desto verschiedener werden die Bücher. Das mag sich nach jugendlichem Ungestüm anhören, aber es entfaltet sich bei mir erst im Alter. Jetzt ist jedes Buch vollkommen anders."
    Die neue Ausgabe der Geschichten hat deutlich an Umfang gewonnen. Dies gilt besonders für die längste und komplexeste Geschichte: "Die Totem-Esser". Auch in ihr geht es um eine Fremdsprache, die erst erlernt werden muss. Es ist allerdings eine Sprache, die sich von den bisher bekannten vollkommen unterscheidet. Die Eingeborenen sind über und über mit kleinen Häppchen behängt und verständigen sich, indem sie diese zum Munde führen oder dem Gesprächspartner zu essen geben, und über die Art, wie die Speise angereicht und ihrer Bestimmung zugeführt wird: eine Sprache des Tastsinns und der Gestik, vor allem aber der Geschmacksnerven. Schuldt hat diese nonverbale Sprache zunächst in einem Stummfilm vorführen wollen. Dazu ist es nicht gekommen.
    Schuldt: "Jedes Mal wenn sie als Autor, jedenfalls als Autor wie ich es einer bin, eine Beschreibung, das heißt, jetzt, glaube ich, Treatment für einen Film einreichen, dann will kein Mensch das Geld rausrücken, und sie sagen alle, das sei doch so schön geschrieben, man solle es veröffentlichen. Da gibt es noch ein paar mehr Filme von mir, die ich immer nicht gedreht bekomme, weil es doch schön geschrieben ist."
    Das mag bedauerlich sein, hat jedoch den Vorteil, dass wir jetzt diesen wunderbaren Bericht von der Erforschung einer vorstellbaren Sprache haben. Nicht nur das Leben im Urwald wird farbig geschildert, die Nahrungs- und somit Sprachbeschaffung, sondern Schuldt hat auch die Struktur dieser Sprache penibel untersucht, ihr sogar eine Grammatik gegeben; eben alles, was eine funktionierende Sprache braucht. Er hat das, was in der Geschichte 1981 schon angelegt war, konsequent ausgearbeitet.
    Eurozentrische Maßstäbe durcheinanderwirbeln
    Schuldt: "Es gab immer wieder Verlage oder Lektoren die gesagt haben, kann man das nicht neu herausbringen, aber wir wollen diese Privatausgabe, diese kleine Heft, nicht einfach nachdrucken. Da muss noch etwas dazu. Dann habe ich immer gesagt, nö, das habe ich mal gekonnt, und das ist ein Zaubertrick, und ich kriege das nicht ein zweites Mal hin. Dann kamen wir auf die Idee, diese Zeichnungen, die mein Freund Lothar Baumgarten 1978 von den Yanomami aus dem Urwald mitgebracht hatte, würden eine gute Ergänzung zu dem Text bilden. Dann hat Baumgarten gesagt, das ist eine tolle Idee, hast du denn eine Datei davon? Ich habe gesagt, 'nein, das ist aus der Zeit vor dem Computer'. Ich tipp das ab, es ist ja nicht so viel, das ist eine Sache von ein bis zwei Nächten. Und habe mir geschworen kein Wort zu verändern. Dann merkte ich bald, statt 50er-Jahre muss man sagen 50er-Jahre des vorigen Jahrhunderts. Und dann entdeckte ich im Text allmählich Lücken, wo ein Gedanke nicht ordentlich zu Ende gedacht ist, wo die Folgerungen nicht gezogen worden sind. Und ohne dass man den Übergang spürt, ich habe es nicht gespürt, der Leser hat es nicht gespürt, die Tinte hat es nicht gespürt, der Computer hat nichts gemerkt, ergänzt man einfach diese Löcher. Und wenn man das ordentlich macht, geht es noch eine Treppe rauf und da ist noch ein Korridor. Und dann muss man sehen, wie man wieder den Anschluss kriegt an die Stelle, wo man abgesprungen war. Das hat es immer mehr gegeben. Dann habe ich ganze Gedankengebäude, die zwangsläufig und unbedingt dazu gehören, die ich in meiner Fahrlässigkeit damals nicht anständig gemacht hatte, die sind dazu gekommen."
    Zusammen mit den Zeichnungen der Yanomami für Lothar Baumgarten ist so nicht nur ein amüsantes und lehrreiches Buch entstanden, dass die eurozentrischen Maßstäbe durcheinanderzubringen bestens geeignet ist, sondern auch ein sehr schön gestaltetes Buch, das man gerne zur Hand nimmt. Geschrieben in unserer Luftsprache, die aus Atemluft und Stimmbändern gemacht ist, aber aus der Luft gegriffen ist bei Schuldt nichts.
    Schuldt: "Ich glaube, es ist eine kindliche Gründlichkeit. Ich stelle mir vor, was man braucht. Das, was Sie bei den Totem-Essern von mir beschrieben finden, dieser Umgang mit den Beutelchen und Amuletten und Talismanen, die sie auf dem Leibe tragen, das ist ja wie eine rapide ablaufende und sehr komplexe handwerkliche Tätigkeit. Ich habe ja nie einen Beruf erlernt. Ich war ein das Gymnasium abbrechender Taugenichts. Dann habe ich bald darauf die Fähigkeit entwickelt, das habe ich erst beim dritten Mal bemerkt, mir die Berufe anderer Leute, wenn ich sie brauchte, bei Nacht und Nebel sehr schnell anzueignen. Ich habe auf diese Weise Bauleiter gelernt, Radiotechniker, Übersetzer, das Bücherschreiben habe ich auch gelernt. Jetzt stelle ich mir so einen Cotorra Yucca mit seinem Amuletten-Zirkus vor und setze mich auf seine Seite. Ich bin nicht der Beobachter. Ich stelle mir vor, wie ich das machen muss, damit es funktioniert. Dann mache ich mir Gedanken, der Gegenstand muss anders geformt sein, sonst kann man ihn nicht richtig halten. Das ist ein Beruf, den erfinde ich vielleicht, aber das Erfinden ist wie ein Lernen."
    Schuldt: In Togo, dunkel.
    Mit Zeichnungen der Yanomami für Lothar Baumgarten
    Rowohlt Verlag, Reinbek 2013, 135 Seiten, 24,95 Euro