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Ingwer
Kein Wundermittel - aber ein breites Spektrum

In der traditionellen chinesischen Medizin spielt Ingwer seit Jahrhunderten eine große Rolle. Die tropische Pflanze stammt vermutlich aus Südostasien und wurde von Händlern nach Europa gebracht. Auch hier hat Ingwer einen Siegeszug in der Naturmedizin erlebt.

Von Andrea Westhoff | 03.05.2016
    Teile einer Ingwerwurzel auf einem Spiegel
    Ingwer - ein vielseitiges Naturheilmittel (dpa/picture alliance/Wolfram Kastl)
    "Demgegenüber muss man sagen: Bis vor 20 Jahren etwa war gar nicht viel übrig geblieben vom Ingwer, weder in der Küche noch als Heilkraut, bevor wir jetzt wieder in dieser Renaissance, in dieser Mode für die asiatische Heilkunde ihn wiederentdeckt haben."
    Sagt Professor Andreas Michalsen, Leiter der Hochschulambulanz für Naturheilverfahren der Berliner Charité. Benutzt wird von der Ingwer-Pflanze nur die Wurzelknolle: geschält und frisch geraspelt, in Scheiben oder Stücke geschnitten. Man kann aber auch den Extrakt gewinnen oder Ingwer getrocknet und gemahlen verwenden. Die Wurzel enthält unter anderem Eisen, Vitamine, Kalzium und Kalium, doch medizinisch bedeutsam sind vor allem zwei Gruppen von Inhaltsstoffen, erklärt Matthias Melzig, Professor für Biologische Pharmazie an der FU Berlin.
    "Das sind einmal die flüchtigen, die man als ätherisches Öl bezeichnet, die sind nicht scharf, und die Scharfstoffe, vor allem in der frischen Droge sind das die Gingerole, die nach und nach bei der Lagerung in die noch schärferen übergehen können."
    Und die heißen "Schogaole". Die Anpreisungen als universales Wundermittel sind zwar übertrieben, ein breites Wirkspektrum hat der Ingwer jedoch zweifellos – als essbare Pflanze selbstverständlich zuerst im Magen- und Darmbereich.
    "Durch die Scharfstoffe kommt es zur verstärkten Ausschüttung von Verdauungsenzymen, Verdauungssäften, somit wird die Eiweißverdauung, die Fettverdauung insbesondere und natürlich auch die Kohlenhydratverdauung angeregt, so dass die Nutzung des Ingwers seit altersher auch immer mit Erkrankungen des Verdauungstraktes in Kombination gebracht wird."
    Matrosen schwören seit Jahrhunderten auf Ingwer als vorbeugendes Mittel gegen Seekrankheit, und auf Kreuzfahrten wird nicht selten immer noch kandierter Ingwer nach dem Essen serviert.
    Ingwer und Krebsbehandlung schließen sich nicht aus
    "Es gibt auch klinische Versuche dazu, die eher zwiespältige Ergebnisse erbracht haben, aber aufgrund der Traditionen, der Erfahrungsberichte, die nun gerade beim Ingwer mehr als 2000 Jahre umfassen, denk ich, hier kann man den Ingwer gut einsetzen."
    Die Wirkung gegen Übelkeit könnte auch in der Krebsbehandlung interessant sein. Studien haben gezeigt, dass die Inhaltstoffe des Ingwers genau die Rezeptoren im Brechzentrum des Gehirns besetzen, die oft während einer Chemotherapie aktiviert werden. So kann die Übelkeitsreaktion zumindest verringert werden. Ob Ingwer auch bei Schwangerschaftsübelkeit eingenommen werden sollte, ist dagegen umstritten. Matthias Melzig meint dazu:
    "Vorsichtig sollte man immer sein, wenn man in der Schwangerschaft Arzneimittel einnimmt, aber wenn man das bestimmungsgemäß tut, also soviel nur nimmt, wie empfohlen wird, dann denk ich, besteht keine Gefahr."
