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Innenpolitische Konsequenzen der Terroranschläge

Lange: Die verheerenden Anschläge in den USA haben auch das politische Leben in der Bundesrepublik verändert. Das was vor einer Woche noch ganz oben stand auf der politischen Agenda, das war einen Tag später nur noch eine Fußnote. Jetzt steht Deutschland als Bündnispartner der NATO in der Pflicht, von der noch niemand genau weiß, wie sie aussehen wird, und innenpolitisch stehen wir offenbar vor dem Beginn einer neuen Debatte über die innere Sicherheit. Was kommt also auf die Bundesrepublik außen- und innenpolitisch zu? - Diese Fragen wollen wir jetzt mit Peter Struck erörtern, dem Fraktionsvorsitzenden der SPD im Bundestag. Guten Morgen Herr Struck!

    Struck: Guten Morgen Herr Lange.

    Lange: Herr Struck, mindestens drei der Attentäter - so viel scheint ja festzustehen - haben jahrelang unauffällig und unbehelligt in der Bundesrepublik gelebt. Jetzt rufen alle Parteien nach Konsequenzen. Hat diese Regierung, hat die Vorgängerregierung die Gefahr, die von solchen arabischen Terrorgruppen ausgeht, zu sehr auf die leichte Schulter genommen?

    Struck: Nein, das glaube ich nicht. Allerdings müssen wir schon überdenken, wie unsere Dienste ausgestattet sind, ob sie in der Lage sind, mit den klassischen Mitteln der Nachrichtendienste in solche Gruppen einzudringen, sie zu beobachten und sie im Griff zu halten. Es ist ja auch richtig, dass zum Beispiel beim Bundesamt für Verfassungsschutz länger auf die Gefahr durch fundamentale islamische Gruppen hingewiesen wurde, aber es ist völlig richtig, dass wir insbesondere die Zusammenarbeit der Dienste überprüfen müssen, jedoch nicht nur in unserem Land selbst, sondern auch auf der europäischen Ebene.

    Lange: Nun gibt es ja gleich serienweise Vorschläge, wie die innere Sicherheit verbessert werden könnte. Gehen wir sie mal durch. Otto Schily will Polizei, Grenzschutz und Bundeswehr näher zusammenbringen. Ein sinnvoller Vorschlag?

    Struck: Ja, absolut. Ich denke, dass gerade die Zusammenarbeit zwischen Bundesgrenzschutz und Polizei noch intensiver erfolgen kann. Das betrifft dann auch die Ausstattung des Bundesgrenzschutzes. Polizei, abgesehen von der Bundespolizei, ist Ländersache. Hier ist Otto Schily in ständigem Kontakt mit seinen Innenministerkollegen aus den Ländern.

    Lange: Aber innenpolitische Aufgaben für die Bundeswehr, ist das nicht verfassungsrechtlich höchst bedenklich?

    Struck: Ich werde das auch sehr genau prüfen lassen bei mir in der Fraktion. Die Bundeswehr ist zunächst einmal primär für die Verteidigung unsere Landes nach außen hin da. Die Bundeswehr kann, einmal abgesehen von den außenpolitischen Verpflichtungen, die auf uns zukommen, sicherlich an der einen oder anderen Stelle auch Hilfe leisten, aber generell die Bundeswehr zur inneren Sicherheit einzusetzen, da mache ich Fragezeichen. Das bedarf im übrigen auch der Änderung des Grundgesetzes.

    Lange: Helmut Wieczorek, der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, ebenfalls aus Ihrer Partei, plädiert für eine Art Nationalgarde. Eine gute Idee?

    Struck: Ich denke, man sollte mit solchen Schnellüberlegungen jetzt etwas vorsichtig sein. Wir stehen alle noch unter dem Eindruck dieser entsetzlichen Ereignisse in New York und Washington. Trotzdem darf man jetzt auch nicht in eine hektische gesetzgeberische Aktivität verfallen, sondern muss alles sehr genau prüfen.

    Lange: Ist denn das, was jetzt die Geheimdienste und die Sicherheitsbehörden betrifft, am Ende eine Frage besserer Ausstattung oder Finanzierung, wie es zum Beispiel von der Opposition vertreten wird, oder ist dies eher eine Frage, wie und wogegen man vorhandene Mitarbeiter und Ressourcen einsetzt?

