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Inkasso-Branche
Das freundliche Gesicht der tschechischen Schuldeneintreiber

Wer Schulden hat, soll sie auch bezahlen, findet Jana Tatyrkova, Verbandschefin der tschechischen Inkasso-Agenturen. Die Politik hält sie inzwischen für zu schuldnerfreundlich. Gleichzeitig weiß sie um die Methoden der schwarzen Schafe ihrer Branche und fordert mehr Regulierung.

Von Kilian Kirchgeßner | 22.04.2020
Jana Tatyrkova vom Verband der tschechischen Inkasso-Unternehmen
"Man vergisst oft die Gläubiger", sagt Jana Tatyrkova vom Verband der tschechischen Inkasso-Unternehmen (Deutschlandradio/Kilian Kirchgeßner)
Für das Treffen hat sie ein Café vorgeschlagen, gleich um die Ecke bei ihrem Büro ein paar Schritte vom Prager Wenzelsplatz entfernt. Jana Tatyrkova macht es sich in einem Sessel bequem. Sie ist Geschäftsführerin des Verbandes der tschechischen Inkasso-Agenturen; das freundliche Gesicht der Branche der Schuldeneintreiber, die im Misskredit steht. Am Anfang, erzählt sie, habe sie kritische Blicke geerntet, als sie von ihrem neuen Arbeitgeber erzählte:
"Viele Freunde haben gesagt: Inkasso-Agenturen – sind das die Gerichtsvollzieher? Nein, das ist etwas ganz anderes. Und hast du keine Angst? Wovor soll ich Angst haben? Ich finde, Schulden sollen auch bezahlt werden. Wenn ich etwas verspreche, dann muss ich es auch halten. Damit habe ich kein moralisches Problem."
"Auch die EU ist pro-schuldnerisch"
Jana Tatyrkova ist in ihren Vierzigern, die blonden Haare sind schulterlang. Es gehe bei der Frage nach dem Umgang mit Schuldnern vor allem um die Frage nach der Zahlungsmoral, argumentiert sie – und findet, die Debatte in Tschechien sei in Schieflage geraten:
"Man vergisst oft die Gläubiger. Immer ist die Frage: Wie kann man den Schuldnern helfen, wie kann man sie entschulden, selbst wenn sie gar nichts bezahlen? Ich finde das nicht richtig. Man sollte ihnen auf jeden Fall helfen, ganz klar – aber dabei helfen, zu bezahlen. Ihnen muss klar werden, dass sie etwas angerichtet haben. Sie haben sich verpflichtet, etwas zu bezahlen, und das tun sie nicht; daraus ist das Problem entstanden. Man sollte auch in den politischen Debatten die Gläubiger nicht vergessen. Das Pendel ist in ein Extrem ausgeschlagen, und die Bemühungen auch der EU sind sehr pro-schuldnerisch."
Eigenwillige Methoden mancher Inkasso-Firmen
Jana Tatyrkova holt ein Blatt Papier aus ihrer Aktentasche, darauf eine blaue Pyramide, die auf der Spitze balanciert. Sie soll illustrieren, was in der Debatte zur Unwucht führe:
"Diese Pyramide hat mein Kollege gezeichnet. Schauen Sie, hier unten in der Spitze der Pyramide: Das sind die 20.000 Tschechen, die jährlich die Privatinsolvenz beantragen. Darüber das Feld zeigt die 500.000 Posten, die jährlich in die Zwangsvollstreckung kommen. Das ist die Spitze, um die man sich kümmert – aber um den breiten Teil der Pyramide hier oben kümmert man sich nicht."
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe Tschechen in der Schuldenfalle.
Sie zeigt auf das obere Ende der Grafik. 2.000 Milliarden Kronen Schulden von Privathaushalten, steht dort, darüber eine noch größere Zahl: 10.000 Milliarden Kronen Schulden in der tschechischen Wirtschaft. In den meisten Fällen sei das Verhältnis zwischen Gläubigern und Schuldnern gut, es gebe keine Probleme – das gerate leicht in Vergessenheit. Stattdessen werde sie immer wieder mit den schwarzen Schafen ihrer Branche konfrontiert, und deren Methoden seien tatsächlich eigenartig:
"Da kommt es vor, dass der ganze Arbeitsplatz mit Zetteln zugeklebt wird, auf denen steht, dass diese und jene Frau Schulden hat und nicht bezahlen will. Oder in der ganzen Straße, wo ein Schuldner wohnt, werden Flugblätter hinter die Scheibenwischer geklemmt. Oder Lautsprecherwagen rufen den Namen des Schuldners überall aus. Das sind seltene Fälle, aber sie sind es, die in den Medien sichtbar sind."
"Es geht heute nicht mehr um Baseballschläger"
Der Kellner bringt ihr einen Latte Macchiato. 80 Prozent der tschechischen Inkasso-Unternehmen sind Mitglied in Jana Tatyrkovas Verband, im zurückliegenden Jahr kümmerten sie sich um annähernd anderthalb Millionen neue Forderungen in einem Umfang von umgerechnet fast einer Milliarde Euro. Die Inkasso-Agenturen sind ein Glied in der Kette, mit der es die Schuldner zu tun bekommen: Profis, die für Firmen die Ausstände eintreiben. Erst, wenn auch die Inkasso-Agenturen keinen Erfolg haben, kommt es üblicherweise zum Gerichtsverfahren und dann zur Zwangsvollstreckung.
"Der Unterschied zu den 1990er-Jahren ist deutlich. Heute legen die Inkasso-Agenturen großen Wert auf die Ethik des Geldeintreibens; es geht nicht mehr um extreme Aggressivität. Die Firmen haben sehr ausgefeilte Systeme, um die Schritte gut aufeinander abzustimmen: SMS-Nachrichten, Anrufe, Vertreter vor Ort. Es geht heute nicht mehr um Baseballschläger, wie das in den 90er-Jahren manchmal der Fall war."
Die Branche ist weitgehend unreguliert
Genau an dieser Stelle liege aber das Problem, das räumt Jana Tatyrkova ein – und das sei eine tschechische Besonderheit: Die Branche ist weitgehend unreguliert; viele Unternehmen greifen zu dubiosen Mitteln oder schlagen abenteuerliche Gebühren auf die ursprünglichen Forderungen auf. Die Mitgliedsunternehmen ihres Verbands, betont Jana Tatyrkova, verpflichteten sich auf einen Ethik-Kodex. Die anderen Inkasso-Firmen, die immerhin ein Fünftel des Marktes ausmachten, allerdings nicht – und die rückten die ganze Branche in ein schlechtes Licht. Seit Jahren schon werben Tatyrkova und ihre Kollegen für ein Gesetz, das dem Inkasso-Geschäft Fesseln anlegt. Tatyrkova schüttelt den Kopf.
"Damit putzen wir immer noch die Klinken, wir gehen von einem Minister zum nächsten, weil die so häufig wechseln. Aber leider: Eine legislative Verankerung des außergerichtlichen Inkassos ist noch nicht zustande gekommen."
Und so kämpft Jana Tatyrkova gleichzeitig gegen den schlechten Ruf ihrer Branche und gegen eine Politik, die sie für zu Schuldner-freundlich hält. Eins immerhin gebe Anlass zur Hoffnung, sagt sie: Die Zahlungsmoral in Tschechien sei deutlich besser geworden in jüngster Zeit – eine Folge der boomenden Wirtschaft.