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Inlandsflug-Verzicht
"Nur billig reicht heutzutage nicht mehr aus"

Der Mobilitätsforscher Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum Berlin hält es für sinnvoll, die Flugbewegungen pro Mensch und Land zu deckeln. "Wir haben Busse, wir haben Bahnen, die könnten besser ausgelastet werden", sagte Knie im Dlf.

Andreas Knie im Gespräch mit Martin Zagatta | 10.08.2018
    Ein Flugzeug der Lufthansa landet am 20.10.2014 am Flughafen in Frankfurt am Main (Hessen). Im Vordergrund ist eine Laterne zu sehen.
    "Wir könnten also in Deutschland tatsächlich mal darüber nachdenken, müssen wir innerhalb Deutschlands tatsächlich noch fliegen." (dpa / Fredrik von Erichsen)
    Martin Zagatta: Herr Knie, wenn Sie das jetzt hören, so massive Streiks bei Ryanair, dem Vorreiter der Billigflieger, Flugausfälle, freuen Sie sich über solche Meldungen?
    Andreas Knie: Nein, man freut sich natürlich nie, wenn Leute an Flughäfen stranden oder hängen bleiben, wie wir das gerade gehört haben – das kennt man ja von sicher selber dann auch, da kann man keine Freude haben –, aber auch im Beitrag klang ja schon alles an und es ist eigentlich alles schon gesagt. Man muss einfach klar sehen, wenn das Taxi zum Flughafen und vom Flughafen weg mehr kostet als der eigentliche Flug, dass da einiges nicht wirklich in der Balance ist, und das sieht man jetzt anhand dieses Streiks auch.
    "Eine Arbeitnehmerstruktur, die wir in Deutschland nicht kennen"
    Zagatta: Aber auf der anderen Seite ist ja Ryanair so etwas wie der Vorreiter dieser ganzen Entwicklung, und es hat ja Gründe, dass andere Fluglinien dann nachgezogen sind, also selbst die Lufthansa. Bestimmt da Ryanair nicht sogar, was da im Moment abläuft?
    Knie: Nein, also klar, die Tarifmöglichkeiten oder die Verdienstmöglichkeiten bei der Lufthansa waren traditionell sehr, sehr gut. Da sind jetzt natürlich einige sogenannte Low-Cost-Fluggesellschaften dazugekommen, die andere Tarifstrukturen einführen, die aber so auf deutsches Recht nicht übertragbar sind, denn wir haben ja immer noch die Situation, dass die Mehrzahl der in Deutschland fliegenden Flugpiloten gar nicht bei Ryanair angestellt sind, sondern quasi selbstständige Unternehmer sind, die dann eben angeheuert werden, wenn sie fliegen, und dann eben auch nicht angeheuert werden, wenn gerade kein Bedarf ist. Und das ist eine Form von Arbeitnehmerstruktur, die wir in Deutschland nicht kennen, auch nicht wollen und die jetzt geändert werden muss. Das heißt, es wird jetzt ein ganz großer Kampf sein: Wird Ryanair sein globales Modell auf Deutschland übertragen können oder wird hier doch das deutsche Tarifmodell dann doch die Oberhand gewinnen.
    Zagatta: Ist das eine Tarifauseinandersetzung oder sehen Sie da auch den Staat am Zuge?
    Knie: Nein, das ist jetzt tatsächlich eine Tarifauseinandersetzung: Will man ein mehr angelsächsisches Modell einer Freelance-Struktur haben, wie wir das von anderen Plattformanbietern ja auch kennen, oder wollen wir hier tatsächlich eine Tarifstruktur, wie wir sie aus Deutschland kennen, wie wir sie auch wollen, weil die Tarifpartner da eigenständig drüber verhandeln – dann wird es eine privatwirtschaftliche Auseinandersetzung.
    Zagatta: Sehen Sie denn da eine große Kehrtwende, oder geht es da jetzt im Endeffekt um Lohnerhöhungen, vielleicht die ein oder andere Arbeitszeitverbesserung, und im Endeffekt wird sich so sonderlich viel nicht ändern.
    Knie: Doch, also das wird es sicherlich auch. Ryanair ist ja ein sehr flexibles Unternehmen, das haben sie in der Vergangenheit schon bewiesen. Die werden sicherlich auch die deutschen Vorstellungen – die sind ja auch nicht nur deutsch – oder sagen wir mal die kontinentaleuropäischen Vorstellungen auch akzeptieren. Die Piloten werden mehrheitlich angestellt, und dann werden sie auch sozial besser abgesichert. Das wird peu à peu eingeführt, und da wird sich Ryanair auch garantiert drauf einlassen – das ist die Prognose –, weil sonst wird das Geschäft, wir erleben es ja jetzt am Wochenende, weiterhin durcheinandergebracht, und davon hat dann keiner mehr was.
    "Müssen wir innerhalb Deutschlands tatsächlich noch fliegen?"
