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Ingo Loa: Allgemeinbildung Naturwissenschaften

Mit Kanons werden wir derzeit regelrecht überschüttet. "Bildung - alles was man wissen muss", so hieß jener Wälzer, der die Welle vor vier Jahren anschob. Darin hatte der frühere Anglistikprofessor Dietrich Schwanitz gebündelt, was man seiner Ansicht nach als Bewohner des abendländischen Kulturkreises kennen sollte an Philosophie, Literatur, Kunst, Musik. Die Naturwissenschaften kamen nicht vor.

Rezensiert von Sabine Sütterlin |
    Diese Lücke füllte alsbald der Wissenschaftshistoriker Ernst-Peter Fischer. "Die andere Bildung - was man von den Naturwissenschaften wissen sollte", so hieß Fischers Antwort auf Schwanitz. Ein Streifzug durch die Geschichte der Entdeckungen, durch den Mikrokosmos der Materie, durch das Universum und die Evolution. Und ein Plädoyer für die Annäherung der zwei Kulturen.

    Ähnliches gibt es jetzt auch für Jugendliche: "Allgemeinbildung Naturwissenschaften - das musst du wissen". Der Titel des 198 Seiten starken Bandes aus dem Arena Verlag lehnt sich offensichtlich an den von Fischers Buch an. Und der Umschlag wirkt beinahe wie geklont.

    Blättert man das Buch auf, ist jedoch Schluss mit den Ähnlichkeiten. "Allgemeinbildung Naturwissenschaften" erhebt nicht wie Fischer den Anspruch, "Wissenschaft als Kunst zu denken". Es ist frei von erkenntnistheoretischen oder philosophischen Betrachtungen. Und die Grenzbereiche moderner Forschung erwähnt es bestenfalls kurz.

    Das Buch will nichts weiter sein als - so steht es im Vorwort - "eine anregende und vergnügliche Reise", "ein unterhaltsamer Streifzug durch die Welt der Naturwissenschaften".

    Der Mensch ist neugierig. Schon seit Jahrtausenden interessiert er sich für seine Umgebung - für die Welt, in der er lebt. Manche Fragen sind ganz praktischer Art. Wie kann man Feuer machen? Wodurch werden Menschen krank und wie kann man sie heilen? (...) Andere Fragen dagegen sind Ausdruck reinen Wissensdurstes. Welcher Natur sind die Sterne, die funkelnden Lichter am Nachthimmel? Warum ist das Gras grün und der Himmel blau? (...) Der Drang nach neuer Erkenntnis ist ein menschlicher Urtrieb. Jeder kennt das Glücksgefühl, das man empfindet, wenn man die Lösung eines Rätsels gefunden hat. Die Freude an der Erkenntnis und der Wunsch, praktische Probleme zu lösen, sind die wesentlichen Antriebe, die Welt systematisch zu ergründen und das Wissen zu vermehren.

    Mit diesen Worten beginnt das erste Kapitel über die Geschichte der Naturwissenschaften. Die Kostprobe zeigt, dass die Reise nicht so "unterhaltsam" ist wie im Vorwort angekündigt. Jedenfalls nicht im Sinne von besonders originell geschrieben. Das Prädikat "solide" beschreibt den Ansatz genauer, den der Herausgeber Ingo Loa, ein Physiker, und seine Mitautoren gewählt haben.

    Die historische Einführung dient gleichzeitig dazu, die so genannte exakten Wissenschaften zu definieren und von den esoterischen Lehren abzugrenzen. Danach folgt für jede Disziplin ein Kapitel: Physik, Chemie, Mathematik, Geowissenschaften, Meteorologie, Astronomie, Biologie und Medizin. Die Kapitel sind aufgeteilt in Unterthemen wie "Licht und Farbe", "Wettervorhersage" oder "Genetik". Jedes davon nimmt genau eine Doppelseite ein.

    Auf jeder dieser Doppelseiten verschafft ein Lauftext den Überblick. Fremdwörter werden sogleich in Klammern etymologisch erläutert. Fettgedruckte Stichworte im Text verweisen auf Randspalten mit zusätzlichen Erklärungen. Den Schlusspunkt jeder Doppelseite setzt ein grau hinterlegter Kasten. Dort erfolgt unter dem Titel "Bemerkenswertes" zum Beispiel der Hinweis, dass wir heute in einer von Menschenhand geprägten Kulturlandschaft leben. Oder dass es über zehn Millionen Arten von Lebewesen gibt.

    Ein derart strenges Raster erfordert Reduktion auf das Wesentliche. Es fehlt jeglicher grafischer Schnickschnack. Nur ab und zu sind Bleistiftzeichnungen berühmter Köpfe eingestreut, hier eine chemische Formel, dort eine einfache Grafik.

    Auch für sprachliche Volten oder gar für komplexe Diskussionen ist kein Platz. Nehmen wir das Thema "Entstehung des Lebens": Da werden erst einmal die Befruchtung, die Embryonalentwicklung und die Vererbung von Merkmalen abgehandelt. Für solch heikle Dinge wie Genmanipulation und Klonen bleiben danach nur ein paar lapidare Sätze.

    Oder das Thema "Wahrnehmen, Denken, Bewegen". Da findet sich sauber zusammengefasst, wie das menschliche Gehirn Sinnesmeldungen registriert, wie es Muskeln in Bewegung setzt, elementare Körperfunktionen steuert und geistige Leistungen ermöglicht. Von den jüngsten neurobiologischen Erkenntnissen über das Denken und die Wahrnehmung des Selbst keine Silbe. Das Stichwort "Bewusstsein" im Register führt zu der Doppelseite über "die Erforschung der Seele". Dort sind die Psychoanalyse, die Psychologie und die Verhaltenswissenschaft gerafft dargestellt. Damit endet das Buch.

    Fazit: Die Reise durch die Naturwissenschaften - um das vom Herausgeber gewählte Bild aufzugreifen - ist zwar ordentlich vorbereitet und gut organisiert, erinnert aber ein wenig an die berüchtigten "Sehen-Sie-Europa-in-drei-Tagen"-Touren.

    Es schadet sicher nicht, "Allgemeinbildung Naturwissenschaften" im Regal stehen zu haben. Das Buch eignet sich bestens, um Streitfragen am Familientisch zu klären. Erwachsene werden es nützlich finden, um längst vergessenes Wissen aufzufrischen oder kleine Bildungslücken zu schließen. Und Jugendliche ab zwölf Jahren können sich damit einen kompakten Überblick verschaffen, wenn die Schule ihnen wieder mal nur Fakten einpaukt statt Zusammenhänge zu vermitteln. Es orientiere sich sogar am Lehrplan, wirbt der Verlag.

    Wer jedoch keinen Kanon sucht, sondern wirklich in die Materie eindringen möchte, frage besser nach den drei Bänden über die Naturwissenschaften von Gerhard Staguhn aus dem Hanser Verlag.

    Ingo Loa (Hrsg.): Allgemeinbildung Naturwissenschaften - Das musst du wissen. Arena Verlag, Würzburg 2003. 198 Seiten, 15,00 Euro (ab 12 Jahren)