Freitag, 26. April 2024

Archiv


Initiative zur Überwindung des Bildungsföderalismus

Es soll zehn Prozent der Abiturnote ausmachen, bis 2018 umgesetzt werden, zunächst die Fächer Deutsch, Englisch und Mathematik umfassen und für alle Bundesländer gelten. Es könnte, meint Deutschlandfunk-Korrespondent Michael Watzke, eine "Art Trojaner" sein und vielleicht einmal "das Kernelement für die Hochschulberechtigung" bilden.

Michael Watzke im Gespräch mit Jörg Biesler | 19.10.2011
    Jörg Biesler: Nicht nur Daniela lieben wir, viele lieben auch das Zentralabitur, das wird nämlich immer mal wieder gefordert, wie insgesamt sich die Frage stellt, ob der Bildungsföderalismus in Deutschland wirklich eine gute Idee ist in allen Bereichen. Mindestens bei der Hochschulzugangsberechtigung gab es vor allem aus den Reihen der CDU immer wieder die Forderung nach Zentralisierung. Heute stellt der Aktionsrat Bildung, der auf Initiative der bayrischen Wirtschaft gegründet wurde, ein Gutachten vor und spricht sich aus für ein bundesweites Kernabitur in den Fächern Deutsch, Mathematik und Englisch. Deutschlandfunk-Korrespondent Michael Watzke hat sich die Vorschläge angehört. Herr Watzke, Sie haben sie sich angehört ausgerechnet in München, wo man doch wohl gar nichts davon hält, auch nur annähernd ein Abitur so zu machen wie in anderen Bundesländern.

    Michael Watzke: Ja, tatsächlich. Der bayrische Kultusminister Ludwig Spaenle, der heute auch bei der Veranstaltung zugegen war, will definitiv die bayrischen Qualitätsstandards, jedenfalls das, was er darunter versteht, hochhalten. Es gibt in Bayern durchaus Bestrebungen, ein sogenanntes Süd-Abitur einzurichten, das sollte mit den ursprünglich süddeutschen Bundesländern zusammen sein, mittlerweile ist da auch Niedersachsen dabei, Schleswig-Holstein, andere Bundesländer. Das soll eben ein besonders schweres, schwieriges und qualitätsvolles Abitur sein. Und unter den Gesichtspunkten und unter der Bedingung wäre wahrscheinlich auch das bayrische Kultusministerium durchaus dabei.

    Biesler: Wie konkret sind denn die Pläne? Wie stellt sich der Aktionsrat Bildung das Kernabitur vor?

    Watzke: Das sind durchaus sehr konkrete Pläne. Dieses Gutachten, das heute vorgestellt wurde vom Aktionsrat Bildung, ist fast 100 Seiten lang und sehr detailliert. Dieses Kernabitur, Sie haben es vorher schon gesagt, in den Fächern Deutsch, Englisch und Mathematik soll aus drei Prüfungen bestehen, etwa 90 Minuten lang, jede dieser einzelnen Prüfungen; es soll alles an einem Tag in ganz Deutschland stattfinden; es sollen sogenannte kompetenzorientierte Fragen sein – das könnte also beispielsweise ein Multiple-Choice- oder ein offenes Multiple-Choice-Verfahren sein. Alle Schüler in Deutschland sollen das zum selben Zeitpunkt absolvieren, und dann könnten diese Prüfungsbögen an das IQB geschickt werden, ein Institut in Berlin, das unter anderem auch schon die nationalen Bildungsstandards definiert hat für alle Bundesländer zusammen. Da würde das dann korrigiert an zentraler Stelle, und zehn Prozent der Abiturnote würden dann auf dieses Kernabitur fallen, das heißt also, diese Prüfungen würden zehn Prozent zählen im Gesamtabitur eines jeden Schülers in Deutschland.

    Biesler: Jetzt muss man ja dafür Argumente finden, denn wir haben das ja im Augenblick noch nicht, es müsste eingeführt werden, alle Bundesländer müssten zustimmen. Das ist ein ziemlich kompliziertes Verfahren. Was sind denn die Argumente, was wäre der Vorteil?

