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Inflation
Niedrigzins "bringt schrecklich wenig für den Konsum"

Im Süden, wo die Länder wachsen müssten, sind die Kredite zu teuer, meint der Ökonom Ansgar Belke. Ein noch niedriger Zins würde hierzulande allerdings dazu führen, dass die Angst um das Gesparte weiter steige, sagte er im Deutschlandfunk. Deflationsgefahr sehe er allerdings nicht.

Ansgar Belke im Gespräch mit Sina Fröhndrich | 03.06.2014
    Ein Haus steht auf Geldscheinen. Symbolbild für Haus und seine Kosten
    Niedrige Zinsen blasen den Immobilienmarkt auf - das könnte in Deutschland den Konsum hemmen. (dpa /Revierfoto)
    Sina Fröhndrich: Alles wird teurer, das haben wir oft gehört. Wer das aber zurzeit sagt, der liegt damit eher falsch, denn Lebensmittel und Energie beispielsweise, die verteuern sich kaum noch. Die Inflationsrate im Euro-Raum, die ist erneut gesunken. Sie liegt jetzt bei einem halben Prozent. Das ist eine wichtige Zahl, auf die vor allem auch die Europäische Zentralbank schaut, denn die will übermorgen entscheiden, ob sie den Leitzins noch weiter senkt. Die Inflationsdaten von heute wird sie sich genau ansehen.
    Die Preise in der Euro-Zone verteuern sich um nur noch ein halbes Prozent, also im Schneckentempo, und das könnte die Europäische Zentralbank dann übermorgen einen Gang höher schalten lassen, denn sie strebt eine höhere Inflationsrate an, um die Wirtschaft anzukurbeln. Viele Beobachter glauben deswegen, übermorgen wird der Leitzins deswegen noch weiter gesenkt. Ist das gut? – Darüber habe ich mit dem Ökonomen Ansgar Belke gesprochen von der Uni Duisburg-Essen. Zunächst die Frage an ihn: Steuern wir auf eine Deflation zu?
    Ansgar Belke: Eine Deflation bedeutet, dass Konsumenten warten, bis Preise noch weiter fallen, um dann erst nachzufragen. Das bedeutet aber, wenn Nachfrage ausfällt, dass die Preise gegenwärtig sofort fallen. Der Prozess verstärkt sich und das ist etwas, was wir in der großen Depression 1929/1930 auch erlebt haben, was zu fatalen Folgewirkungen führte. Davon zu unterscheiden ist die Disinflation, dass Preise weniger stark steigen als sonst, und gegenwärtig in der Euro-Zone vor allem deshalb, weil die Südländer angehalten wurden, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen, weniger Defizite zu fahren und insgesamt ihre Bilanzen zu verkürzen. Das führt natürlich kurzfristig zu Ausgaberückgang und deshalb auch zu einem Preisdruck nach unten. Das wäre aber nicht gefährlich.
    Fröhndrich: Das heißt also, wenn sie jetzt sagen, das ist eher so eine Übergangsphase, dann macht sich die Europäische Zentralbank da unnötig Sorgen?
    Belke: Im Bereich der Deflation schon, denn es gibt gewisse Ausgleichstendenzen und mittelfristig beobachten wir auch aus Umfragen, dass dort wieder mit einem Preisauftrieb gerechnet wird. Auch die Energiepreise werden durch die Ukraine-Krise wahrscheinlich ein Stück weit nach oben getrieben. Wir haben in Deutschland die Mindestlöhne eingeführt, es wird zu einem Lohnanstieg kommen und auch hier wird der Druck dann weniger werden.
    Die Probleme liegen woanders, dass wir regional ein unterschiedliches Kreditangebot haben, ein viel teureres Kreditangebot in Südeuropa als in Nordeuropa. Gerade da, wo die Länder wachsen müssen, sind Kredite zu teuer.
    Fröhndrich: Das heißt, in dem Punkt, wenn ich Sie richtig verstehe, sollte die EZB dann handeln?
