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Individuelle Vergangenheitsbewältigung

Mehrere tausend Juden aus Israel haben genug von den politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen in ihrem Land. Sie sind in die deutsche Hauptstadt gezogen und das, obwohl viele von ihnen Verwandte haben, die während der Schoah von Deutschen ermordet wurden.

Von Sebastian Engelbrecht |
    Assi Arev sagt, er sei ein israelischer Patriot. Und doch verließ er vor eineinhalb Jahren seine sonnige Heimat und zog nach Berlin. Er hatte genug von den politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen in Israel, von der Angst vor der Veränderung in Israel. Alle wissen, wie Frieden möglich wäre, meint Assi, aber keiner traut sich, damit zu beginnen. Die israelische Wirtschaft empfindet er als einen isolierten, verfilzten Markt, dem es an Dynamik fehlt.

    "Also habe ich mir gesagt: Suchen wir einen anderen Ort zum Leben. Und es gab drei Orte, von denen ich wusste: Ich brauche nichts. Ich nehme einen Koffer mit ein paar Klamotten, und den Rest kaufe ich da. Und zwischen New York, London und Berlin hat Berlin gewonnen. Unter anderem, weil die Stadt nah ist, es ist nicht teuer, hier zu leben. Das Leben ist sehr angenehm, wenn man normal Geld verdient. Das Leben ist sehr, sehr angenehm."

    40 Jahre alt ist Assi, er arbeitet für eine internationale Investmentgesellschaft, die Solarenergieprojekte in Deutschland finanziert. Er lebt mit seiner Freundin in einer bescheidenen Wohnung in Berlin-Charlottenburg. Assi hat keine Kinder, und das stört in Berlin auch keinen. In Israel gehört es zur gesellschaftlichen Pflicht, Familie zu haben. Dort würden ihn alle Freunde und Verwandten täglich fragen, warum er nicht endlich beginne mit dem Kinderkriegen.

    "Einer der Gründe, die mich hier angezogen haben, ist die Ruhe. Es gibt keine Staus, keine Alarmsirenen, kein Stress. Der Verkehr ist unter der Erde, und man sieht das alles nicht. Die Menschen sind kühl, und das ist für mich so in Ordnung. Sie drängen sich nicht in dein Leben rein. Mir hat das gepasst. Und das ist der Hauptgrund, warum es mich angezogen hat."

    Dass Deutschland das Land des Holocaust ist, darüber denkt Assi selten nach. Wie die meisten Israelis hat er Verwandte, die während der Schoah von Deutschen im Konzentrationslager ermordet wurden. Sein Großvater, der aus der Nähe von Krakau stammt, überlebte.

    "Ich lebe mein Leben, ohne mit aller Kraft Nazis an der Ecke zu suchen. Ich arbeite mit Deutschen, und ich bin sicher, das hängt davon ab, wie alt sie sind, aber ihr Vater oder Großvater hat eins von drei Dingen getan: Entweder er hat sich gewehrt oder er hat es aus Angst unterstützt oder er war ein begeisterter Anhänger. Aber diese Leute sind nicht mehr da. Es ist eine andere Generation."

    Der Blick in die Vergangenheit, die Erinnerung an den Holocaust, ist für Assi Arev wichtig. Aber dieses finstere Kapitel der Geschichte steht nicht im Zentrum seines Lebens. Gekommen ist er wegen der Berliner Gegenwart, und die gefällt ihm.

    Anders geht es Uri Goldenzeil. Seit sieben Jahren macht er in Berlin mit Immobilien Geschäfte. Er hat sich bewusst mit der Vergangenheit befasst, auch angeregt durch die Stadt selbst. Im Berliner Bezirk Schöneberg, wo er wohnt, erinnern Schilder an die rassistischen Gesetze der Nationalsozialisten, die Juden im öffentlichen Leben ausgrenzten.

    "Jeden Tag denk ich dran. Ich war vor zwei Wochen in Auschwitz zu Besuch, und ich wohne im Bayerischen Viertel, wo die Nürnberger Gesetze sind - auf jeder Lampe da. Ja natürlich, ich bin sehr beschäftigt mit dieser Geschichte. Und ja, ich finde das ein gutes Zeichen, ein gutes Omen, dass die schlimmste Sache kann am Ende gut werden. Das ist schon was Gutes. Vielleicht wird das auch mal ein Zeichen für unsere Region, dass mal Frieden sei darf."

    Uri Goldenzeil baut Häuser, er kauft, saniert und verkauft sie wieder. Dabei macht er auf dem wachsenden Berliner Markt einen stattlichen Millionen-Umsatz. Nach Schätzungen eines Mitarbeiters der israelischen Botschaft sind 15 Prozent des Immobilienmarktes in Berlin in israelischer Hand – neben Spaniern und Skandinaviern, die ebenfalls kräftig in Berliner Immobilien investiert haben. Israelis und andere Investoren aus dem Ausland haben früher als viele Deutsche erkannt, dass es sich lohnt, in Berliner Immobilien zu investieren und damit Geschäfte zu machen.

    Uri Goldenzeil nutzt die geschäftliche Chance seit sieben Jahren. In Berlin fühlt er sich frei. Kein einziges Mal hat er im Gespräch mit Geschäftspartnern oder Anderen antisemitische Untertöne vernommen.

    "Im Gegenteil. Die Leute schätzen unsere Geschäftsqualifikationen, würde ich sagen. Nein, habe ich gar nicht, kein Gefühl von einem versteckten Antisemitismus, gar nicht.
    Ich glaube, Berlin ist der sicherste Ort für Israelis und Juden in der ganzen Welt, komischerweise. "

    Goldenzeils Haltung ist unter Israelis in Berlin verbreitet. Sie sehen die Chancen der deutsch-israelischen Gegenwart. Oder, mit den Worten von Assi Arev:

    "Ich mag das Thema nicht. Ich bin hier und habe damit meinen Frieden gemacht, warum soll ich da noch herumgraben? Das ist wie eine lange Psychotherapie, die nicht zu Ende geht, und du wühlst immer in dir herum und suchst die Bosheit. Ich mag Komödien und nicht Dokumentationen über das böse Leben."