    Struck: Eher letzteres. Ich glaube nicht, dass es einfach damit getan ist, mehr Geld für das Bundesamt für Verfassungsschutz oder dem Bundesnachrichtendienst zur Verfügung zu stellen. Es kommt darauf an, dass sich die Qualität dieser Behörden verbessert. Wichtig ist, dass wir Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in diesen Diensten haben, die arabisch können, die sich in die Mentalität dieser Menschen hineinversetzen können. Hier gibt es sicherlich noch die Notwendigkeit von Qualitätsverbesserungen. Allein Geld zusätzlich bereitzustellen, ohne zu wissen wofür, halte ich für unsinnig.

    Lange: Man hat ja in diesen Tagen manchmal so ein bisschen das Gefühl, dass wieder eine Art Hauch des Klimas von 1977 durchs Land weht. Die Rasterfahndung wird wieder ins Gespräch gebracht. Ihr Kollege Merz von der Union schlägt eine nationale Allianz der Entschlossenheit vor. Sein Stellvertreter Bosbach sieht die große Koalition kommen. Kommt angesichts der Debatte, bei aller Gefährdung und bei der ganzen Entsetzlichkeit dieser Dinge, die dort passiert sind, nicht auch mal der Punkt, wo man gegensteuern muss und sagen muss, nun lasst mal die Kirche im Dorf?

    Struck: Ja. Ich halte diese Hinweise auf eine große Koalition für absolut lächerlich. Die jetzige Regierung hat die Situation absolut im Griff, was die innere Sicherheit unseres Landes angeht. Die Menschen haben großes Vertrauen in Gerhard Schröder, aber auch in den Bundesinnenminister. Hier versucht die Opposition, aus dieser schwierigen Lage innenpolitisch Kapital zu bekommen. Die Regierung hat jetzt die Aufgabe - und sie tut das ja auch -, Gesetzesänderungsvorschläge zu machen, zum Beispiel die Abschaffung des Religionsprivilegs im Vereinsrecht, was ich absolut für richtig halte. Aber wir sind nicht in der Situation, dass wir uns in einem Krieg befinden, der nun ein organisatorisches oder politisches engeres Zusammenwirken der Parteien im deutschen Bundestag erfordert. Die Bundesregierung hat die Oppositionsparteien genauso wie uns als Regierungspartei intensiv informiert, in den Entscheidungsprozeß einbezogen. Über die Informationen allerdings hat die Regierung eine eigene Verantwortung in dieser Stunde, genauso wie die Koalition. Wir nehmen diese Verantwortung wahr. Koalitionsdebatten sind unsinnig!

    Lange: Herr Struck, was wird denn jetzt aus dem Zuwanderungsgesetz? Selbst Marieluise Beck, die Ausländerbeauftragte, meint, dass man das unter diesen Umständen wohl besser verschieben sollte?

    Struck: Ich bin eher dafür, dass man das Zuwanderungsgesetz jetzt daraufhin noch einmal überprüft, ob Änderungen gegenüber dem Entwurf von Otto Schily erforderlich sind, um noch mehr innere Sicherheit zu gewährleisten. Generell gilt, dass das Ausländerrecht, wie uns alle Experten gesagt haben, wie auch die Expertenkommission von Frau Süssmuth festgestellt hat, geändert werden soll, novelliert werden soll. Wir halten an diesem Ziel fest. Das wichtige ist in diesem Zusammenhang, dass die Opposition von ihrer jetzigen Ablehnung dieses Referentenentwurfes abgeht, dass die Opposition sich bereit erklärt, inhaltlich mitzuarbeiten. Wer wie die Opposition jetzt eine nationale Koalition fordert, sollte diese nationale Koalition im Bereich des Zuwanderungsrechtes eingehen. Mir wäre es sehr lieb, wenn wir ein neues Zuwanderungs- und Ausländerrecht bekämen, auch mit den Stimmen der CDU/CSU im Bundestag und mit den Stimmen von CDU-regierten Ländern im Bundesrat.

    Lange: Welche Folgen wird das alles, was wir jetzt mitbekommen haben, für die Etatberatungen haben? Hans Eichel hat am Freitag ein bisschen trotzig erklärt, wir lassen uns den Haushalt nicht von Terroristen wegbomben. Kann unter den gegenwärtigen Umständen der Etat für 2002 trotzdem so bleiben, wie er eingebracht worden ist?