    Ob die scharfe Knolle, wie oft behauptet, eine antivirale und antibakterielle, also entzündungshemmende Wirkung hat, ist noch nicht in streng wissenschaftlichen Studien untersucht worden:
    "Aber man muss sagen, da die Scharfstoffe alle den gemeinsamen Wirkungsmechanismus haben, dass auch die Durchblutung verstärkt wird, kommt es zum verstärkten Abtransport natürlich von Entzündungsmediatoren, und damit kann auch eine Besserung des Befindens bei Entzündungen lokaler Art ausgelöst werden."
    Insbesondere das subjektiv wärmende Gefühl durch die Scharfstoffe im Ingwer tut hier seine Wirkung, ergänzt Professor Michalsen:
    "Nicht umsonst setzen das ja auch zum Beispiel viele Sänger bei Erkältung als Prophylaktikum oder Heilmittel ein, Ingwertee, Ingwerwasser heiß zu trinken, also das beruhigt die Schleimhäute, das ist wohltuend bei allen Erkältungen, die im oberen Rachenraum sind."
    Aufgrund der Wärmewirkung hat der Ingwer auch äußerlich gegen Schmerzen angewendet eine lange Tradition:
    "Also es gibt zum Beispiel Akupunkturtechniken in der chinesischen Medizin, da wird eine Ingwerscheibe auf die Haut gelegt und dann an der gleichen Stelle akupunktiert, es gibt Ingwerwickel, es gibt Ingweröleinreibungen, und das führt zu dieser besseren Durchblutung, also es entsteht natürlich auch wieder dieses angenehme Wärmegefühl."
    Ingwer ist ein bisschen Aspirin
    Allerdings kann es gelegentlich zu allergischen Hautreaktionen kommen. Das ist jedoch nicht spezifisch für Ingwer. Auch innerlich angewendet haben Gingerole offenbar eine schmerzlindernde Wirkung, ähnlich wie Acetylsalicylsäure, bekannt als Aspirin. Dazu gibt es sogar erste wissenschaftliche Studien.
    "Das sind schon Effekte, die so einem niedrigdosierten schmerzlindernden Medikament gleichkommen. Es ist nicht ganz so zuverlässig, also wir haben beim Ingwer immer mal doch auch so genannte Nonresponder, wo es nicht so wirkt. Aber im Mittel ist es ein leichteres Schmerzmittel, besonders wirksam übrigens auch nach der Studienlage bei Kopfschmerzen."
    Aber auch das "Natur-Aspirin" kann unerwünschte Nebenwirkungen haben, sagt der Spezialist für pflanzliche Arzneistoffe, Professor Matthias Melzig:
    "Das ist wie immer eine Frage der Dosis, und natürlich auch der individuellen Empfindlichkeit, gerade diese Scharfstoffe können bei empfindsamen Personen, wenn das in Getränken oder Speisen aufgenommen wird, den Gastrointestinaltrakt so stark reizen, dass es dann zum Erbrechen oder aber auch zu Durchfällen kommen kann."
    Auch Wechselwirkungen sind möglich: Nicht nur synthetische, sondern auch Naturstoffe können die Wirkung anderer Arzneien abschwächen oder verstärken. Patienten, die blutverdünnende Medikamente nehmen, sollten daher wissen, dass Ingwer, frisch und reichlich genossen, ebenfalls die Gerinnung hemmt. Sie könnten daher unter Umständen eine höhere Blutungsneigung haben.
    Einen ganz und gar unbedenklichen Tipp zum Ingwer hat aber der Naturheilkundeprofessor Andreas Michalsen:
    "Kalte Füße können ein Grund für Schlafstörungen sein, deswegen auch die Wärmflasche, aber Bäder sind sehr viel stärker wirksam zur Erwärmung als eine Wärmflasche, beim asiatischen haben die Ingwerfußbäder eine Tradition, man rührt einfach ein bis zwei Esslöffel getrocknetes Ingwerpulver rein, das erhitzt sehr angenehm die Füße und man schläft danach sehr wohl durch."