Dienstag, 16. April 2024

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Insektenschutz
Anton Hofreiter: "Die Pestizide insgesamt müssen sinken"

Der Grünen-Politiker Anton Hofreiter hält das Insektenschutzprogramm des Umweltministeriums für unzureichend. "Die großen Probleme werden nicht angepackt", sagte er im Dlf. Der geplante Ausstieg aus Glyphosat komme zu spät, außerdem fehle eine Gesamtstrategie gegen den Einsatz von Pestiziden.

Anton Hofreiter im Gespräch mit Christiane Kaess | 04.09.2019
Anton Hofreiter sitzt in einem braunen Sofa. Seine Hände liegen halbgefaltet im Schoß.
Anton Hofreiter, Vorsitzender der Grünen-Bundestagsfraktion (imago stock&people/Xander Heinl)
Christiane Kaess: Lange wurde über die Details dieses Pakets im Umwelt- und Landwirtschaftsministerium gerungen. Heute soll es im Kabinett beschlossen werden mit dem Ziel für mehr Tier- und Umweltschutz in der Landwirtschaft. Am Telefon ist jetzt Anton Hofreiter, Vorsitzender der Fraktion der Grünen im Bundestag. Guten Morgen!
Anton Hofreiter: Guten Morgen.
Kaess: Wird jetzt alles gut für Tiere in der deutschen Landwirtschaft und vor allem für die Insekten?
Hofreiter: Ich fürchte, nein, auch wenn einzelne Maßnahmen durchaus kleine Fortschritte sind, wie zum Beispiel der perspektivische Ausstieg aus Glyphosat, was allerdings noch viel Zeit hin ist. Nämlich beim Tierwohl-Label ist das Problem, dass es nur freiwillig ist und nicht verpflichtend. Außerdem sind die Maßnahmen relativ klein. Und beim Insektenschutz haben wir das Problem: Da gibt es so viele Ursachen und die Lage ist so dramatisch, dass man da eigentlich mehr tun müsste, als jetzt beschlossen wurde, sogar deutlich mehr.
Nehmen wir nur das Beispiel, was auf den ersten Blick sehr, sehr gut klingt, dass der Einsatz von Pestiziden in Schutzgebieten verboten werden soll, allerdings mit der Ausnahme: Diejenigen, die zur Bewirtschaftung erforderlich sind, sind weiter zugelassen. Jetzt wird natürlich jeder Landwirt sagen, ich mache hier eh nicht mehr als zur Bewirtschaftung erforderlich ist, und dann besteht die Gefahr, dass das, was auf den ersten Blick so gut klingt, in der Praxis am Ende gar nichts ändert.
Pestizidverbot in Schutzgebieten leicht zu umgehen
Kaess: Herr Hofreiter, vom Deutschen Bauernverband klingt das aber ganz anders, als Sie das gerade dargestellt haben. Dort heißt es schon jetzt, das Paket sei für die Landwirte toxisch und man würde mit immer neuen Auflagen belastet.
Hofreiter: Ja, das habe ich auch gelesen. Aber Herr Rukwied ist da nicht der entscheidende Maßstab, sondern der Maßstab ist am Ende das Gesetz. Und wie gesagt, da steht leider wortwörtlich drin: Es ist verboten, außer das, was zur Bewirtschaftung erforderlich ist, und das in den Schutzgebieten, in den Gebieten, die speziell geschützt sind. Deswegen bräuchten wir eigentlich, um das Problem in den Griff zu kriegen, flächenhaft eine massive Reduzierung und nicht nur eine Maßnahme in den Schutzgebieten, die dann am Ende ganz locker umgangen werden kann.
Kaess: Aber der Maßstab sind doch durchaus wohl auch die Landwirte, die jetzt zum Beispiel sagen, sie würden in ihrer Wettbewerbsfähigkeit deutlich geschwächt werden.
Hofreiter: Das sagen nicht die Landwirte, sondern das sagt der Präsident des Bauernverbandes.
Kaess: ..., der ja sehr viele von ihnen vertritt.
Hofreiter: Ganz viele Landwirte, mit denen ich gesprochen habe, die sagen, eigentlich würden sie sich ganz was anderes wünschen. Eigentlich würden sie sich wünschen, dass insgesamt die Agrarpolitik so gestaltet wird, dass sie von ihren Produkten leben können. Die sehen sich in vielen Fällen nicht einmal in Ansätzen vertreten durch den Bauernverband. Viele sind einfach nur Mitglied, weil sie keine andere Alternative sehen und weil sie sich wünschen, dass die Landwirtschaft insgesamt eine andere Stellung in der Gesellschaft hat. Meiner Beobachtung nach spricht da der Bauernverband für sehr, sehr viele Landwirte nicht mehr und für die Biobauern sowieso nicht, die bereits jetzt keine Pestizide mehr einsetzen.
"Die großen Probleme werden nicht angepackt"
Kaess: Aber dass viele Landwirte unter immer mehr Auflagen leiden, das gehört doch auch zur Wahrheit.
