Sandra Schulz: Für die allermeisten wohl eines der nervigsten Geräusche überhaupt, das Surren einer Mücke, besonders gern zum Beispiel kurz vorm Einschlafen, was Selbiges dann natürlich erst mal zuverlässig verhindert. Mücken, für viele Menschen also eher der nervigere Vertreter der biologischen Klasse der Insekten. Und auch wenn Insekten vielleicht kein strahlendes Image haben, haben die Zahlen aus dem vergangenen Herbst doch auch viele erschreckt. Forscher hatten an Dutzenden Punkten in Naturschutzgebieten Proben gesammelt über Jahrzehnte, seit Ende der 80er-Jahre, und im vergangenen Jahr gemeldet, dass die Masse der Insekten in dieser Zeit um durchschnittlich 76 Prozent zurückgegangen war, wohlgemerkt in Naturschutzgebieten. Unter anderem auf diese Probleme aufmerksam machen und auch ein bisschen das Image der Insekten aufpolieren will der Naturschutzbund Deutschland, der NABU. Er ruft ab heute zu einer Insektenzählaktion auf, und das nehmen wir auch hier bei uns im Deutschlandfunk zum Anlass, uns genauer über die sechsbeinigen Krabbeltiere zu beugen. Am Telefon ist der Vorsitzende des NABU in Nordrhein-Westfalen, der ausgesprochene Insektenfreund Josef Tumbrinck. Schönen guten Morgen!
Josef Tumbrinck: Guten Morgen!
Schulz: Wie geht es den Insekten in Deutschland?
Tumbrinck: Schlecht. Sie sind einfach, wie Sie schon sagten, in großen Mengen verlorengegangen. Die Masse, die es mal gab, die ist nicht mehr da.
Schulz: Und was ist daran schlimm?
Tumbrinck: Schlimm ist, die spielen natürlich eine Riesenrolle im gesamten Ökosystem. Das ist die Basis für Vögel, ist aber auch die Basis für viele andere Tiere, als Ernährung. Aber auch in der Bestäubung – Obstbäume ohne Insekten, das geht einfach nicht. Dann haben wir keine Äpfel, Pflaumen, Kirschen mehr.
"Mal die eine oder andere Mücke"
Schulz: Jetzt sehen Menschen oder viele Menschen zumindest Insekten ja vor allem als Quälgeister. Das können Sie gar nicht nachvollziehen?
Tumbrinck: Nein, das kann ich auch nachvollziehen. Ich möchte auch keine Mücke im Schlafzimmer haben. Da muss sie raus, oder vielleicht lässt sie dann auch ihr Leben dabei. Aber da kann man sich ja schützen. Da kommt dann Gaze vors Fenster, wenn es wirklich mal mehr sind, oder man muss einfach aufpassen, dass man nicht zu viele Töpfe mit Wasser stehen lässt, die Regentonnen abgedeckt sind et cetera, weil da sind natürlich dann auch die Mücken. Es ist ja nicht so, dass alle Insekten weg sind, und auch die Quälgeister sind uns natürlich schon noch erhalten geblieben. Es ist nur die Masse, die einfach weniger geworden ist. Auch mit den Mücken, kann ich mich erinnern, da gab es schlimmere Situationen, als ich sie im Moment erlebe. Im Moment ist das gar nicht so tragisch bei uns, mal die eine oder andere Mücke. Aber mehr auch nicht.
Schulz: Ich würde das gern noch versuchen, genauer zu verstehen. Also das ist eine große Zahl, die im letzten Jahr ja von den Forschern, bei denen Sie, glaube ich, auch mitgetan haben, vorgelegt wurde, diese 75 Prozent weniger. Aber ist das dann jetzt absolut gesehen auch schon zu wenig?
Tumbrinck: Das ist schon zu wenig, weil wir schon merken, massiv sogar, dass bei den Vögeln auch viele Arten zurückgehen, insbesondere die Langstreckenzieher, die nach Afrika fliegen, die fressen eigentlich nur Insekten, in Afrika und bei uns. Bei uns finden sie einfach nicht mehr genug. Das sind Mauersegler, Schwalben zum Beispiel, und die haben nicht mehr genug Nachwuchs. Und alle anderen Vögel füttern fast alle ihre Jungtiere mit Insekten. Und auch da merken wir große Einbrüche bei ganz vielen Vogelarten. Da merkt man, die Dinge hängen zusammen, und irgendwann brechen einfach die Ökosysteme zusammen, weil es ist ein Nahrungsnetz. Klar, der eine frisst den anderen. Und das macht das Ganze so dramatisch. Nicht die einzelne Art, die vielleicht ausstirbt, das ist schlimm genug. Aber die Masse, die wegbricht, führt dazu, dass auch in der ganzen Nahrungskette die höheren Tiere auch wegbrechen.
Genaue Analyse in den nächsten Jahren
Schulz: Ist denn überhaupt schon klar, was die Ursache ist für diesen Rückgang?
