Durak: Wir können nicht mehr warten, meint der DGB, die wirtschaftliche Lage im Osten sei so schlecht wie nie und deshalb sollten die im Solidarpakt II vorgesehenen Infrastrukturinvestitionen beispielsweise vorgezogen werden, und zwar sofort. Es geht dabei nicht um Peanuts, sondern um Milliarden Euro. Ist diese Forderung gerechtfertigt? Das frage ich Professor Rüdiger Pohl, Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle. Guten Morgen, Herr Pohl.
Pohl: Guten Morgen Frau Durak.
Durak: Ist also diese Forderung gerechtfertigt?
Pohl: Unser Institut fordert das auch schon seit Monaten, insbesondere auf der kommunalen Ebene. Es geht ja hier im wesentlichen um kommunale Infrastrukturinvestitionen, und die Kommunen sind mit ihren Finanzen einfach am Ende. Wenn man da nicht was macht, dann kommt die Infrastrukturoffensive nicht in Gang.
Durak: Weshalb ist sie denn bisher nicht in Gang gekommen?
Pohl: Erst mal reden wir ja von dem Infrastrukturprogramm, was für 2005 erst geplant ist. Das ist ja erst im letzten Jahr auf den Weg gebracht worden. Es ist natürlich so, dass die Kommunen nur das Geld ausgeben können, was sie haben, und wenn sie erst 2005 bis 2019 Geld bekommen, können sie nichts vorziehen. Hier müssen also neue Regeln gefunden werden. Es geht darum, dass die Kommunen auf der Basis von Geld, das sie in drei, vier Jahren erwarten können, heute schon Infrastruktur finanzieren.
Durak: Bisher haben die Kommunen doch auch was bekommen, denn wir haben ja den Solidarpakt I gehabt?
Pohl: Richtig. Aber wir wissen doch alle, dass die Infrastruktursituation im Osten noch bei weitem nicht befriedigend ist, dass es dort noch eine große Infrastrukturlücke gibt. Ich gebe Ihnen mal ein Beispiel: Wenn Sie mal eine durchschnittliche ostdeutsche Stadt nehmen - ich habe jetzt eine vor Augen - mit 600 km Straße, dann sind rund 300 km davon grundlegend sanierungsbedürftig. Es geht beim Infrastrukturausbau auch nicht im wesentlichen um Neubau, sondern nur um die Sanierung. Dafür fehlten bislang einfach die Mittel. Es ist ja was gemacht worden, aber das Loch ist noch riesengroß.
Durak: Große Löcher gibt es auch im Westen. Ich kann Ihnen was über Kölner Straßen erzählen, aber das nur nebenbei. Wir haben ja auch in Erinnerung, dass in den ersten Jahren auf den von Ihnen beschriebenen 600 km Straße 100 km Lampen angebaut worden, also Geld wirklich verpulvert worden. Wie ist denn das vermittelbar, beispielsweise im Westen?
Pohl: Aus westdeutscher Sicht muss ich Ihnen natürlich sagen, dass wir vor der Wiedervereinigung damals auch schon eine Infrastrukturdiskussion in Westdeutschland. Die ist dann mit der Wiedervereinigung ein bisschen in den Hintergrund gedrückt worden. Wir haben in Deutschland insgesamt das Problem, dass aus den öffentlichen Haushalten zu wenig investiert wird - die Investitionsquote von Nordrhein-Westfalen geht genauso drastisch zurück. Das ist also ein generelles Problem. Jetzt reden wir hier allerdings im Osten immer noch vom Aufbau Ost, und ich kann Ihnen nur folgendes sagen: Wenn man dies nicht macht, dann wird der Osten ewig ein Klotz am Bein bleiben, weil dann die wirtschaftliche Entwicklung nie voran kommt. Und wenn das der Fall ist, dann hat der Westen auch ein Problem, denn der trägt immer die sozialen Folgekosten. Also, eigentlich sollte der Westen auch ein Interesse daran haben, dass der Osten wenigstens einigermaßen auf die Beine kommt.
Durak: Das kann man ja noch verstehen. Darüber wird seit ungefähr zehn Jahren geredet, und das Verständnis im Westen - so hat man den Eindruck - schwindet. Also, man fragt immer wieder nach: Was ist bisher gemacht worden? Weshalb funktioniert es nicht? Wo werden Fehler gemacht? Wollen wir über Fehler reden, Herr Pohl, weil Sie diese ja untersuchen. Sind die Fehler, Fehlinvestitionen und Fehlentscheidungen den Landesregierungen oder kommunalen Behörden zuzuschreiben?