Hofreiter: Das gehört zur Wahrheit dazu. Da sind auch ganz viele bürokratische Regeln dabei, die wenig Sinn ergeben, weil es leider häufig so ist - das sieht man beispielhaft in der Düngeverordnung: Die großen Probleme werden nicht angepackt. Dafür produziert man relativ viel Papier. Das ist für alle anstrengend und am Ende ändert sich relativ wenig, was ja auch die Auseinandersetzungen mit der EU zeigen, weil man sich nicht traut, an das große Problem heranzugehen wie zum Beispiel die extrem hohen Tierzahlen, die wir in einigen Regionen haben und die deshalb für die Überdüngung sorgen, was für die Artenvielfalt ein Problem ist und fürs Grundwasser - Stichwort Nitrateintrag.
Deshalb kann ich die Klagen der Landwirte über zu viel Bürokratie sehr gut verstehen. Aber das heißt nicht, dass die Maßnahmen insgesamt am Ende erfolgreich sind, was man an der immer noch sinkenden Artenvielfalt sieht.
Kaess: Wenn wir jetzt noch mal beim Insektenschutz-Programm der Regierung bleiben und gleichzeitig die Landwirte im Blick behalten wollen. Ist es dann das richtige Vorgehen, dass Umweltministerin Svenja Schulze jetzt in Bezug zum Ausstieg aus dem Unkrautvernichter Glyphosat vorschlägt: Ende 2023 soll dann Schluss sein und davor gibt es schon Einschränkungen zum Beispiel für öffentliche Parks. Das müssten Sie eigentlich für gut heißen, oder?
Hofreiter: Ja, natürlich heißen wir es für gut, dass irgendwann Glyphosat ausläuft. Wir würden es gerne nur noch schneller haben. Auf der anderen Seite muss man natürlich auch sagen, dass wir insgesamt eine Strategie brauchen für die Pestizide, weil es hilft ja nichts, wenn ein Wirkstoff verboten wird und dann durch einen anderen ersetzt wird, der unter Umständen genauso problematisch ist.
Pestizide nicht das einzige Problem
Kaess: Wenn der Ausstieg aus Glyphosat eines Tages vollzogen ist, ist damit auch das Insektensterben in Deutschland beendet?
Hofreiter: Nein, weil das Insektensterben eine ganze Reihe von Ursachen hat. Erstens: Es gibt eine ganze Reihe von Pestiziden. Es gibt Unmengen verschiedene Wirkstoffe, die am Markt sind. Zweitens kommt die Überdüngung noch dazu. Das führt dazu, dass die Wiesen immer blumenärmer werden und damit die Artenvielfalt zurückgeht. Drittens die Abnahme von sogenannten Sonderstrukturen und speziellen Lebensräumen wie zum Beispiel Moore oder feuchte Wiesen oder Hecken oder Feldbäume. Es gibt eine ganze Reihe von Ursachen fürs Insektensterben und man braucht da eine breit gefächerte Gesamtstrategie. Und wichtig ist: Die Pestizide insgesamt müssen sinken.
Kaess: Aber, Herr Hofreiter, nicht mal zu rot-grünen Regierungszeiten hat es ein umfassendes Insektenschutz-Programm gegeben. Da müssen Sie doch zumindest der jetzigen Regierung zugestehen, dass sie da einen ganz, ganz großen Schritt nach vorne geht.
Hofreiter: Ein ganz, ganz großer Schritt nach vorne - das zeigt sich dann am Ende an der Realität, ob das Programm wirklich wirkt. Ein ganz großer Schritt wäre es, wenn das Insektensterben und insgesamt der Rückgang der Artenvielfalt eingedämmt wäre, und da habe ich angesichts der Maßnahmen große Zweifel, weil wie gesagt bei den Pestiziden es nur einzelne Produktklassen sind und außerdem noch gigantische Ausnahmen vorhanden sind.
Tierwohl-Label nicht verpflichtend
Kaess: Der Punkt ist angekommen. - Schauen wir noch auf das Tierwohl-Label. Jetzt können Verbraucher erkennen, wie Schweine gehalten werden, deren Fleisch sie kaufen. Ist das eine gute Lösung?
Hofreiter: Es ist ein Fortschritt, dass es ein Tierwohl-Label gibt. Das große Problem ist, es ist freiwillig und nicht verpflichtend.
Kaess: Verpflichtend ginge nicht, sagt Frau Klöckner, weil das würde gegen EU-Regeln verstoßen.
Hofreiter: Verpflichtend ging durchaus. Das zeigt sich bei den Schaleneiern. Das hat Renate Künast damals eingeführt. Das ist ein verpflichtendes Label bei den Eiern, bei den Schaleneiern. Bei den verarbeiteten Eiern ist es damals nicht mehr gelungen, weil Rot-Grün vorzeitig zu Ende ging. Also es geht durchaus, wenn man sich entsprechend anstrengt. Wenn man natürlich nicht in die Auseinandersetzung innerhalb der EU geht, dann geht es nicht.
Aber wie gesagt, es gibt Beispiele, dass es gelungen ist. Das ist jetzt über 14 Jahre her. Seitdem ist kein einziges verpflichtendes Label mehr eingeführt worden, weil sich Deutschland kein einziges Mal mehr dafür eingesetzt hat.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.