    Zagatta: Ändert das denn in irgendeiner Form an dem etwas, was Sie sich da im Verkehr vorstellen, weil wenn Ryanair ein bisschen teurer wird, dann ist das ja immer noch so, dass die Leute genauso viel fliegen oder noch mehr, man sucht trotzdem noch nach dem Billigsten – das klang ja auch bei den Stimmen eben an, die wir da vom Frankfurter Flughafen gehört haben –, selbst wenn es dann ein bisschen teurer wird. Aber dieser Boom zu fliegen, ist ja damit noch nicht gebrochen.
    Knie: Nee, das ist tatsächlich immer noch ein Problem. Solange die Flugpreise so skandalös billig sind, solange wir keine Kerosinsteuer haben, keine CO2-Belastung, noch nicht mal Mehrwertsteuer – das muss man sich mal vorstellen, jedes Produkt in Deutschland und in Europa hat eine Mehrwertsteuer, nur der Flugpreis eben nicht –, das sind alles Überlegungen gewesen, die wir aus den 50er-, 60er-Jahren hatten, als den Menschen gesagt worden ist, ja, Fliegen ist das Größte, das muss man unbedingt tun. Jetzt machen das alle, viel zu viele, viel zu oft, viel zu lange. Und da müssen wir mit den Preisen nachziehen, denn wir können uns vom klimapolitischen Standpunkt diese Mengen an Flugbewegungen nicht mehr leisten, und wir glauben, dass wir zumindest innerdeutsch, nur innerdeutsch, auch generell auf das Fliegen verzichten könnten, denn hier sind die Alternativen da. Wir haben Busse, wir haben Bahnen, die könnten besser ausgelastet werden, das heißt, wir könnten also in Deutschland tatsächlich mal darüber nachdenken, müssen wir innerhalb Deutschlands tatsächlich noch fliegen.
    Zagatta: Also die Bahnen, da hat man ja den Eindruck, das funktioniert im Moment immer noch nicht richtig, das haben Sie gerade angesprochen, aber Sie sagen, die Kapazitäten sind da. Was wollen Sie noch auf die Autobahnen verlegen, wir haben jetzt doch schon diese Billigbusse, die noch dazugekommen sind, und Staus ohne Ende.
    Knie: Ja, aber dennoch haben wir noch Kapazitäten. Wir haben Staus natürlich immer an den Peakzeiten, an den Ferienbeginn-Wochenenden und dann, wenn die Feiertage drohen, das ist klar, wir müssen den Verkehr generell etwas entzerren, das ist richtig, aber wir haben immer noch, gerade was die Bahn angeht, wirklich Kapazitäten. Wir können dort auch noch zubauen, die Bahn muss auch noch mal anständig finanziert werden. Schauen Sie sich die Finanzierungsvolumen an, die Österreich und die Schweiz haben, die sind mehrfach höher als hier in Deutschland. Wenn wir mit dieser Bahnfinanzierung tun, eine hochqualitative Bahn haben, können wir doch noch viel, viel mehr Menschen auf die Schiene bringen und müssen die nicht durch die Luft kurven.
    Ins eigene Fleisch schneiden
    Zagatta: Aber ist das nicht eine Entwicklung, die wir in der ganzen Gesellschaft erleben, dass die, die sich durchsetzen, also beispielsweise bei Lebensmitteln, die die Sachen besonders billig anbieten, der Erfolg der Discounter oder so, der Kunde entscheidet doch letztendlich und entscheidet sich meist für das Billigste.
    Knie: Das ist richtig, aber wenn man dem Kunden sagt, wenn du das billig erwirbst, dadran aber sozusagen ganz schlechte Bedingungen herrschen, dass Menschen dort keine Tariflöhne bekommen, dann wird der Kunde auch misstrauisch. Der Kunde möchte schon eine Ware kaufen, die sinnvoll ist und die er mit gutem Gewissen auch nutzen, probieren und auch abfahren kann. Und deshalb glaube ich, dass Ryanair – um noch mal darauf zurückzukommen – sich tatsächlich selbst ins eigene Fleisch schneidet, wenn die Piloten und die Flugbegleiter nicht nach ordentlichen Tariflöhnen bezahlt werden. Dann wird es auch für die Kunden immer schwieriger zu begründen, "ah, ich flieg Ryanair". Nur billig reicht heutzutage nicht mehr aus.
    Zagatta: Daran glauben Sie als Mobilitätsforscher. Haben Sie da entsprechende Hinweise, dass die Menschen da bereit sind, ihr Verkehrsverhalten, ihre Mobilität vielleicht auch einzuschränken. Gibt es das, ist das wissenschaftlich untermauert?