Pohl: Wenn man es mal auf einen Punkt bringen will: Jetzt mit der Vergangenheit anzufangen und zu fragen, ob man Anfang der 90-er Jahre diese schnellen Lohnsteigerungen hätte gebrauchen können, ist sicherlich unnütz, denn das ist alles vorbei. Wenn man den aktuellen Stande betrachtet, dann muss man natürlich auch sagen, dass, gerade was die öffentlichen Investitionen angeht, im Osten lange Zeit die Sozialabgaben, die Sozialleistungsquote doch sehr hoch war, es überhaupt eine Überbesetzung im öffentlichen Dienst gab. Was hier auch Not tut, ist eine Konsolidierung der öffentlichen Haushalte in Richtung Investitionen. Das ist der eine Punkt. Der andere Punkt - da kann man überlegen, ob das ein Fehler war - ist der, dass hier im Osten der Wohnungsbau massiv gefördert worden ist und wir nun bekanntlich diese 1 Millionen Leerstände haben, d.h. die Leute sind aus den Plattenbauten in die Einfamilienhäuser und in andere Neubauwohnungen umgezogen...
Durak:...oder in den Westen gegangen?
Pohl: Das eigentlich die wenigsten. Die Frage ist: War es richtig, diesen Wohnungsbau so zu subventionieren?
Durak: War es richtig?
Pohl: Ich denke ja, denn es gab am Anfang ja ein Qualitätsproblem - die Wohnungen, die heute leer stehen, sind ja die, die von der Qualität her nachteilig waren. Aber auf der anderen Seite kann man natürlich sagen, dass es zu weit ging. Nur hilft das jetzt nicht mehr. Im Moment gibt es ja diese Förderung gar nicht mehr. Der Nachteil ist, dass durch das Ausbleiben von Wohnungsbauten die Bauwirtschaft natürlich sehr stark auf Schrumpfkurs ist, und das macht auch dieses negative Image der ostdeutschen Wirtschaft aus.
Durak: Die Forderung des DGB wird ja durch eine Überlegung, das Ganze über Kredite zu finanzieren, begleitet, denn wir wissen ja, dass nicht nur die Kommunen kein Geld haben, sondern auch der Bund nicht. Und die anderen Länder schon gar nicht. Also, ist so etwas über Kredite finanzierbar?
Pohl: Es gibt gar keinen anderen Weg, denn, wenn ich mir vorstelle, da ist eine ostdeutsche Stadt und die erwartet im Jahr 2005 oder 2006 irgendeinen Betrag aus dem Solidarpakt II und will den schon heute ausgeben, dann geht es gar nicht anders als dass sie für diese drei oder vier Jahre praktisch einen Kredit am Kapitalmarkt aufnimmt - der Kapitalmarkt ist da sehr ergiebig. Diesen Kredit kann sie dann, wenn die Mittel fließen, zurückzahlen. Das Problem für die Kommune ist nicht so sehr, dass sie den Kredit aufnimmt, sondern dass sie natürlich für diese Zeit eine Zinslast zu tragen hat. und das ist im Moment ja auch die Bremse, warum so etwas geschieht.
Durak: Das heißt, die Zinsen können die Kommunen nicht tragen. Also, woher soll das Geld kommen? Haben Sie einen Vorschlag?
Pohl: Ich würde sagen, dass die ostdeutschen Länderregierungen im Visier sind. Es müssen sozusagen zwei Dinge geregelt werden: Erstens muss das Vorziehen von Investitionen rechtlich möglich gemacht werden, denn die Kommunen können das aus eigener Kraft gar nicht so einfach. Die Landesregierungen müssen da zusagen, denn die erwarteten Mittel müssen ja sozusagen verbindlich zugesagt werden. Dann müssen die Landesregierungen das Gegenteil von dem machen, was sie derzeit tun, denn derzeit kürzen sie den Kommunen ja die Investitionszuweisungen. Sie müssten dann einen Teil der Finanzierungskosten übernehmen.
Durak: Die Landesregierungen tun das ja nicht ohne Grund, Herr Pohl, was sie ja auch sehr gut wissen, denn Ihnen fehlt das Geld ja auch an allen Ecken und Enden?