    Struck: Das wird sich im Laufe der Beratungen im Haushaltsausschuss des deutschen Bundestages herausstellen. Natürlich steht gerade der Bereich der inneren Sicherheit, über den wir diskutiert haben, auf dem Prüfstand. Generell gilt aber, dass die Leitlinien des Haushaltes eingehalten werden sollen. Wir sind in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage. Wir sind zwar aus der Delle heraus, aber einmal unabhängig davon, wie sich jetzt auch in Amerika die wirtschaftliche Entwicklung zeigt, sehe ich jedenfalls im Augenblick keinen Grund, hier über höhere Neuverschuldung oder Steuererhöhungen nachzudenken.

    Lange: Kommen wir noch kurz auf die eventuelle Beteiligung Deutschlands ein einem Vergeltungsschlag zu sprechen. Der Bundeskanzler schließt keine Option aus; Bundespräsident Johannes Rau hält sich dort sehr bedeckt, plädiert eigentlich eher dagegen. Wie ist Ihre Position?

    Struck: Ich stehe auf der Seite des Bundeskanzlers, wobei ich nicht sehe, dass es einen Gegensatz zwischen ihm und Johannes Rau gibt. Wer wie wir in den letzten Tagen, der letzten Woche Solidarität bekundet hat, wer wie wir besonders dem amerikanischen Volk verpflichtet ist, was die Einrichtung von Demokratie und Freiheit in unserem Land angeht, der muss Solidarität auch praktisch beweisen, wenn sie eingefordert wird. Die Vereinigten Staaten von Amerika haben uns gebeten, Solidarität zu zeigen auch durch Handeln. Deshalb bin ich dafür, dass wir uns beteiligen. Das ist dann eine nationale Entscheidung, selbstverständlich nach den Regeln der NATO, aber wir dürfen uns auch nicht mit den Händen in den Hosentaschen zurücklehnen und sehen, was die Amerikaner machen.

    Lange: Wie sicher und wie zuversichtlich sind Sie, dass die US-Regierung unter diesem immensen innenpolitischen Druck, unter dem sie jetzt steht, tatsächlich das richtige Maß finden wird?

    Struck: Ich habe Vertrauen in die amerikanische Administration und US-Präsident George W. Bush. Ich finde, dass er sehr besonnen reagiert. Dass die amerikanische Administration vor allen Dingen den vermutlichen Drahtzieher Bin Laden versucht zu bekommen und vor Gericht zu stellen, ist absolut richtig. Die amerikanische Regierung wird auch mit Sicherheit nicht überreagieren. Das hat sich jetzt in den vergangenen Tagen herausgestellt. Von daher werden auch die Konsultationen, die Amerika mit den Verbündeten hier in Europa durchführt, dazu führen, dass es eine angemessene Gegenreaktion gibt.

    Lange: Im Gegensatz zu US-Vizepräsident Cheney hält ja der deutsche Generalbundesanwalt Kai Nehm die Verbindung von Osama Bin Laden noch längst nicht für erwiesen. Wird diese Regierung im Zweifel auch den Schneid haben und den Amerikanern bei aller Solidarität sagen, wir halten diese Indizien nicht für ausreichend?

    Struck: Ich glaube, dass dort die Informationen der amerikanischen Dienste besser sind als die Informationen, die der Generalbundesanwalt hat. Der Generalbundesanwalt stützt sich nur auf die Informationen, die es hier in Deutschland gibt über auch hier in Deutschland lebende Terroristen. Die Indizien, jedenfalls so weit es mir bekannt ist, deuten schon stark auf Bin Laden hin. Deshalb werden die Amerikaner, nachdem sie die Informationen gebündelt haben, uns auch entsprechend informieren und dann wird man Konsequenzen ziehen müssen.

    Lange: Die Sowjets haben in den 80er Jahren erfahren, dass ein Krieg in Afghanistan nicht zu gewinnen ist. Von daher ist eigentlich nicht anzunehmen, dass die Amerikaner die Fehler der Sowjetunion wiederholen. Haben Sie eine Vorstellung, wie dieser Krieg der Amerikaner gegen den Terrorismus geführt werden wird?

    Struck: Nein, ich habe darüber keine Vorstellung. Es ist auch gut, dass die Planungen der Amerikaner nicht weltweit auf dem Markt sind. Ich kann mir nur vorstellen, dass die amerikanischen Militärs, aber auch die Dienste schon sehr genaue Sichtweisen haben, wie sie die Fehler, die Russland damals in Afghanistan gemacht hat, vermeiden können.

    Lange: In den "Informationen am Morgen" war das Peter Struck, der Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag. - Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Link: Interview als RealAudio