    Belke: Es wird wahrscheinlich zu einer Leitzinssenkung kommen. Wenn sie das tut – und das ist eigentlich das Instrument, um die Inflation wieder an den Zielwert von zwei Prozent langfristig zu führen -, dann muss sie auch den Einlagenzins in den leicht negativen Bereich bewegen, denn ansonsten ist es für die Geschäftsbanken nicht lukrativ, ihr Geld weiterhin an andere Banken zu verleihen und an Unternehmen zu verleihen, weil dann könnte sie ja auch zu null Prozent das Geld bei der EZB hinterlegen. Dann wird ein Strafzins fällig werden, und das wäre konsequent, wenn man sich für eine Leitzinssenkung entscheidet. Man hat ja auch vorgelegt und angekündigt, dieses zu tun. Wenn man den Erwartungen nicht folgt, würde man die Märkte enttäuschen und hier sozusagen ein weiteres Zucken an den Aktienmärkten bewirken. Ob das jetzt faktisch so schlimm wäre und die Probleme ja ohnehin regionaler Natur sind, bleibt abzuwarten, denn was die Geldpolitik gegenwärtig tut, ist ein Aufpumpen der Aktienmärkte und neue Blasen hier zu riskieren.
    Fröhndrich: Da stellt sich ja genau die Frage: Wäre so eine Zinsentscheidung, eine Zinssenkung nicht getrieben von Akteuren des Finanzmarktes, die weiterhin auf billiges Geld hoffen, um dann doch die Zehntausender-Marke beim DAX beispielsweise zu erreichen?
    Belke: Das ist in der Tat nicht ausgeschlossen. Das beobachten wir auch, dass es nicht nur die Aktienmärkte sind, die hier Geldpolitik vor sich hertreiben, was eine große Gefahr ist im Hinblick auf riskante Entscheidungen, wenn die regionalen Unterschiede in der Euro-Zone bestehen bleiben, sondern auch vielleicht das Interesse der großen Geschäftsbanken, die sich einem Stresstest gerade unterziehen, der EZB gehandelt wird. Denn Zinssenkungen bedeuten, dass die Wertpapiere an Bord der Geschäftsbanken im Wert ansteigen und man verschleiert bestimmte Schwächen der Banken, und das ausgerechnet vor einem Stresstest, der dauerhaft diese Geschäftsbanken auswählen soll, die gesund genug sind, um sie dem Mandat der EZB und der Finanzmarktaufsicht zu unterstellen. Hier gibt es sicherlich einen großen verdeckten Einflusskanal auf die EZB, deren Politik sich ausrichtet auch am Schicksal der Banken, und eigentlich wäre es inkonsequent, vorher einzugreifen, bevor die Geschäftsbanken vernünftig getestet sind.
    Fröhndrich: Dann wäre es ja eigentlich sinnvoll und konsequent, den Leitzins jetzt nicht noch weiter zu senken, zumal wenn man sich die Spanne anguckt, 0,25 Prozent, 0,1, 0,15. Die ist ja auch nicht mehr wirklich so groß. Da könnte man auch sagen, liebe EZB, diesen Donnerstag vielleicht doch noch mal darauf verzichten.
    Belke: Das könnte man in der Tat sagen, wenn man nicht eine Deflationsgefahr befürchtet. Wie gesagt, das Risiko einer Deflation wird geschätzt auf annähernd 20 Prozent. Wenn man das Risiko sieht, dann sollte die EZB eher auf eine Leitzinssenkung gehen, anstatt andere unkonventionelle Maßnahmen zu machen. Aber die Zinssenkung selber hat viele gefährliche Nebenwirkungen. Ein weiteres Thema ist die Wirkung auf die deutschen Sparer. Ich argumentiere hier nicht aus der typisch deutschen Brille, sondern von Deutschland wird erwartet, dass Deutschland mehr konsumiert, mehr Binnennachfrage entfaltet. Wenn aber der niedrige Zins für die Sparer in Deutschland dazu führt, dass sie Angst haben um ihre Altersvorsorge und dass sie demnach noch mehr sparen, dann bringt das natürlich schrecklich wenig für den Konsum. Und mit den Niedrigzinsen bläst man wahrscheinlich noch die Immobilienpreise auf, aber für Deutschland wäre es schlecht, weil wir mehr Mieter haben als Eigenheimbesitzer und das dann auch auf den Konsum negativ durchschlagen würde. Summa summarum bewirkt man möglicherweise das Gegenteil damit, was man eigentlich will: weniger Nachfrage in Deutschland als Konjunkturmotor und nicht mehr.
    Fröhndrich: Keine Deflationsgefahr, dafür aber die Gefahr für deutsche Sparguthaben und den Konsum – das war der Ökonom Ansgar Belke.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.