Tumbrinck: Wir grenzen das ein auf Landwirtschaft. Das kommt aus der Landwirtschaft. Was es genau ist, ob es eben die jetzt verbotenen Neonicotinoide, also Insektenvernichtungsmittel sind, ob es die Intensivierung der Landwirtschaft ist – es ist ja alles monoton, wenn man nach draußen geht, da ist ja nichts mehr. Und die Naturschutzgebiete, die sind ja nicht groß bei uns. Die sind verinselt, und die Landwirtschaft wirkt von außen über Abdrift zum Beispiel von Spritzmitteln ein. Da liegt die Ursache. Aber was sie ganz genau ist, ob es wirklich ein Mittel ist oder eine Klasse von Insektenvernichtungsmitteln ist – das wäre schön eigentlich, weil dann sind sie verboten, und dann müsste es besser werden. Das wird man dann jetzt sehen, weil die Fallen werden weiter von unserem Verein aufgestellt, und das Monitoring, so heißt das, läuft weiter, und man wird in den nächsten Jahren sehr genau analysieren können, was in der Landwirtschaft vor sich geht.
Schulz: Und wir haben jetzt auch schon die Diskussion um den Umweltschutz, wir diskutieren in diesen Zeiten der Dürre über die Landwirtschaft, über die Frage, welche Unterstützung die Bauern bekommen müssen. Glauben Sie denn, dass sich da jetzt, ich sag es jetzt mal aus der Sicht der Insekten, im Sinne der Insekten was bewegt?
Tumbrinck: Es muss sich ja was bewegen. Wir setzen über 50 Milliarden Euro jährlich in der Landwirtschaft ein aus Steuermitteln. Und die müssen genau da eingesetzt werden, damit Landwirte Nahrungsmittel, gesunde, gute Nahrungsmittel produzieren, aber auch unsere Landschaft mit all ihren Tieren und Pflanzen erhalten. Da muss das Geld hinfließen, und die EU stellt gerade die Weichen. Die jetzige Dürre ist natürlich eine Notsituation. Aber auch da muss man gucken, das Geld darf nicht dahin fließen, wo Landwirte unsere Landschaft weiter so zerstören, sondern es muss dahin fließen, wo kleinere und mittlere Landwirte in Not sind und Landschaftspflege aber auch betreiben. Die brauchen wir für die Zukunft, weil die Hälfte unseres Landes ist ja Landwirtschaft. Das ist ganz wichtig für die Natur auch, und natürlich auch für unsere Lebensmittel und unsere Erholung.
Wärmeliebende Insekten
Schulz: Welche Probleme haben die Insekten jetzt mit dieser Dürrezeit? Wärme ist ja eigentlich eher gut, aber die Dürre dann vielleicht doch nicht?
Tumbrinck: Die ganzen Verallgemeinerungen, das ist immer alles eigentlich Quatsch aus Sicht der Insekten. Es gibt manche, die profitieren, andere überdauern einfach. Eine Raupe hat sich verpuppt und überdauert dann diese Trockenzeit und schlüpft jetzt vielleicht noch mal zum Herbst, ist dann wieder da. Manche profitieren davon, natürlich. Wärmeliebende Insekten profitieren auch davon. Es gibt ja auch Zuwanderer, so ist das ja nicht. Und manche profitieren eben nicht davon. Das ist immer ganz unterschiedlich. Deswegen haben wir ja auch über 33.000 Insektenarten, sodass immer auch mal die eine die andere ersetzen kann ein Stück weit, wenn sich die Lebensbedingungen ändern. Für die Tierwelt und die Pflanzenwelt ist so was normal über lange Zeiträume, da gibt es immer solche Katastrophen, die für manche eben vielleicht sogar mal das Aussterben bedeuten. Ein paar Jahre später wandern sie vielleicht wieder ein von ihren Refugien.
Schulz: Finde ich interessant zu hören, was aus Ihrer Sicht, aus Sicht der Insekten Quatsch ist. Ist für uns heute Morgen mal Anlass zu fragen, gibt es denn was, was Menschen von Insekten lernen könnten?
Tumbrinck: Erst mal ist es natürlich so, dass man Gelassenheit braucht. Ein Insekt ist natürlich gelassen, weil es ja keine Moral hat in unserem Sinne, sondern es geht um fressen, es geht ums Gefressenwerden. Ich würde mal sagen, davon müssen wir jetzt nicht lernen, fressen und gefressen werden, als Menschen. Aber gelassen sein, einfach sich an der Schönheit erfreuen der Insekten – das können die untereinander auch nicht, höchstens wenn es um Weibchen/Männchen geht. Davon können wir uns was abgucken.
Schulz: Okay, das mit der Schönheit vor allem. Das besprechen wir beim nächsten Mal noch genauer. Ganz herzlichen Dank bis hierhin an Josef Tumbrinck, den NABU-Vorsitzenden in Nordrhein-Westfalen. Danke heute Morgen für das Gespräch im Deutschlandfunk!
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