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Innenleben
Bizarres Liebesleben hochneurotischer Paare

"Knoi" - das ist der knappe und rätselhafte Titel des neuen Romans von David Schalko, in dem die bizarren Sehnsüchte und Vorstellungen zweier moderner Paare erkundet werden. Der Wiener Schriftsteller stellt in dem Buch das verkorkste Innenleben seiner Figuren auf extreme Weise aus und wirft zugleich die Frage danach auf, wie heil Menschen überhaupt sein können.

Von Holger Heimann | 31.03.2014
    Die tiefstehende Sonne wirft die Schatten eines Paares, das sich an den Händen hält, auf einer Wiese.
    Der Roman setzt sich mit dem Innenleben moderner, neurotischer Paare auseinander. (picture-alliance/ dpa-Zentralbild )
    In Österreich hat der Autor David Schalko ein Millionenpublikum, wird gefeiert und prämiert. Grund hierfür sind seine Filme. Der Zweiteiler "Aufschneider" zum Beispiel oder die Serie „Braunschlag“ um eine fingierte Marienerscheinung in einem heruntergekommenen niederösterreichischen Dorf. Als Schriftsteller hingegen ist der Wiener, der Gedichte, Kurzgeschichten und mittlerweile drei Romane vorgelegt hat, erst noch zu entdecken. Schalko wechselt in einem festen Jahresrhythmus zwischen Film und Literatur - die Grenzen versucht er, klar zu ziehen.
    "Ich finde, das Drehbuchschreiben und das Romanschreiben sind wirklich zwei völlig unterschiedliche Paar Schuhe. Es ist nicht so, wie wenn man sagt, man malt jetzt abstrakt und dann konkret, sondern es fühlt sich an wie der Unterschied zwischen Bildhauerei und Malerei. Für mich sind es wirklich zwei Dinge, die sich vielleicht durch Erfahrung befruchten, aber ich glaube nicht, dass der Film das Prosawerk groß beeinflusst und umgekehrt auch nicht. Beim literarischen Schreiben geht es sehr darum, die Dinge greifbar zu machen auf eine Art und Weise, in Gefilde vorzudringen. Und beim Film geht es mehr um die Abbildung dessen. Beim Filmschreiben hat man keine neuen Erkenntnisse. Bei der Prosa ist das anders. Weil der Schreibprozess auch ein Denkprozess gleichzeitig ist."
    Bizarres Liebes- und Beziehungsleben zweier hochneurotischer Paare
    "Knoi" heißt der neue Roman. Und zum Nachdenken gibt der Autor darin auch dem Leser einiges auf. So rätselhaft wie der Titel erscheint manches in dem Buch, das vom äußerst bizarren Liebes- und Beziehungsleben zweier hochneurotischer moderner Paare erzählt und dabei die schlichte Ebene der Wirklichkeitserfahrung immer wieder verlässt und in traumhafte surrealistische Bilder und Szenen hinübergleitet.
    "Ich halte auch nichts von diesem Realitätsanspruch von Romanen, wo das dann gewichtet wird, ist das jetzt eine realistische Handlung oder nicht. Darum geht es in einem Roman nicht. Ich glaube, 80 Prozent der Menschen, die Schreiben, versuchen in erster Linie Bestseller zu schreiben, deswegen gibt es auch so viel mittelmäßige Literatur. Natürlich gibt’s Geschichten, wo man sich denkt, das würde jetzt wahnsinnig gut funktionieren, weil es den Erwartungen und den Sehnsüchten von Lesern entspricht. Aber das ist nicht der Grund, warum ich Literatur mache. Da funktioniert Fernsehen oder Film schon so nach kommerziellen Gesetzpunkten, da muss ich in der Literatur nicht auch noch den gleichen Gesetzmäßigkeiten gehorchen."
    Verstörte und gestörte Menschen
    An Selbstbewusstsein mangelt es diesem Schriftsteller nicht. Seinen Figuren hingegen sehr. Es sind verstörte und gestörte Menschen, die abgeschnitten bleiben voneinander und bei allem nur allzu oft befremdlichen Bemühen nie wirklich zueinander finden können. Jakob und Rita waren einmal ein Paar, doch haben sie sich mittlerweile mit neuen Partnern zusammengetan. Da ist die gescheiterte Schauspielerin Jennifer, der Jakob sich seit einem gemeinsamen Motorradunfall schuldhaft verbunden fühlt. Weil die mit der ganzen Welt hadernde Jennifer nicht mehr gehen kann, bewegt Jakob sich fortan selbst im Rollstuhl durch die Stadt, um einen Reiseführer für Behinderte zu schreiben. Lutz, der mit Rita liiert ist, arbeitet als Zahnarzt. So hat er immer ausreichend Narkotika zur Hand, und das ist praktisch. Denn der gehemmte Dentist fühlt sich nur dann als potenter Mann, wenn die Frauen betäubt sind. Bald schon bandelt er deshalb mit der gelähmten Jennifer an, die aufgrund ihrer erzwungenen Unbeweglichkeit das perfekte Sexualobjekt für ihn ist.
    Versehrtheit des skurrilen Quartetts
    Das mutet wie eine Versuchsanordnung aus dem Literaturlabor. Und wäre wohl recht mühsam zu lesen, wenn David Schalko die Story nicht mit Tempo und Sprachwitz vorantreiben würde. Er will wissen, was passiert, wenn Beziehungen an einem Ende angelangt, die Unzulänglichkeiten der Liebe deshalb nur zu offensichtlich und die unerfüllten Sehnsüchte überbordend sind. Auf die Bühne seines bitterbösen Kammerspiels stellt er dabei Figuren, deren verkorkstes Innenleben gänzlich zum Außenleben wird - das Gedachte findet seinen Ausdruck im Erlebten. Erst dadurch scheint die Versehrtheit des skurrilen Quartetts derart extrem auf.
    "Man kann in einen Menschen nie reinschauen, außer in einem Roman. Man weiß nie, wie beschädigt jemand wirklich ist. Nur weil jemand sich sehr normal verhält und sehr unauffällig, sagt das nichts über das Innenleben eines Menschen aus, auch über die Kaputtheit von jemandem. Und natürlich, wenn man alle Ecken in einem selber auslotet, findet man auch viel Kaputtheit, das ist doch bei jedem so, wenn man ehrlich zu sich selber ist. Wenn man die dunkelsten Winkel ausleuchtet von sich selber, ist alles vorhanden. Die Frage ist nur, was nach außen dringt oder was dann gelebt wird. Der Massenmörder sitzt genauso in einem wie alles andere. Man ist sehr schnell von einem Eck im anderen, das sind alles nur Millimeter."
    Weil die Dinge schließlich außer Kontrolle geraten, wird aus dem Beziehungsroman in letzter Konsequenz ein Kriminalstück. Und das ist ganz folgerichtig. Denn wo Liebe wie in diesem Roman als Nahkampfdisziplin vorgeführt wird, hinterlässt sie nicht nur Wunden, sondern manchmal sogar Tote.
    David Schalko: Knoi. Jung und Jung Verlag, 272 Seiten, 22 Euro