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Inklusion an Schulen
"Eine Lehrerin alleine kann das nicht leisten"

Es gebe viel zu wenig Personal, um Kinder inklusiv beschulen zu können, sagte Lehrerin und Buchautorin Ute Schimmler im Dlf. So wie Inklusion jetzt durchgesetzt werde, sinke die Leistung in den Klassen insgesamt. Vor allem hochbegabte Schüler müssten zurückstecken.

Ute Schimmler im Gespräch mit Thekla Jahn | 27.03.2019
Inklusive Klasse mit Schulassistenten in der Otfried-Preussler-Schule in Hannover
Inklusive Klasse mit Schulassistenten in Hannover (Holger Hollemann / dpa)
Thekla Jahn: Inklusion ist schwierig und bislang gelingt es nicht, alle Schüler an regulären Schulen zu unterrichten. Eine Lehrerin, die seit Jahrzehnten an einer Bremer Grundschule arbeitet, hat sich ihren Frust von der Seele geschrieben, Doktor Ute Schimmler, jetzt telefonisch aus Bremen zugeschaltet. "Inklusion - so nicht!" haben Sie Ihre kritische Bestandsaufnahme genannt. Schönen guten Tag, Frau Schimmler!
Ute Schimmler: Guten Tag, Frau Jahn!
Jahn: Frau Schimmler, Sie sind eine vehemente Verfechterin der Inklusion, kann man in Ihrem Buch nachlesen, aber Sie hadern mit der Umsetzung in deutschen Schulen. Sie unterrichten selbst in Bremen, in dem Bundesland, in dem die Inklusion am weitesten fortgeschritten ist, nur noch 1,2 Prozent der Kinder gehen auf eine Förderschule. Warum der Frust?
Schimmler: Der Frust resultiert vor allem daraus, dass gesagt wurde, wir machen das jetzt mal alles inklusiv, aber die Ressourcen, die wir dafür brauchen, die gibt es nicht. Das heißt, wir haben viel zu wenig Personal, um Kinder inklusiv beschulen zu können. Das müssen gar nicht unbedingt ausgebildete Lehrer sein, aber wenn Sie in einer Klasse zusammen haben Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten, hochbegabte Kinder, Kinder mit Migrationshintergrund, oft traumatisiert, körperbehinderte Kinder, die wir aber in Bremen nur zum Teil haben, da gibt es noch eine Sonderschule, und Kinder mit diversen Lernproblemen - dann liegt auf der Hand, dass man das mit einer Lehrerin alleine nicht leisten kann.
Jahn: Ist das so, dass oft eine Lehrerin alleine so eine Vielfalt an Kindern unterrichten muss?
Schimmler: Ja. Das kann man ganz klar so sagen. Also in der Regel ist es so, dass man, wenn man Glück hat, noch mal eine zweite Lehrkraft dazu bekommt als Doppelbesetzung, aber die ist nur so lange da, bis der Krankenstand wieder höher wird, dann wird die abgezogen und muss vertreten. Es ist ja auch klar, dass man sagen muss, es müssen alle Schüler irgendwie unterrichtet werden, aber das "irgendwie" stört mich eben halt zunehmend im Laufe der Zeit.
Falsche Vorstellungen bei den Eltern über Inklusion
Jahn: Sie haben jetzt nicht nur die Kinder, die Vielfalt der Kinder als ein Problemfeld für die Inklusion beschrieben in Ihrem Buch, sondern auch die Eltern. Inwiefern sind Eltern ein Problem?
Schimmler: Die Eltern haben zum Teil keine klare Vorstellung, was passiert, wenn ihr Kind in eine ganz normale - inklusiv-offene, in Anführungsstrichen - Grundschule kommt. Manchmal würde ich mir Eltern wünschen, die sagen, ich möchte mein Kind auf einer Förderschule haben, und zwar ganz klar mit dem politischen Ausspruch, da wird es besser beschult, denn das können wir einfach nicht alles leisten. Und Eltern sind natürlich auch manchmal so, dass sie dem Inklusionsgedanken entgegenstehen. Ich habe das zum Beispiel gehabt in einer Klasse, dass ich dann irgendwann auf einem Elternabend mitbekam, dass Eltern gesagt haben, ich habe heute noch nicht deine Hausaufgabe. Und ich: Wieso, Hausaufgabe? Stellte sich heraus, die Eltern haben sich untereinander abgesprochen, damit auch jedes Kind ja die gleichen Hausaufgaben hat.