Pohl: Das Geld fehlt allen, auch dem Bund. Bloß muss man sich überlegen, was eigentlich die Alternativen sind. Wenn man alles so lässt, dann kommt es eben nicht zum Infrastrukturausbau, oder es wird alles verzögert. Aber es ist nicht so, dass ein Kanal, der unter einer Straßendecke liegt, nun wartet bis er saniert wird. Der wird immer schlechter, das heißt, die Kosten werden immer höher. Wir haben also sozusagen die Wahl zwischen zwei Übel: Entweder wir fangen heute an, die Infrastruktur mit den vorgezogenen Krediten gleich auszubauen und zu sanieren, oder wir haben in drei, vier Jahren unheimlich höhere Kosten. Also, die Frage ist, was das bessere ist. Ich würde sagen, dass der erste Weg doch der bessere ist.
Durak: Herr Pohl, was glauben Sie, woran es liegt, dass der Osten, die Neuen Bundesländer zunehmend ein schlechtes Image haben, als Fass ohne Boden, als arme Schlucker, als Händeaufhalter und ewige Meckerer?
Pohl: Das liegt zum einen daran, dass die gesamtwirtschaftlichen Wachstumsraten ja sehr niedrig sind, und dabei übersehen die Leute, dass es hier eigentlich eine sehr dynamische Industrieentwicklung gibt. Ich will Ihnen mal ein Beispiel für das Jahr 2001 geben: Im Jahr 2001 hatte man hier eine Wachstumsrate von minus 0,3, also sogar ein leichtes Minus, aber die Industrie ist um 5,4 Prozent gewachsen. Mit anderen Worten: Dieser internationaler Sektor - die Industrie ist ja ein internationaler Sektor - ist sehr dynamisch. Nur die riesengroße Bauindustrie mit ihren riesengroßen Produktionen geht zurück und das macht die gesamtwirtschaftlichen Wachstumsraten so mies. Und dann kommt der Westen: Die können ja nicht mal wachsen! Es kommt noch etwas zweites hinzu. Das ist eine mentale Frage und das ist meine private, persönliche Wahrnehmung: Die Neigung zu klagen und sozusagen die Enttäuschung, dass nicht alles so gekommen ist, wie man sich das 1990 euphorisch gedacht hat, ist natürlich größer geworden, und dann hatten wir ja auch einen Bundestagspräsidenten, der mal vom - Osten auf der Kippe - geredet hat. Das hat solch ein Klima der Resignation erzeugt, und das halte ich für ganz gefährlich, weil es zum einen die Ostdeutschen selber lähmt und zum anderen dem Westen das Gefühl vermittelt: Die wollen ja gar nicht mehr.
Durak: Vielleicht auch ein Vermittlungsproblem. Wir haben uns bemüht. Das war Professor Rüdiger Pohl, Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle. Herzlichen Dank, Herr Pohl, für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio
Pohl: Guten Morgen Frau Durak.
Durak: Ist also diese Forderung gerechtfertigt?
Pohl: Unser Institut fordert das auch schon seit Monaten, insbesondere auf der kommunalen Ebene. Es geht ja hier im wesentlichen um kommunale Infrastrukturinvestitionen, und die Kommunen sind mit ihren Finanzen einfach am Ende. Wenn man da nicht was macht, dann kommt die Infrastrukturoffensive nicht in Gang.
Durak: Weshalb ist sie denn bisher nicht in Gang gekommen?
Pohl: Erst mal reden wir ja von dem Infrastrukturprogramm, was für 2005 erst geplant ist. Das ist ja erst im letzten Jahr auf den Weg gebracht worden. Es ist natürlich so, dass die Kommunen nur das Geld ausgeben können, was sie haben, und wenn sie erst 2005 bis 2019 Geld bekommen, können sie nichts vorziehen. Hier müssen also neue Regeln gefunden werden. Es geht darum, dass die Kommunen auf der Basis von Geld, das sie in drei, vier Jahren erwarten können, heute schon Infrastruktur finanzieren.
Durak: Bisher haben die Kommunen doch auch was bekommen, denn wir haben ja den Solidarpakt I gehabt?
Pohl: Richtig. Aber wir wissen doch alle, dass die Infrastruktursituation im Osten noch bei weitem nicht befriedigend ist, dass es dort noch eine große Infrastrukturlücke gibt. Ich gebe Ihnen mal ein Beispiel: Wenn Sie mal eine durchschnittliche ostdeutsche Stadt nehmen - ich habe jetzt eine vor Augen - mit 600 km Straße, dann sind rund 300 km davon grundlegend sanierungsbedürftig. Es geht beim Infrastrukturausbau auch nicht im wesentlichen um Neubau, sondern nur um die Sanierung. Dafür fehlten bislang einfach die Mittel. Es ist ja was gemacht worden, aber das Loch ist noch riesengroß.
