Samstag, 20. April 2024

Archiv

Indien
Heilige Kuh, hungernde Kuh

Hinduisten verehren die Rinder. Aber was tun, wenn die Tiere verwahrlost übers Land ziehen und die Felder der Bauern verwüsten? Der Konflikt ist längst Thema im Wahlkampf, die Kuh sehr politisch geworden. Und mitten drin ist eine Deutsche.

Von Gerd Wolff | 12.02.2019
    Kühe auf eim Feld in Indien
    Heilige Fresser - Kühe in Indien (Gerd Wolff/ Deutschlandradio)
    Die Kühe kamen in der Nacht. 35 Rinder standen plötzlich in den Klassenräumen der staatlichen Schule im Dörfchen Yikhar auf halbem Weg zwischen Delhi und Agra. Die Tiere hinterließen keinen sehr guten Eindruck, und auch sonst einiges. Kühe drin, Schüler draußen: das Spektakel dauerte lange Stunden und, dass die Polizei nun gegen über 100 Bauern ausgerechnet wegen Tierquälerei ermittelt, ist ein Witz. Den Kühen in der Klasse ging es so gut wie lange nicht, aber vielen Bauern in Uttar Pradesh, dem Bundestaat mit den meisten Menschen in Indien, geht es schlecht.
    Ein Stier muht. Das ist Shamsundar. Das Stockmaß oben auf dem charakteristischen Hubbel am Nacken wird bei 1,75 m liegen. Shamsundar ist weiß, seine Hörner sind lang und wenn dieser mächtige Stier seine feuchten Nüstern auf die Brille seines Gegenübers patscht, dann tut er das mit einer Zärtlichkeit, die man von Bullen der niedersächsischen Tiefebene beim besten Willen nicht gewohnt ist. Shamsundar ist ein Pflegefall.
    Mantras für sterbende Kühe
    "Die liegen auf der Straße, die Tiere, sie haben Unfälle und die alten werden ausgesetzt, die Hunde jagen sie, sie werden lebendig gefressen. Damit sie in Frieden sterben können, deswegen bin ich hier!"
    Friederike Brüning, 61. Die Kühe-Kümmerin. 1800 Tiere hat sie mittlerweile in ihrem Asyl. Blinde, verwundete, geschiente, verbundene Kreaturen stehen hufhoch im eigenen Dung. In einer Art Hospiz-Stall liegt ein Bulle, den der Zusammenprall mit einer Lokomotive das Rückgrat gebrochen hat. Er ist mit Schmerzmitteln vollgepumpt, wird täglich gewendet und wartet auf den Tod. Aus den Lautsprechern spült heilige Musik.
    Kuh mit ein paar der 330 Mill. Göttern.
    Göttliche Kühe (Deutschlandradio / Gerhard Richter)
    "Das ist Mahamantra, das ist ein Mantra, was in unserem Zeitalter am effektivsten ist, wir spielen es in allen Räumen, so dass keine Kuh stirbt, ohne den Namen Gottes zu hören."
    Friederike Brüning kam vor über 25 Jahren in diese Gegend, des Glaubens wegen. Vrindavan ist der Ort, an dem Krishna seine Jugend zugebracht haben soll. Hochgeistlicher Boden, ein Tempel reiht sich heute an den nächsten und ein Hotel für Religionstouristen ans andere. Kühe sind die heiligen Wesen des Hinduismus, ein Symbol für Fruchtbarkeit und erst recht unantastbar, seit Mahatma Gandhi den Bauern und Hirten zum Mythos des jungen indischen Nationalstaates erhob. Doch dieser Mythos bröckelt, denn Millionen Kühe durchstreifen Stadt und Land und sie haben Hunger.
    "Die Kühe fressen die Ernte"
    "Was soll ich noch machen? Ich werde mich aufhängen, ich werde sterben, was sonst?"
    Chotlal Lhodal ist ein Kleinbauer, der sich für die Pacht seines Feldes tief verschuldet hat. Seit vor ein paar Wochen eine Horde Kühe über seinen Kartoffelacker zog, steht er vor dem Nichts. Das halbe Dorf muss mittlerweile nachts mit Taschenlampen auf den Feldern ausharren, um die Ernte zu bewachen. Ob Stöcke oder Stacheldraht, nichts hält die Rindviecher wirklich auf.
    Bauer Chotlal Lhodal (links) und ein anderer Mann sitzen auf einem vertrockneten Feld
    Sandige Leere: Kühe fraßen seine Kartoffeln. Bauer Chotlal Lhodal (links) (Gerd Wolff/ Deutschlandradio)
    "Das ist ein großes Wahlthema hier. Die Kühe fressen die Ernte, und das alles frisst Modi die Stimmen weg."
    Erzählt Jagdish, der gerade wieder ein halbes Dutzend Kühe von der Autobahn getrieben hat. Eigentlich sind sie tief religiös hier. In Uttar Pradesh wurde sogar ein hinduistischer Yogi zum Ministerpräsidenten gewählt. Immer wieder wurde den Menschen staatliche Hilfe gegen die tierischen Übergriffe versprochen. Für die national-hinduistische BJI von Indiens Regierungschef Modi stimmten noch vor fünf Jahren in Uttar Pradesh fast 70 Prozent der Wähler. Doch nun könnte der Protest der Farmer Modis Wiederwahl gefährden.
    Wahlkampf in Indien
    "Am 9. Januar, als Modi hier seine Wahlkampagne beginnen wollte, da haben wir ihn an seine Versprechen erinnert. Friedlicher Protest, wir haben die Kühe hier an die Kreuzung getrieben. Aber die Polizei hat plötzlich auf die Tiere eingeschlagen, dann sind sie durchgegangen, ich konnte mich gerade noch hinter eine Laterne retten – aber wir haben Modis Kundgebung wenigstens verzögert!
    Ram Sahay Yadav ist der Bezirkschef einer Regionalpartei, die sich zwar sozialistisch nennt, mit dem Begriff aber eigentlich nicht viel verbindet. Yadav kann jetzt auf die Stimmen der Bauern hoffen, weil er ihnen höhere Subventionen als die Regierung verspricht. Was am Ende womöglich dazu führt, dass die BJP den bevölkerungsreichsten Bundesstaat verliert. Deswegen gerät nun auch eine Deutsche unfreiwillig in den Wahlkampf.
    "Als Hindu komme ich da wahrscheinlich unwillkürlich rein", sagt Brüning. "Obwohl ich eigentlich politisch nicht interessiert bin, aber dadurch, dass ich die Interessen der Kühe und dieser Religion vertrete, und die BJP das eben auch vertritt – dann gehöre ich da wohl dazu."
    "Die Bauern haben ja Recht, die Kühe aber auch"
    Es gibt nicht viele Deutsche, denen die indische Regierung einen Verdienstorden anheftet. Der Padma Shri, den Friederike Brüning in diesem Jahr verliehen bekommt, ist die vierthöchste Auszeichnung, die das Land zu vergeben hat. Ein Orden für eine Tierschützerin, wenige Wochen vor der Wahl - natürlich ist das politische Geschmäckle unübersehbar. Brüning selbst sieht das pragmatisch:
    "Was man alleine machen kann, das hat alles seine Grenzen, wenn die Regierung dahinter steht, dann ist das eine große Hilfe. Auch für meine Aufenthaltsgenehmigung wird es dann weniger Probleme geben in Zukunft, das ist nämlich auch nicht einfach."
    Friederike Brüning bei ihren Kühen
    Die kürzlich ausgezeichnete Kuhschützerin Friederike Brüning (Gerd Wolff/ Deutschlandradio)
    Brüning führt quasi einen mittelständischen Betrieb. 90 Leute, umgerechnet 30.000 Euro monatliche Kosten, sie lebt von Spenden und schießt aus dem Geld zu, das ihre Eltern vererbten. Die Bauern hätten ja Recht, sagt sie. Die Kühe aber auch. Ihr Ausweg aus dem Dilemma: wenn Scheiße zu Geld würde:
    "Wenn sich in jedem Dorf eine Station befände, wo arme Leute den Kuhdung verkaufen könnten, meinetwegen für einen gewissen subventionierten Preis, dann würden sie ihre Kühe nicht so schnell aussetzen, weil es kommt ja