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Inklusionstrainer
Der Stadtsportbund Aachen schließt eine Ausbildungs-Lücke

In den Ausbildungsangeboten der Landessportbünde und des DOSB gibt es viele verschiedene Übungsleiter-Lehrgänge. Was aber bisher fehlte, war die Ausbildung zum Übungsleiter für Inklusion. Den gibt es jetzt im Stadtsportbund Aachen - mit großem Erfolg.

Von Peter Kolakowski | 16.07.2022
Ein Schüler der Förderschule Paul-Klee-Schule in Celle fährt mit seinem Rollstuhl in der Sporthalle des Gymnasium Burgdorf Slalom um Hindernisse, während eine Schülerin zuschaut.
Inklusion im Unterricht. (picture alliance/dpa)
Zehn junge Männer und Frauen stehen im Kreis und spielen sich gegenseitig Bälle zu. Was nicht ganz einfach ist, denn alle tragen Brillen, die ihr Sehfeld bis auf einen ganz kleinen Ausschnitt drastisch einschränken. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollen spüren, wie sich Sportlerinnen und Sportler mit einer starken Sehbehinderung fühlen und mit welchen Widrigkeiten sie im Sport umgehen müssen. So können sie später als ausgebildete Trainerinnen und Trainer viel besser auf die Befindlichkeiten von Kursteilnehmern mit einer Beeinträchtigung eingehen.
Der Lehrgang ist Teil einer bundesweit bislang einmaligen Ausbildung zum Übungsleiter C - Inklusion, erklärt Sina Eghbalpour, die selbst eine Beeinträchtigung hat. Eghbalpour ist Inklusionsmanagerin beim Stadtsportbund Aachen und hat vor kurzem an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen in Aachen ihren Master in sozialer Arbeit abgeschlossen. Im Rahmen ihrer Doktorarbeit und einer wissenschaftlichen Studie hat sie die Ausbildung Übungsleiter*in Inklusion entwickelt und in die Praxis umgesetzt.
Sina Eghbalpour (Mitte) hat die Ausbildung zur Übungsleiter*in für Inklusion entwickelt.
Sina Eghbalpour (Mitte) hat die Ausbildung zur Übungsleiter*in für Inklusion entwickelt. (Kolakowski)
Zwar gibt es in den Ausbildungsangeboten der Landessportbünde und des Deutschen Olympischen Sportbundes DOSB bereits viele Lehrgänge, wie die Übungsleiter für Breitensport, für Leichtathletik oder für den Sport mit Älteren. Was aber fehlte, war der Übungsleiter für Inklusion.

"Beeinträchtigung wird zweitranging"

Während sich die Auszubildenden in der Halle jetzt in Rollstühle setzen und Basketball spielen, erklärt Sina Eghbalpour das Konzept: "Wir brauchen Übungsleiter*innen, die sowohl fundiertes Fachwissen im Bereich Sport haben, aber auch im Bereich Inklusion. Wie setze ich das um, wie gehe ich mit Menschen mit Beeinträchtigung um? Und aufgrund meiner eigenen Beeinträchtigung, ich bin Rollstuhlfahrerin, aufgrund meiner Glasknochenkrankheit, beschäftige ich mich damit schon mein ganzes Leben. Und ich habe in der Stadt Aachen das Angebot der Rollstuhlhandballer aufgebaut. Die Gruppe besteht aus Hälfte-Hälfte. 50 Prozent haben eine Beeinträchtigung und die anderen sind Handballer, die sagen, es macht mir so viel Freude, mich in den Sportrollstuhl zu setzen und in dem Moment ist der Rollstuhl das Sportgerät und alle sitzen im Rollstuhl und machen den Sport und es geht nicht um die Beeinträchtigung, weil die völlig zweitrangig wird."
Das bestätigt auch Dr. Ute Antonia Lammel, Professorin von der Katholischen Hochschule NRW in Aachen mit Forschungsschwerpunkt Gesundheitsförderung und soziale Arbeit. Ihre Abteilung arbeitet unter anderem auch mit dem Aachener Stadtsportbund eng zusammen.

Hürden durch Sportspiele überwinden

Denn in Sportspielen, so Lammel, ließen sich auf natürliche Weise Hürden und Brücken überwinden und gleichzeitig Respekt und Akzeptanz fördern, sei es im klassischen Sportverein oder auch ganz generell in der sozialen Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. "Wenn ich das richtig sehe, ist das wirklich ein Novum. Dass wir eben nicht nur Konzepte propagieren und die auch lehren, sondern es geht bei uns an der Hochschule auch um Erfahrungstraining, Erfahrungslernen."
In der soeben abgeschlossenen Pilotphase wurde die Inklusions-Ausbildung daher zuerst mit Studentinnen und Studenten erprobt, die soziale Arbeit studieren. Wie zum Beispiel Jan Faßbender. Künftig sollen aber alle im Sport engagierten und an einer Übungsleiterausbildung mit dem Schwerpunkt Inklusion Interessierte an einem solchen Lehrgang teilnehmen können.
"Ich bin schon sehr inspiriert von den praktischen Bezügen und habe auch schon einige Ideen durch die Ausbildung erlangen können. Ich werde auch in meinem Sportverein inklusive Angebote einrichten."

Gewinn für alle Sportvereine

Eine solche Ausbildung wäre daher für alle Sportvereine ein echter Gewinn, freut sich auch Björn Jansen, Erster Vorsitzender beim Aachener Stadtsportbund. Viele redeten zwar über das Thema, aber die wenigsten in Vereinen und Verbänden hätten die Praxis und das Wissen - das wolle der Stadtsportbund ändern. Auch logistische Probleme für Inklusion, wie zum Beispiel Barrierefreiheit, lässt Jansen nicht gelten:
"Es gibt natürlich die nach DIN ausgestattete Sporthalle, die ist auch nicht unbedingt barrierefrei. Darum geht’s aber in der Umsetzung nicht. Das kann auch in einer Behinderteneinrichtung sein, wo man einfach mal in einem Essensraum Volleyball spielt. Wir müssen auch dann nicht immer das Transportthema zu den Hallen aufblähen. Wir müssen uns bewegen, auch als Vereine, als Anbieter von Sport, dass wir inklusiv denken und das nicht nur an Baulichkeiten festmachen. Das ist nämlich die große Bremse, und das geht auch im Kleinen."

Wünsche der Sporttreibenden im Fokus

Schwerpunkt der Inklusionsausbildung ist daher weniger theoretisches oder medizinisches Wissen über Beeinträchtigungen, als vielmehr der Blick auf die Wünsche der Sporttreibenden und deren praktische Umsetzung. Der Stadtportbund Aachen hat gleichzeitig für Sportvereine und –verbände einen beispielhaften und an der Praxis orientierten Wegweiser für Inklusion im Sport erstellt und will jetzt auch alle Landessportverbände auf das Bildungs-Angebot aufmerksam machen.
Lars Abelshausen vom nordrhein-westfälischen Landessportbund, der an der Umsetzung mitgearbeitet hat, ist schon hellauf begeistert. "Gerade das war der Schwerpunkt, den wir hier setzen wollten, dass wir nicht spezifisch auf Menschen mit Einschränkungen eingehen, sondern dass wir gesagt haben, wir wollen die Menschen einbinden, die eine Einschränkung haben und gar nicht bewusst darauf eingehen. Natürlich haben wir auch Schwerpunktthemen reingebracht. Welche Arten der Einschränkungen gibt es? Aber wir haben gerade bei den praktischen Elementen versucht, Menschen so einzubinden ohne diesen Aspekt in der Vordergrund zu schieben."
Für eine solche bundesweite Ausbildung sprechen auch die Forschungsergebnisse, die Sina Egbalpour vorgelegt hat. Fast alle befragten Vereine und ÜbungsleiterInnen sind der Meinung, dass eine solche Qualifikation einer der wichtigsten Faktoren für gelungene Inklusion im Sport ist.