Durak: Große Löcher gibt es auch im Westen. Ich kann Ihnen was über Kölner Straßen erzählen, aber das nur nebenbei. Wir haben ja auch in Erinnerung, dass in den ersten Jahren auf den von Ihnen beschriebenen 600 km Straße 100 km Lampen angebaut worden, also Geld wirklich verpulvert worden. Wie ist denn das vermittelbar, beispielsweise im Westen?
Pohl: Aus westdeutscher Sicht muss ich Ihnen natürlich sagen, dass wir vor der Wiedervereinigung damals auch schon eine Infrastrukturdiskussion in Westdeutschland. Die ist dann mit der Wiedervereinigung ein bisschen in den Hintergrund gedrückt worden. Wir haben in Deutschland insgesamt das Problem, dass aus den öffentlichen Haushalten zu wenig investiert wird - die Investitionsquote von Nordrhein-Westfalen geht genauso drastisch zurück. Das ist also ein generelles Problem. Jetzt reden wir hier allerdings im Osten immer noch vom Aufbau Ost, und ich kann Ihnen nur folgendes sagen: Wenn man dies nicht macht, dann wird der Osten ewig ein Klotz am Bein bleiben, weil dann die wirtschaftliche Entwicklung nie voran kommt. Und wenn das der Fall ist, dann hat der Westen auch ein Problem, denn der trägt immer die sozialen Folgekosten. Also, eigentlich sollte der Westen auch ein Interesse daran haben, dass der Osten wenigstens einigermaßen auf die Beine kommt.
Durak: Das kann man ja noch verstehen. Darüber wird seit ungefähr zehn Jahren geredet, und das Verständnis im Westen - so hat man den Eindruck - schwindet. Also, man fragt immer wieder nach: Was ist bisher gemacht worden? Weshalb funktioniert es nicht? Wo werden Fehler gemacht? Wollen wir über Fehler reden, Herr Pohl, weil Sie diese ja untersuchen. Sind die Fehler, Fehlinvestitionen und Fehlentscheidungen den Landesregierungen oder kommunalen Behörden zuzuschreiben?
Pohl: Wenn man es mal auf einen Punkt bringen will: Jetzt mit der Vergangenheit anzufangen und zu fragen, ob man Anfang der 90-er Jahre diese schnellen Lohnsteigerungen hätte gebrauchen können, ist sicherlich unnütz, denn das ist alles vorbei. Wenn man den aktuellen Stande betrachtet, dann muss man natürlich auch sagen, dass, gerade was die öffentlichen Investitionen angeht, im Osten lange Zeit die Sozialabgaben, die Sozialleistungsquote doch sehr hoch war, es überhaupt eine Überbesetzung im öffentlichen Dienst gab. Was hier auch Not tut, ist eine Konsolidierung der öffentlichen Haushalte in Richtung Investitionen. Das ist der eine Punkt. Der andere Punkt - da kann man überlegen, ob das ein Fehler war - ist der, dass hier im Osten der Wohnungsbau massiv gefördert worden ist und wir nun bekanntlich diese 1 Millionen Leerstände haben, d.h. die Leute sind aus den Plattenbauten in die Einfamilienhäuser und in andere Neubauwohnungen umgezogen...
Durak:...oder in den Westen gegangen?
Pohl: Das eigentlich die wenigsten. Die Frage ist: War es richtig, diesen Wohnungsbau so zu subventionieren?
Durak: War es richtig?
Pohl: Ich denke ja, denn es gab am Anfang ja ein Qualitätsproblem - die Wohnungen, die heute leer stehen, sind ja die, die von der Qualität her nachteilig waren. Aber auf der anderen Seite kann man natürlich sagen, dass es zu weit ging. Nur hilft das jetzt nicht mehr. Im Moment gibt es ja diese Förderung gar nicht mehr. Der Nachteil ist, dass durch das Ausbleiben von Wohnungsbauten die Bauwirtschaft natürlich sehr stark auf Schrumpfkurs ist, und das macht auch dieses negative Image der ostdeutschen Wirtschaft aus.
Durak: Die Forderung des DGB wird ja durch eine Überlegung, das Ganze über Kredite zu finanzieren, begleitet, denn wir wissen ja, dass nicht nur die Kommunen kein Geld haben, sondern auch der Bund nicht. Und die anderen Länder schon gar nicht. Also, ist so etwas über Kredite finanzierbar?