    Watzke: Also ein Argument saß unter anderem auf dem Podium heute bei der Vorstellung dieses Kernabiturs, das war die bayrische Wirtschaft in Vertretung von Randolf Rodenstock, dem Präsidenten der Vereinigung der Bayrischen Wirtschaft. Die Wirtschaft fordert das: Sie will Standards, die sie vergleichen kann. Auch Teile der Wissenschaft wollen das, Universitäten, die einfach sagen können wollen: Dieses Abitur ist so und so viel wert. Bis jetzt ist das sicherlich nicht der Fall. Und die bayrische Wirtschaft – zumindest erweckt die Vereinigung der Bayrischen Wirtschaft diesen Eindruck –, die will ein Zentralabitur, unter anderem auch deshalb, damit Arbeitnehmer in ganz Bayern eben auch leichter wechseln können, denn wenn Sie eine Familie haben und Sie haben Kinder im Schulalter, dann kann ein Wechsel von der Isar an die Spree beispielsweise oder von der Isar an die Weser kann für dieses Schulkind bedeuten, dass es eine oder zwei Jahre verliert. Das gibt es tatsächlich, und deshalb drängt auch die Wirtschaft besonders stark auf ein solches zentrales Kernabitur.

    Biesler: Wenn man ein solches Argument aber ernst nimmt, dann müsste doch eigentlich die Vereinheitlichung noch viel weiter gehen. Gab es da heute irgendwelche Äußerungen dazu?

    Watzke: Durchaus, also es gab zum Beispiel von der Firma Siemens, die einen Vertreter geschickt hatte, durchaus die Forderung oder den Einwurf, dass man das bei Siemens schon so praktiziert, in vielen anderen Firmen schon so praktiziert, nämlich eine zentrale Prüfung sozusagen, und dass das noch viel weiter gehen sollte. Aber man muss das ja politisch auch durchsetzen. Es wird, das steht auch in dem Gutachten drin, es wird Verlierer und Gewinner geben. Wahrscheinlich sind die Gewinner eher im Süden zu suchen und die Verlierer eher im Norden, und da ist es ganz klar, dass man das auch irgendwie durchsetzen muss, politisch durchsetzen muss. Und vielleicht ist das so eine Art Trojaner, dieses Kernabitur, wenn es denn kommt, dann will man das nämlich irgendwann weiter vergrößern, dann sind es mehr als zehn Prozent, und vielleicht ist es dann irgendwann sogar mal das Kernelement für die Hochschulberechtigung, und die Hochschulen schauen sich das als Erstes an.

    Biesler: Die Zeitplanung des Aktionsrats geht ja vom Abiturjahrgang 2018 aus, wo das zum ersten Mal umgesetzt werden soll. Das ist aber utopisch, oder?

    Watzke: Tja, das ist die Frage, in welche Richtung, also Randolf Rodenstock hat heute in der Veranstaltung gesagt, "it's urgent", sense of urgency, man müsse mal schneller machen, die Zeit verrauscht und man bräuchte das eigentlich noch viel schneller, ein solches Kernabitur, eine solche Vergleichbarkeit. Andere sagen wiederum: So, wie Föderalismus in Deutschland funktioniert, wird es noch viel, viel länger dauern als 2018. Da gibt es ganz unterschiedliche Aussagen. Ich glaube, die Macher dieser Studie, Herr Professor Wößmann und Herr Professor Prenzel aus München, die haben dabei versucht, so einen Mittelweg zu gehen: Zehn Prozent ist nicht viel, 2018 ist eigentlich noch lange hin – mal sehen, was am Ende wirklich dabei rauskommt.

    Biesler: Ja, und Herr Rodenstock hat immerhin schon mal klar gemacht, dass er das Zentralabitur in Englisch natürlich auf jeden Fall bestehen würde. Vielen Dank, Michael Watzke, über die Vorschläge des Aktionsrates Bildung für ein deutschlandweites Kernabitur in Deutsch, Mathematik und Englisch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.