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Ingenieur: Großer Sanierungsbedarf bei deutschen Brücken

Ein Zehntel der Brücken in Deutschland sei in einem Zustand, "dass wir uns mehr um sie kümmern müssen", sagte der Brückenexperte Manfred Curbach im Dlf. Der Sanierungsbedarf werde auf ungefähr zehn Milliarden Euro geschätzt. Das sei nur bekannt, weil es ein ausgeklügeltes Sicherheitssystem gebe.

Manfred Curbach im Gespräch mit Philipp May | 15.08.2018
    Blick auf die Trümmer der eingestürzten Morandi-Autobahnbrücke.
    Die Autobahnbrücke in Genua ist eingestürzt. (dpa-Bildfunk / ANSA / AP / Luca Zennaro)
    Philipp May: Es waren Szenen wie aus einem Katastrophenfilm, gestern Vormittag bei Genua. Eine vielbefahrene Autobahnbrücke bricht plötzlich zusammen, Dutzende Fahrzeuge werden bis zu 45 Meter tief in die Tiefe gerissen und unter dem Schutt begraben. Wie konnte das passieren? Über diese Frage rede ich jetzt mit Manfred Curbach, er ist am Telefon, Professor für Massivbau an der TU Dresden und Brückenexperte. Schönen guten Morgen!
    Manfred Curbach: Guten Morgen, Herr May!
    May: Herr Curbach, Sie haben mir gerade im Vorgespräch noch erzählt, Sie kennen die Morandi-Brücke, benannt nach dem Architekten, gut.
    Curbach: Ja, es ist eine der berühmten Brücken, die dieser italienische Bauingenieur gebaut hat. Es ist ein bestimmtes Prinzip, dieser große Pylon, von dem man jetzt zwei noch sieht, und an denen hängen über starke Stahlseile die Brückenteile wie ein Waagebalken. Und von diesen Waagebalken gab es drei Stück in Genua. Da war noch eine Lücke dazwischen, und da war noch ein Brückenträger eingehängt.
    "Diese Konstruktion ist ein sehr gutes Konzept"
    May: Galt ja lange als architektonisch sehr gelungen.
    Curbach: Ja. Diese Brücke ist vielleicht der kleine Bruder einer viel berühmteren. Morandi hat in Südamerika eine Brücke über den Maracaibo-See gebaut, und die war damals, Mitte der 60er-Jahre, die Sensation.
    May: Das heißt, die ist auch einsturzgefährdet? Oder liegt das nicht an der Konstruktion der Brücke?
    Curbach: Ich glaube nicht, dass es an der Konstruktion liegt, denn das ist ein sehr gutes Konzept, diese Schrägseilbrücken, wie sie heißen, werden auch heute in großer Zahl gebaut. Wobei es eher selten ist, dass nur jeweils ein Kabel nach unten geht, um die Träger zu halten. Heute baut man meist dünnere Kabel in Form einer Harfe, aber das Prinzip an sich ist ein sicheres Prinzip.
    May: Dünnere Kabel in Form einer Harfe kennt man von der Golden Gate Bridge, wenn ich jetzt recht – oder?
    Curbach: Das ist eine Hängebrücke, bei der so ein Kabel weitgespannt ist und so durchhängt, und dann gehen senkrecht Kabel nach unten, die die Fahrbahn halten. Bei der Schrägkabelbrücke sind das gerade Seile, die von der Spitze eines Pylons dann schräg nach unten gehen …
    "Wahrscheinlich sind viele Dinge zusammengekommen"
    May: Okay, das ist vielleicht jetzt auch gerade für den Moment zu verwirrend für unsere Hörer. Dennoch, kann man den Unfallhergang rekonstruieren? Wird man das rekonstruieren können?
    Curbach: Mir ist es jetzt natürlich nicht möglich, irgendwelche Hypothesen zu äußern über die Ursachen des Einsturzes. Aber man wird sicherlich jetzt alles untersuchen, man wird den Baugrund anschauen, ob die Fundamente sich bewegt haben, ob es irgendwo Ermüdung gab an Stahlträgern. Man kann das alles untersuchen. Man wird wahrscheinlich dann schon die Ursache benennen können. Und es könnte sein – so war es bisher bei allen großen Brückeneinstürzen, dass es nicht nur eine Ursache war, sondern dass viele Dinge zusammenkamen.