Pohl: Es gibt gar keinen anderen Weg, denn, wenn ich mir vorstelle, da ist eine ostdeutsche Stadt und die erwartet im Jahr 2005 oder 2006 irgendeinen Betrag aus dem Solidarpakt II und will den schon heute ausgeben, dann geht es gar nicht anders als dass sie für diese drei oder vier Jahre praktisch einen Kredit am Kapitalmarkt aufnimmt - der Kapitalmarkt ist da sehr ergiebig. Diesen Kredit kann sie dann, wenn die Mittel fließen, zurückzahlen. Das Problem für die Kommune ist nicht so sehr, dass sie den Kredit aufnimmt, sondern dass sie natürlich für diese Zeit eine Zinslast zu tragen hat. und das ist im Moment ja auch die Bremse, warum so etwas geschieht.
Durak: Das heißt, die Zinsen können die Kommunen nicht tragen. Also, woher soll das Geld kommen? Haben Sie einen Vorschlag?
Pohl: Ich würde sagen, dass die ostdeutschen Länderregierungen im Visier sind. Es müssen sozusagen zwei Dinge geregelt werden: Erstens muss das Vorziehen von Investitionen rechtlich möglich gemacht werden, denn die Kommunen können das aus eigener Kraft gar nicht so einfach. Die Landesregierungen müssen da zusagen, denn die erwarteten Mittel müssen ja sozusagen verbindlich zugesagt werden. Dann müssen die Landesregierungen das Gegenteil von dem machen, was sie derzeit tun, denn derzeit kürzen sie den Kommunen ja die Investitionszuweisungen. Sie müssten dann einen Teil der Finanzierungskosten übernehmen.
Durak: Die Landesregierungen tun das ja nicht ohne Grund, Herr Pohl, was sie ja auch sehr gut wissen, denn Ihnen fehlt das Geld ja auch an allen Ecken und Enden?
Pohl: Das Geld fehlt allen, auch dem Bund. Bloß muss man sich überlegen, was eigentlich die Alternativen sind. Wenn man alles so lässt, dann kommt es eben nicht zum Infrastrukturausbau, oder es wird alles verzögert. Aber es ist nicht so, dass ein Kanal, der unter einer Straßendecke liegt, nun wartet bis er saniert wird. Der wird immer schlechter, das heißt, die Kosten werden immer höher. Wir haben also sozusagen die Wahl zwischen zwei Übel: Entweder wir fangen heute an, die Infrastruktur mit den vorgezogenen Krediten gleich auszubauen und zu sanieren, oder wir haben in drei, vier Jahren unheimlich höhere Kosten. Also, die Frage ist, was das bessere ist. Ich würde sagen, dass der erste Weg doch der bessere ist.
Durak: Herr Pohl, was glauben Sie, woran es liegt, dass der Osten, die Neuen Bundesländer zunehmend ein schlechtes Image haben, als Fass ohne Boden, als arme Schlucker, als Händeaufhalter und ewige Meckerer?
Pohl: Das liegt zum einen daran, dass die gesamtwirtschaftlichen Wachstumsraten ja sehr niedrig sind, und dabei übersehen die Leute, dass es hier eigentlich eine sehr dynamische Industrieentwicklung gibt. Ich will Ihnen mal ein Beispiel für das Jahr 2001 geben: Im Jahr 2001 hatte man hier eine Wachstumsrate von minus 0,3, also sogar ein leichtes Minus, aber die Industrie ist um 5,4 Prozent gewachsen. Mit anderen Worten: Dieser internationaler Sektor - die Industrie ist ja ein internationaler Sektor - ist sehr dynamisch. Nur die riesengroße Bauindustrie mit ihren riesengroßen Produktionen geht zurück und das macht die gesamtwirtschaftlichen Wachstumsraten so mies. Und dann kommt der Westen: Die können ja nicht mal wachsen! Es kommt noch etwas zweites hinzu. Das ist eine mentale Frage und das ist meine private, persönliche Wahrnehmung: Die Neigung zu klagen und sozusagen die Enttäuschung, dass nicht alles so gekommen ist, wie man sich das 1990 euphorisch gedacht hat, ist natürlich größer geworden, und dann hatten wir ja auch einen Bundestagspräsidenten, der mal vom - Osten auf der Kippe - geredet hat. Das hat solch ein Klima der Resignation erzeugt, und das halte ich für ganz gefährlich, weil es zum einen die Ostdeutschen selber lähmt und zum anderen dem Westen das Gefühl vermittelt: Die wollen ja gar nicht mehr.
Durak: Vielleicht auch ein Vermittlungsproblem. Wir haben uns bemüht. Das war Professor Rüdiger Pohl, Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle. Herzlichen Dank, Herr Pohl, für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio