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INF-Vertrag
Polen zwischen den Fronten

Washington und Moskau streiten über eine US-Raketenbasis in Polen. Moskau kritisiert, sie verstoße gegen den INF-Vertrag zwischen Russland und den USA über nukleare Mittelstreckensysteme. Ein Einwand, der aus polnischer Sicht scheinheilig ist - denn Moskau stationiert selbst Raketen im Kaliningrader Gebiet.

Von Florian Kellermann | 07.12.2018
    Die US-Raketenstation im polnischen Redzikowo. 13. Mai 2016
    Nach Angaben aus Washington soll die Basis in Redzikowo Langstreckenraketen abfangen können (imago stock&people)
    Hoher Besuch in Redzikowo, einem Dorf nahe der polnischen Ostsee-Küste, vor knapp zwei Wochen. Der Kommandeur der US-Flotte für Europa, Afrika und Südwestasien ist angereist. Denn in der Polizeischule von Redzikowo übernahm ein neuer Offizier den Oberbefehl über die US-Raketenbasis, die hier entsteht.
    Die Anwesenheit des Admirals zeigte, wie wichtig das US-Militär die Einrichtung in Polen nimmt. Über 100 Soldaten und Zivilisten hat es dort beschäftigt, obwohl die Raketenbasis noch gar nicht einsatzbereit ist. Vor kurzem hat sich der Termin für die Fertigstellung erneut verschoben - auf 2020. Das liege vermutlich an technischen Problemen, meint Juliusz Sabak, Experte beim polnischen Militär-Informationsdienst "Defence24.pl":
    "Die Raketen in Redzikowo sollen ballistische Raketen abfangen. Das ist hochkompliziert. Schon der kleinste Fehler bei der Installation des Radars fällt hier ins Gewicht. Er würde dazu führen, dass die Abfangrakete ihr Ziel verfehlt."
    Die Basis gehört zu einer Reihe ähnlicher Einrichtungen des US-Militärs in Osteuropa, darunter in Rumänien.
    Verteidigung, nicht Angriff
    Nach Angaben aus Washington soll die Basis in Redzikowo Langstreckenraketen abfangen können, die im Nahen Osten, etwa im Iran, mit Zielrichtung USA abgefeuert werden. Dafür sollen im polnischen Norden 16 Raketen vom Typ SM-3 stationiert werden. Lenkraketen, die ballistische Raketen durch den Aufprall mit hoher Geschwindigkeit zerstören. Es gehe also ausschließlich um Verteidigung, erklären Politiker aus den USA und aus Polen, so der polnische Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak bei seinem jüngsten Besuch in Redzikowo:
    "Ich bin beeindruckt von der vorbildlichen Zusammenarbeit zwischen dem polnischen und dem amerikanischen Militär. Diese Basis ist wichtig für die Sicherheit Polens, Europas und der Welt. Gemeinsam verteidigen wir die freie Welt."
    Im Zweifel Schutz vor Russland
    Blaszczak ließ offen, woher genau die Gefahr droht. Klar ist allerdings, dass die Raketen in Redzikowo im Zweifelsfall auch Angriffe aus Russland abwehren können, wie Experten einräumen. Das ist nicht der einzige Grund, warum Moskau gegen die Basis protestiert. Ein weiterer: Die Raketenbasis wird mit einem Radarsystem ausgestattet sein, das auch den Luftraum im europäischen Teil Russlands abdeckt. Der dritte Grund sei noch gewichtiger, so Juliusz Sabak:
    "Die Einrichtung in Redzikowo ist in Wahrheit die gleiche wie auf einem US-Raketenschiff. Selbst die Gebäude, auf denen die Radaranlagen installiert sind, sind Kopien solcher Konstruktionen auf Raketenschiffen. Die Abschussvorrichtungen können, wie auf diesen Schiffen, für verschiedene Flugkörper verwendet werden, darunter auch für Marschflugkörper."
    Auf dieser Grundlage wendet Moskau ein, die Raketenbasis verstoße gegen den INF-Vertrag zwischen Russland und den USA. Er verbietet die Stationierung von bodengestützten Mittelstreckenraketen, die mit Atomsprengköpfen bestückt werden können. Ein Einwand, der aus polnischer Sicht scheinheilig ist: Russland baue selbst ein viel mächtigeres Raketenarsenal im Kaliningrader Gebiet auf, sagt Juliusz Sabak. Die Raketen vom Typ Iskander, die dort stationiert würden, deckten mit ihrer Reichweite fast ganz Europa ab.