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"Insgesamt sieht es noch etwas traurig aus"

Die Sozialwissenschaftlerin Heide Pfarr hat mehr Familienfreundlichkeit bei den Privatwirtschaft angemahnt. Bislang hätten lediglich zehn Prozent der Betriebe eine Vereinbarung zur Familienförderung und zur Herstellung von mehr Chancengleichheit für Frauen. Im öffentlichen Dienst seien es immerhin 22 Prozent. Dort gebe es jedoch auch gesetzliche Regelungen, die Familienfreundlichkeit vorschreiben, so Pfarr.

Moderation: Dirk-Oliver Heckmann |
    Dirk-Oliver Heckmann: Wer macht die familienfreundlichere Politik? Um diese Frage ist ein Wettlauf entbrannt zwischen Union und SPD. Bei der Regierungsklausur in Genshagen verständigte man sich auf die steuerliche Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten. Wenige Tage später entschied die SPD, dies müsse ab dem ersten Euro gelten, nicht erst wie vereinbart ab dem Betrag von 1000 Euro. Familienministerin von der Leyen, von der CDU, konterte mit dem Vorschlag die Kitagebühren müssten gesenkt oder am Besten abgeschafft werden. Ein Vorschlag, der den Bund allerdings nichts kostet. Jetzt entschied das Kabinett erst einmal das Programm, so wie es ist, auf den Weg zu bringen, Änderungen im weiteren Verlauf nicht ausgeschlossen. Aber die Kosten für die Kinderbetreuung sind sicherlich nicht der alleinige Grund dafür, dass in Deutschland immer weniger Kinder geboren werden. Eine große Rolle dürfte auch die mangelnde Familienfreundlichkeit von Unternehmen spielen. Denn für viele Berufstätige heißt es: Ende der Karriere, wenn man erst einmal einige Jahre draußen ist. Ich begrüße jetzt Frau Professor Heide Pfarr. Sie ist die wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung des deutschen Gewerkschaftsbunds. Frau Professor Pfarr, wie familienfreundlich sind denn die Betriebe in Deutschland mittlerweile? Was hat sich da in den vergangenen Jahren getan?

    Heide Pfarr: Insgesamt sieht es noch etwas traurig aus, weil wir bei den Betrieben der Privatwirtschaft immer nur noch bei unter zehn Prozent der Betriebe eine Vereinbarung zur Familienförderung und zur Herstellung von mehr Chancengleichheit für Frauen, was häufig miteinander in Verbindung gebracht wird, gibt. Allerdings müssen wir feststellen, dass wir eine erhebliche Zunahme der Bemühungen haben. Also wir stellen fest, dass viele der Vereinbarungen, die wir aufgelistet haben, neueren Datums sind. Und dass wir Signale aus den Unternehmen bekommen, dass sie mehr einsehen, dass da ein erhebliches Feld zu beackern ist.

    Heckmann: Wie kommt es, dass doch so viele Unternehmen offenbar doch so zögerlich sind? Und wie kommt es, dass andere Unternehmen diese Chancen erkennen?

    Pfarr: Es hängt offensichtlich auch etwas von der Branche ab. Denn die meisten Vereinbarungen finden wir im Bereich der Banken und Versicherungen, obwohl das keineswegs eine Branche ist, wo die Frauen überwiegen. Man möchte ja meinen, dass vielleicht in den Branchen in denen am meisten die Frauen arbeiten es mehr gibt. Das ist aber nicht so. Und ich glaube, es ist eine Art von Blindheit seitens der Unternehmen. Und - das ist ein ganz problematisches Feld - die Betriebsräte spielen hier eine ganz erhebliche Rolle. Denn immer dann, wenn Betriebsräte sich dieses Thema zu Eigen gemacht haben, waren sie in einer hohen Anzahl der Fälle auch erfolgreich. Sie selber haben aber in der Regel dieses Thema nicht an der Spitze ihrer Agenda. Das heißt, sie nehmen es zwar wahr, aber haben zurzeit so viel mit Bekämpfung von Stellenabbau und all den anderen Problemen zu tun, dass sie es zurückschieben. Also ein wichtiger Akteur für die Familienfreundlichkeit, die Betriebsräte, sind noch nicht aktiv genug. Aber auch da sehen wir bei unseren Betriebsrätebefragungen, dass das Problembewusstsein steigt.

    Heckmann: Die Unternehmen, die sich auf eine solche Vereinbarung festgelegt haben zur Familienfreundlichkeit, weshalb haben die das genau gemacht? Haben die da was von? Und wie sehen diese Regelungen aus?

    Pfarr: Wenn sie nicht einfach dem Druck der Betriebsräte nachgegeben haben, was natürlich auch vorkommt, steht dahinter die Erkenntnis, dass sie eine erhebliche Ressource vertun, wenn sie die, insbesondere die Frauen dann alleine lassen, wenn die zur Familiengründung geben und hohe Investitionen in deren Qualifikation verloren gehen. Das heißt, diejenigen Unternehmen, es sind übrigens überwiegend die größeren, wissen sehr genau, dass es ökonomischen Nutzen hat, wenn man familienfreundlichere Betriebe hat. Diejenigen, die wir schon eine ganze Zeit haben, beziffern diesen Nutzen durchaus auch. Also, die sagen, das hat sich für sie ökonomisch ausgezahlt.

    Heckmann: Und was kann zur Familienfreundlichkeit von Unternehmen beitragen? Wie sehen diese Regelungen aus?

    Pfarr: Ich würde da gerne davon sprechen, was die Betroffenen selber als Wünsche anmelden. Denn das ist nicht immer identisch mit dem, was die Unternehmen als Familienfreundlichkeit verkaufen, denn ganz viele Unternehmen meinen immer noch, dass allein mehr Angebot für Teilzeitarbeit, die Familienfreundlichkeit bereits auf die Spitze treibt. Hingegen, wenn man die Beschäftigten fragt, was ihre Wünsche sind, sind es drei Dinge: nicht unbedingt Teilzeitarbeit, sondern Arbeitszeitflexibilität, dass also die Möglichkeit auf Bedürfnisse in der Familie eingehen zu können. Das bedeutet nicht etwa eine Halbtagsstelle, sondern in der Regel wollen sie sogar länger arbeiten, als die Hälfte der üblichen Arbeitszeit, aber eben es auch mal verlegen können, wenn die Familie es braucht. Das zweite ist: Notfallbetreuung. Sie verlangen nicht unbedingt ein Kindergarten im Betrieb selbst. Das finden sie zwar schön, aber so weit gehen sie eigentlich gar nicht. Sondern sie sagen, wer hilft mir, wenn das, was ich organisiert habe für die Kinderbetreuung - die Tagesmutter, der Kindertagesstätte wird wegen Diphterie oder weiß der Teufel irgendwelche Schwierigkeiten geschlossen - was mache ich dann mit meinem Kind. Bietet mir das Unternehmen hier eine Notfallbetreuung an? Da haben wir schon einige wenige Betriebe, die das hervorragend organisiert haben. Das ist aber weitgehend nicht der Fall. Und schließlich eins: in der Zeit der Elternzeit, möchten sie gerne, dass Kontakt gehalten wird, dass sie über, eben auf dem laufenden gehalten werden, was in ihrem Untenehmen geschieht. Und auch mal ein Angebot bekommen, dass sie mal eine Vertretung machen können, oder auch an einer Weiterbildung teilnehmen können, obwohl sie in der Elternzeit sind. Das sind die Wünsche der Beschäftigten, die in einigen wenigen Vereinbarungen erfüllt werden. aber in der Regel nicht.

    Heckmann: Wie kann das verändert werden? Wie kann erreicht werden, dass eben mehr Unternehmen auf solche Lösungen setzen? Müssen da Ihrer Ansicht nach gesetzliche Regelungen ran?

    Pfarr: Ein Datum spricht dafür, wenn wir uns mal unterscheiden die Unternehmen, die im öffentlichen Dienst sind und solchen in der Privatwirtschaft, stellen wir fest, dass für den öffentlichen Dienst wir in fast allen Bundesländern Gesetze haben, die Familienfreundlichkeit und Chancengleichheit für Frauen vorschreiben und prompt finden wir in 22 Prozent der Dienststellen solche Vereinbarungen. Hingegen auf keinen Fall in der Größenordnung bei den Betrieben der Privatwirtschaft, die ja nicht eine gesetzliche Grundlage, die sie dazu bringt, haben. Da sind es ja nur 7,2 Prozent der Betriebe, das heißt eine gesetzliche Regelung war offensichtlich hilfreich. Die frühere Frauenministerin - die vor der letzten Frauenministerin - hatte noch versucht durch gutes Beispiel Kongresse zu machen, wo Betriebe oder Unternehmen, die so was haben, als gutes Beispiel den anderen zeigen, wie es geht. Das hatte keinen großen Effekt, also vielleicht ist nicht nur auf die ökonomische Einsicht zu hoffen, doch hilfreich. Aber diese Bundesregierung nehme ich an, wird zu so etwas ganz gewiss nicht greifen.

    Heckmann: Wie kommen Sie zu dieser Annahme?

    Pfarr: Weil schon die Vorige vor einem Gesetz zurückgeschreckt ist und zurzeit jedes Gesetz unter Deregulierungs... bestehende Gesetze unter dem Verdikt von Deregulierung stehen, so das Neue durchzusetzen, die Regulierungsansätze haben, überaus schwierig ist.

    Heckmann: Glauben Sie denn, dass dieser SPD-Forderung nach einem einkommensabhängigen Elterngeld - diese Forderung steht ja im Raum - dass die was ändern kann?

    Pfarr: Wir haben da Erfahrung in den skandinavischen Ländern. Die Beteiligung der Männer an der Elternzeit ist dadurch immer noch nicht himmelstürmend, aber immerhin das Zehnfache dessen was wir haben. Und deswegen ist es gar keine Frage der Einschätzung mehr, im Sinne von was glaube ich, sondern ich bin ganz sicher, dass der Ersatz des Verlusts des Einkommens für die Elternzeit, die nicht zu lange sein darf, durchaus dazu betragen kann.

    Heckmann: Der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Jürgen Rüttgers hält das Ganze allerdings für sozial ungerecht. Sie nicht?

    Pfarr: Nein. Und zwar deswegen nicht, weil immer ausgelassen wird, dass wenn nicht der Einkommensausgleich ist, einige es sich schlichtweg nicht leisten können. Und das ist doch der schlimmste Grund kein Kind zu bekommen, dass man mit dem Geld nicht auskommt. Was ist daran ungerecht?

    Heckmann: Sozial ungerecht deshalb, weil besser verdienende Paare davon natürlich stärker profitieren als weniger gute verdienende Paare.

    Pfarr: Ja, aber es geht doch um eine Lebensstandardsicherung. Es geht darum, dass Familien sich überlegen, können wir uns leisten. Und man kann doch nicht deswegen, weil man ein Kind bekommt, sagen, jetzt müssen wir die etwas größere Wohnung kündigen und umziehen, weil wir in der Zeit uns die Miete nicht mehr leisten können. Bei der Arbeitslosenversicherung da erlauben wir uns ja auch, dass Arbeitslosigkeit im ersten Jahr durchaus unterschiedlich bezahlt wird. Die Leute versuchen ihren Lebensstandard nicht total zu verlieren. Kinder sind ja nicht billig. Und deswegen finde ich es keineswegs ungerecht.