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Ineffizienz im Bildungssystem
Verwaltung bremst Digitalisierung

Die Digitalisierung der Bildung werde oft durch Verwaltungs- und Entscheidungsstrukturen verlangsamt, kritisieren Pädagogen und Akteure der Bildungswirtschaft. Auch restriktive Datenschutzbestimmungen seien hinderlich. Doch bisher mangelt es an überzeugenden Lösungsideen.

Von Thomas Wagner | 16.01.2020
Schüler am Gymnasium Carolinum in Neustrelitz nutzen iPads im Matheunterricht.
Unterricht mit digitaler Technik ist noch immer nicht alltäglich. (picture alliance/dpa/Britta Pedersen)
"In Mathe haben wir einmal so ein Programm gemacht. Da konnte der Lehrer Aufgaben in so ein Programm reinstellen. Und wir konnten das zuhause machen. Das haben wir ein paar Mal gemacht. Aber jetzt auch schon länger nicht mehr."
"Also wir haben öfters mal Präsentationen gemacht im Unterricht, in Deutsch ein paar Mal und in Englisch, digital. Also in letzter Zeit haben wir das eher nicht gemacht. Aber zwei oder drei Mal bestimmt."
Sandro Müller und Ben Quarsdorf besuchen die Klassenstufe 8 am Schickhardt-Gymnasium Stuttgart. Unterricht mit digitaler Technik - kommt zwar vor, ist aber eher die Ausnahme, noch. Denn das Schickhardt-Gymnasium gilt als digitale Vorzeigeschule im Großraum Stuttgart. Allerdings: Am Anfang stand ein Unglück, das dann aber zum Glück im Unglück mutierte:
"Wir hatten das Glück, dass im Altbau die Decke runterkam. Und damit sind wir saniert worden, auch die Elektroinstallation. Damit hatten wir schon den Grundstock geschaffen für die Digitalisierung.", erinnert sich Harald Hochwald, Lehrer am Schickhardt-Gymnasium und Digitalbeauftragter der Schule. Ein neues Dach bedeutete neue Leitungen und neue Digitalleitungen. Gleichzeitig beschaffte sich die Schule Tablets und iPads:
"Ab diesem Zeitpunkt sind dann doch sechs bis sieben Jahre vergangen. Es hat dann doch recht lange gedauert, bis das alles durch war, bis dann alles im Schulnetz auch funktioniert hat. Und eigentlich sind wir erst seit einem halben Jahr so weit, dass wir sagen: ‚Es funktioniert.‘ Es hat tatsächlich sechs Jahre gedauert."
Einheitliche Entscheidungen in Deutschland schwierig
Und, so vermutete der Stuttgarter Pädagoge am Vormittag, ohne eingestürzte Decke wären wohl noch ein paar Jahre mehr ins Land gezogen. Die Digitalisierung der Schulen geht viel zu langsam vonstatten, hieß es am Vormittag auf einer Podiumsdiskussion im Schickhardt-Gymnasium. Und Schuld daran seien oftmals verkrustete Verwaltungs- und Entscheidungsstrukturen.
Theodor Niehaus, Präsident bei Didacta - Verband der Bildungswirtschaft, bemängelt das sogenannte "Drei-Chefs-Prinzip", das an Schulen gelte: hier der Rektor, da das Kultusministerium, dort aber auch Stadt, Gemeinde oder Landkreis als Schulträger:
"Und wenn man mit drei Chefs das Thema Digitalisierung besprechen muss, kann man sich vorstellen: Das ist aufwendiger, als wenn einer entscheidet: ‚Ich krieg' jetzt aus dem Digitalpakt x Millionen. Und jetzt schauen wir mal, wie wir das Geld sinnvoll anlegen.‘ Ich glaube, dass wir in Deutschland eine Bildungsoffensive brauchen, die alle Stakeholder zusammenbringt. Nur dann kann es funktionieren."
Nur: Das 'Zusammenbringen' aller beteiligten Entscheidungsträger ist in Deutschland eine schwierige Angelegenheit. Schulpolitik ist Ländersache. Und die wollen sich, wie der Streit um den Digitalpakt gezeigt hat, nicht reinreden lassen - auch dann nicht, wenn es um die Digitalisierung geht. Professor Christoph Meinel vom Lehrstuhl "Internet-Technologies and Systems" am Hasso-Plattner-Institut Potsdam zieht daraus die Schlussfolgerung:
"Deutschland hat keine guten Entscheidungsstrukturen für Fragen der Digitalisierung. Wenn ich also so verteilte Entscheidungsstrukturen hat, dann kann das nicht schnell gehen."
Restriktive Datenschutzbestimmungen
Hinzu kommt ein weiteres Problem: Gerade für digitale Anwendungen an Schulen bestehen restriktive Datenschutzbestimmungen. Die dürfe man zwar nicht aushebeln, meint Harald Hochwald vom Stuttgarter Schickhardt-Gymnasium, nur häufig seien sie aus fachlicher Sicht nicht angebracht und stünden sinnvollem Arbeiten mit digitalen Techniken im Wege:
"Erst einmal wissen wir Lehrer eigentlich nicht, welche Apps wir verwenden dürfen und welche nicht. Wir bekommen vom Ministerium ein zehnseitiges Dokument und müssen dann selber entscheidet, ob das System diesen Kriterien entspricht oder nicht. Und dann haben wir natürlich auch diese Problematik Cloudspeicherung. Da haben wir mit iPads ein System, das im Bildungsbereich total geschmeidig funktionieren würde. Das dürfen wir aber alles nicht verwenden."
Lösungen zur Digitalisierung des Bildungssystems
Doch wie sehen Lösungsmöglichkeiten aus, um die Digitalisierung in den Schulen voranzubringen? Hier der Plan, eine bundesweite Schulcloud zu schaffen, dort die Überlegung, Entscheidungsstrukturen zu straffen: So richtig durchschlagende Lösungsideen allerdings waren am Vormittag auf der Podiumsdiskussion nicht zu hören. Dabei gebe es in Hülle und Fülle neue Produkte zur Digitalisierung des Bildungssystems. Dahinter verbirgt sich, so der für die Bildungsmesse Didacta zuständige Geschäftsführer der Messe Stuttgart, Ulrich Kromer, ein riesiger Industriezweig:
"Der Bildungsmarkt insgesamt in Deutschland bildet eine Wirtschaftskraft von 133 Milliarden ab."
Eine Summe, die aber über die bürokratischen Hürden bei der Digitalisierung, von Schulen nicht hinweg täuschen kann. Um die zu überwinden, sei viel Ausdauer und Geduld gefragt, glaubt Lehrer Harald Hochwald, Digitalbeauftragter des Schickhardt-Gymnasiums:
"Da muss sich was bewegen. Und da wird sich was bewegen, einfach, weil man ständig den Leuten gegen das Schienbein tritt."