    Knie: Wir wollen ja keine Mobilität einschränken, sondern wir wollen sie verlagern. Natürlich haben Sie zuerst recht, das, was günstig ist, wird auch am ehesten genommen, aber Menschen sind bereit, tatsächlich darüber zu reflektieren und ihr Verhalten in eine höhere Vernunft sozusagen zu bringen. Kein Mensch möchte sich vorwerfen lassen, ein Klimaschwein zu sein, und was wir jetzt erkennen, ist, dass Menschen zumindest darüber nachdenken, ihre Flugbewegungen eher einzuschränken und auf Alternativen zurückzugreifen, wenn sie denn dann auch da sind. Darüber müssen wir uns natürlich dann auch Gedanken machen, wie wir dann die Alternativen hinbekommen. Das wäre für Europa natürlich viel, viel mehr Bahn, auch internationale Bahnverbindungen, die funktionieren, und dann können wir natürlich auch mal darüber nachdenken, ob wir dann international die Flugbewegungen nicht in der Menge deckeln: Muss jeder überall hinfliegen oder können wir uns nicht zum Beispiel vorstellen, dass wir die Menge der Flugbewegungen pro Mensch und Land auf eine bestimmte Zahl – drei bis fünf vielleicht – deckeln und dass die Menschen sich dann sehr genau überlegen müssen, wann fliege ich wann wohin.
    Nicht kompatibel ist mit den Möglichkeiten des Planeten
    Zagatta: Also wenn ich Sie recht verstanden habe, dann müsste man irgendwo eine Bürokratie einführen, die jetzt nachzählt, oder Sie bekommen dann einen Gutschein und dürfen pro Jahr dreimal fliegen, oder wie stellen Sie sich das vor?
    Knie: Genau. Die, die nicht fliegen können, das dann auf den Markt werfen, das ist wie so eine Art Optionshandel, und können sagen, nein, ich will gar nicht fliegen, das kann ich dann gegen Cash eintauschen, und die, die viel fliegen müssen oder wollen, müssen sich das erst mal besorgen, und dann wird auf jeden Fall die Flugbewegung, die wir im Moment haben, teurer. Dass wir zumindest mal gedanklich darüber nachdenken, denn das müssen wir ja nun auch erkennen, dass einfach diese gigantische Menge von immer mehr, immer weiter fliegen einfach nicht kompatibel ist mit den Möglichkeiten, die uns der Planet in den nächsten Jahrzehnten überhaupt noch verfügbar macht.
    Zagatta: Ja, wäre aber eine riesige Bürokratie. Halten Sie so was für realistisch, für umsetzbar?
    Knie: Nein, das kann man mittlerweile ganz … Dafür haben wir digitale Medien, das können Sie einfach machen, bürokratisch ist das kein Monster, das kann man schön schlank organisieren. Flugbewegungen muss man sowieso anmelden, das ist alles personalisiert, das ist also jetzt schon eine möglich, das kann man ganz schnell eintüten.
    Zagatta: Sehen Sie in der Politik Anhänger, dass Sie so etwas umsetzen können, dass irgendeine Partei das versucht – klingt für mich so ein bisschen unter Umständen wie so der Veggie Day, die Erfahrung, die die Grünen damit gemacht haben. Das wäre doch wahrscheinlich ganz schön schwierig, so was umzusetzen.
    Knie: Ja, dann kommt auch noch die Fünf-Mark-Sprit-Debatte…
    Zagatta: Fürs Benzin, ja.
    Knie: … die aus dem Magdeburger Parteitag kommt. In der Tat, im Moment gibt es da nicht wirklich viel Unterstützer, weil Politik im Moment eher populistischen Formen folgt. Also das, was dem Kunden möglichst wenig aufzwingt und ihn möglichst glücklich machen sollte, das wird gerade gemacht. Aber wir haben in der Politik auch noch andere Aufgaben, und ich sehe schon sehr wohl auch in allen Parteien Menschen, die sagen, wir müssen, gerade was die Bewegungen der Menschen angeht, neue Dinge suchen. Wir brauchen Alternativen zu Verbrennungsmotoren, wir brauchen Alternativen zu privaten Autos, und wir brauchen auch Alternativen zu immer größeren, immer weiteren Flugreisen. Und da müssen wir auch tatsächlich Regeln einführen, denn dass wir das alles können, hat ja mit Regeln zu tun, denn wir haben ja entschieden politisch, keine Mehrwertsteuer den Flugpreisen aufzulasten, wir haben ja entschieden, keine CO2-Steuer einzuführen – das sind ja alles politische Entscheidungen. Jetzt müssen wir diese politischen Entscheidungen nur anders treffen. Dafür gibt es im Moment noch keine Mehrheit, aber die kann man ja schaffen.
    Zagatta: Der Mobilitätsforscher Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum in Berlin. Wir sind froh, dass wir Sie im Urlaub erreicht haben. Wie sind Sie da eigentlich hingereist oder wie reisen Sie da?
    Knie: Da reise ich ganz, ganz, ganz kompliziert – mit Bussen, Autos und auch noch ein Stück fliegen, das mach ich auch noch.
    Zagatta: Okay, immerhin. Ich bedanke mich! Das war Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum Berlin. Einen schönen Tag!
    Knie: Gerne, tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.