Jahn: Sie geben unterschiedliche Aufgaben den unterschiedlichen Kindern natürlich.
Schimmler: Ja, also ich denke, das muss man heutzutage, man kann auch nur inklusiv unterrichten mit einer sehr hohen Diagnosekompetenz. Im Grunde genommen müssen Sie bei jedem einzelnen Kind genau wissen, in welchem Fach es wo steht und was für Verstärkungsmaßnahmen Sie anwenden können.
Jahn: Ihre Analyse hört sich so an, als ob in Bremen die Inklusion dazu führt, dass die normalen, nicht-beeinträchtigten Kinder oder auch möglicherweise die hochbegabten Kinder Opfer der Inklusion sind und nicht richtig beschult werden?
Schimmler: Das ist jetzt ein heißes Eisen. Ich sage mal so: Ich glaube, die Kinder, die normal begabt sind, je nachdem, wie viele inklusiv beschulte Kinder in einer Klasse sind, die müssen schon ein bisschen zurückstecken. Sehr zurückstecken müssen nach meinen Erfahrungen, was ich hier so mitbekomme, in jedem Falle die hochbegabten Kinder. Ich denke, es müsste Maßnahmen geben, dass die Hochbegabten auch zum Beispiel in Form von Kurssystemen rausgenommen werden und vielleicht auch mal nach ihrem Interessensstand geschult werden können.
Schlechte Gesamtnote für Inklusion
Jahn: Also kann Inklusion, wenn ich Sie richtig verstehe, eigentlich doch nicht funktionieren?
Schimmler: Sie kann, wie gesagt, nur funktionieren mit mindestens zwei Personen in der Klasse, eher drei. Das müsste eine enge Zusammenarbeit sein in Form von Themen-Teaching, und es müsste im Grunde genommen jedes Mal in jedem einzelnen Fach mit Wochenplänen unterrichtet werden, die auch so zugeschnitten sind, dass sie dem einzelnen Kind weiterhelfen, das heißt, sie da abholen, wo sie stehen und ein Stück weit fordern, was sie sich erarbeiten müssen und können.
Jahn: Jetzt haben wir bislang über Bremen gesprochen, Ihr Bundesland. Bayern ist sozusagen der Gegensatz zu Bremen.
Schimmler: Ja.
Jahn: In Bayern ist die Inklusion am wenigsten vollzogen. Können die Bayern von Bremen lernen?
Schimmler: Jein. Ich glaube, wir können auch von Bayern lernen. Ich denke, das ist so eine gegenseitige Durchmischung, ehrlich gesagt. Wenn Sie sich mal die Skalen der einzelnen Leistungsbeurteilungstests angucken, dann sieht man, dass Bayern zum Beispiel im Lesen in den Grundschultests die besten Ergebnisse hat, Bremen hat die schlechtesten. Dafür ist Bremen am Weitesten in der Inklusion und Bayern eben nicht. Das hängt natürlich irgendwie zusammen.
Jahn: Das heißt, Inklusion führt dazu, dass die Leistung insgesamt sinkt?
Schimmler: So, wie sie jetzt durchgesetzt wird, ja. Das würde ich so unterschreiben. Mein Credo bleibt: Es müssen genügend Leute da sein, dann können natürlich die Starken noch mehr lernen als in einer nicht-inklusiven Grundschule, und die Schwachen werden mehr gefördert. Aber da sich ja die Behörden sehr, sehr schwer damit tun, genügend Leute einzustellen, wird das wohl noch lange ein bisschen so vor sich hinplätschern, fürchte ich. Und das fürchte ich tatsächlich.
Jahn: Inklusion nur mit genug Personal - vielen Dank, Dr. Ute Schimmler, Grundschullehrerin in Bremen und Autorin des Buches "Inklusion - so nicht!"
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.