    May: Also eine Verkettung dann mehrerer Umstände. Das Wetter war ja auch unter anderem sehr schlecht, und eine Unterspülung wird ins Spiel gebracht der Brücke, durch das viele Wasser. Aber die Brücke galt auch als marode und sollte saniert werden. War das also abzusehen?
    Curbach: Es ist so, mit dem Begriff "marode" bin ich ein bisschen vorsichtig. Grundsätzlich ist es so, dass jedes Bauwerk, jedes Material altert im Lauf der Zeit. Deswegen werden Bauwerke, gerade Brücken, ständig überwacht, in Italien genauso wie in Deutschland. Und man muss jetzt abwarten, was bei diesen Untersuchungen jeweils herausgekommen ist. Es kann sein, dass während der Bauarbeiten, die wohl auch gerade stattgefunden haben, etwas passiert ist. Aber auch das ist jetzt reine Hypothese.
    "Jede Brücke wird alle sechs Jahre untersucht"
    May: Dann schauen wir mal auf Deutschland. Wir leiden ja auch hier bekanntlich unter vielen maroden Autobahnbrücken, hier in Köln sehr bekannt die Leverkusener Autobahnbrücke über den Rhein, für Schwerlastverkehr schon seit Längerem gesperrt. In Norddeutschland, wo ich herkomme, ist es die Rader Hochbrücke über den Nord-Ostsee-Kanal bei Rendsburg. Es gibt bestimmt noch mehr Beispiele. Kann das hier also auch passieren?
    Curbach: Es gibt sicherlich noch mehr Beispiele für Brücken, die in einem kritischen Zustand sind, aber dass wir das wissen, verdanken wir einem ausgesprochen ausgeklügelten Sicherheits- und Überwachungssystem. Bei uns wird jede Brücke im Rahmen einer Hauptuntersuchung alle sechs Jahre untersucht. Wenn man dabei feststellt, dass etwas nicht in Ordnung ist, passiert eben so was wie in Leverkusen oder am Nord-Ostsee-Kanal, dass dann eben teilweise gesperrt wird, damit man entweder Reparaturarbeiten leisten kann oder wie jetzt in Köln, Leverkusener Brücke, dass eine neue daneben gebaut wird.
    May: Das heißt, wir frotzeln dafür und wir ärgern uns, aber eigentlich ist das ein gutes Zeichen, dass man das sicher nimmt. In Italien hat es solche Sicherungssysteme nicht gegeben?
    Curbach: Doch. Auch in Italien werden Brücken ständig überwacht, und ich würde jetzt den italienischen Kollegen genauso zutrauen, dass sie das genauso sorgfältig machen. Weshalb es jetzt in Genua trotzdem zu dem Unfall kam, was ein großes Drama ist, ohne Zweifel, kann ich nicht sagen.
    "Wir werden das mindestens zehn Jahre durchhalten müssen"
    May: Dennoch, es muss viel saniert werden in Deutschland, das ist klar. Wie groß ist da das Problem maroder Brücken in Deutschland?
    Curbach: Wir sagen, dass so ungefähr ein Zehntel der Brücken in einem Zustand ist, dass wir uns mehr um sie kümmern müssen. Es ist aber so, dass in jedem Fall immer Sicherheit vorgeht und deswegen etwas unternommen wird wie Verkehrsreduzierung, Geschwindigkeitsbeschränkungen. Manchmal sehen Sie Schilder, dass Lkws nur im Abstand von 50 oder 80 Metern fahren sollen. Das sind alles Sicherungsmaßnahmen, damit nichts passiert. Der Bedarf ist trotzdem enorm. Wir haben in Deutschland im Moment eine Milliarde ungefähr zur Verfügung, damit die Brücken saniert werden können, und zwar eine Milliarde pro Jahr. Der Sanierungsbedarf wird auf ungefähr zehn Milliarden geschätzt, das heißt, wir werden das mindestens zehn Jahre durchhalten müssen und müssen uns um alle Brücken kümmern. Es ist ja auch so, der Schwerlastverkehr nimmt zu. Die Normen, in denen diese Verkehrslasten angenommen werden, steigern diese Lasten, damit die Brücken stärker werden, die neu gebaut werden, und die alten Brücken werden nachgerechnet, ob sie mit diesen erhöhten Verkehrslasten klarkommen. Wenn nicht, wird auch dort eingegriffen und verstärkt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.