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Insolvenz kann für Opel "der Königsweg" sein

Professor Hans Haarmeyer vom Deutschen Institut für angewandtes Insolvenzrecht hält eine Insolvenz des Autobauers Opel für ein wesentliches Instrument, "um das Unternehmen in seiner jetzigen Struktur auch zu erhalten". Sie bedeute mitnichten die Vernichtung von Arbeitsplätzen, so Haarmeyer.

Hans Haarmeyer im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Sandra Schulz: Es waren schon recht schroffe Worte der Zurechtweisung. Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) forderte Innenminister Schäuble und Wirtschaftsminister Guttenberg, ebenfalls aus der Union, am Wochenende auf, dringend dazu auf, so wörtlich, das Gerede über eine mögliche Opel-Insolvenz einzustellen. Einstweilen können die rund 26.000 Opel-Beschäftigten nicht mit einer schnellen Entscheidung der Bundesregierung hoffen. Darum sorgt das Wort "Insolvenz" für große Nervosität bei den Mitarbeitern – Nervosität, die sich zum einen darin äußert, in der Ankündigung, im Zweifelsfall kreative Lösungen zu suchen, womit Resolutionen, Demonstrationen oder aber auch wilde Streiks gemeint sein könnten, Nervosität, die sich aber auch in der Bereitschaft äußert, notfalls auf Lohn zu verzichten. Sind die Gedankenspiele über eine mögliche Insolvenz eher Drohung, oder sind sie gar eine Chance? – Darüber wollen wir nun sprechen mit Professor Hans Haarmeyer. Er ist leitender Direktor des Deutschen Instituts für Insolvenzrecht und lehrt auch Insolvenzrecht an der Fachhochschule Koblenz und ist uns jetzt telefonisch verbunden. Guten Morgen!

    Hans Haarmeyer: Guten Morgen, Frau Schulz.

    Schulz: Der neue Chef der fünf Wirtschaftsweisen, Wolfgang Franz, hat gestern gesagt, Insolvenz heiße nicht, dass die Mitarbeiter am nächsten Tag auf der Straße stehen. Herr Haarmeyer, was heißt es denn dann?

    Haarmeyer: Insolvenz bedeutet auf die Situation von Opel bezogen, eine Option zu wählen, die der Gesetzgeber für Unternehmen, die typischerweise in einer Krise sind wie Opel, zur Verfügung stellt; und eine der wesentlichen Optionen ist, ein Instrumentarium zur Verfügung zu stellen, das der Sanierung des Unternehmens und dem Erhalt von Arbeitsplätzen dient. Das heißt, die Insolvenz bedeutet mitnichten die Vernichtung von Arbeitsplätzen, sondern kann beispielsweise im Fall von Opel ein wesentliches Instrument sein, um das Unternehmen in seiner jetzigen Struktur auch zu erhalten.

    Schulz: Und könnte bei Opel im Zweifelsfall auch mehr Arbeitsplätze retten als andere Szenarien?

    Haarmeyer: Mit Sicherheit könnten dabei mehr Arbeitsplätze gerettet werden als in anderen Szenarien, weil das Insolvenzrecht gerade auf diese Situation ausgerichtet ist: einem Unternehmen eine Atempause zu geben, indem Liquidität auch für Löhne in das Unternehmen hineingegeben wird, das Unternehmen von den Zahlungen entlastet wird und es so auch Zeit gewinnt, sich auf einer bestimmten Strecke neu zu sortieren, wenn man so will.

    Schulz: Aber das Unternehmen ist doch auch ganz dringend auf der Suche nach Investoren. Wer investiert in ein Unternehmen, über das schon das Insolvenzverfahren eröffnet ist?

    Haarmeyer: Gerade das macht die Attraktivität eines Insolvenzverfahrens aus, weil – ich sage es mal ganz salopp –, wenn sie ein Unternehmen aus der Insolvenz erwerben, dann erwerben sie es frei von Altlasten. Das heißt, sie erwerben ein Unternehmen, das auf den gesunden Kern reduziert ist und alle Dinge, die dieses Unternehmen auch betriebswirtschaftlich in hohem Maße möglicherweise belasten, bleiben bei dem alten Unternehmensträger, der im Prinzip dann im Rahmen der Insolvenz abgewickelt wird. Das heißt, Insolvenz kann der Übergang in eine wirtschaftlich optimierte Struktur sein, und dann werden sich auch Investoren finden. In der gegenwärtigen Situation werden sie keinen Investor finden, der in eine ungesicherte rechtliche Situation wie Opel Geld investiert. Von daher ist meines Erachtens auch die Zurückhaltung der Bundesregierung an dieser Stelle völlig richtig.

    Schulz: Und die wirtschaftlich optimierte Struktur, die Sie ansprechen, die lässt sich übersetzen mit "Zerschlagung des Unternehmens"?

    Haarmeyer: Nein! Sie lässt sich übersetzen mit "Reduzierung auf den gesunden Kern des Unternehmens", also auf das, was im Markt absatzfähig und zukunftsfähig ist, und nach allem, was man bisher aus verschiedenen Untersuchungen weiß, gilt das für Opel, so dass das Unternehmen als solches im Markt Bestand haben kann. Dann aber auch muss es aus meiner Sicht zumindest unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten, also gegebenenfalls auch im Rahmen einer sanierenden Erhaltung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens, umstrukturiert werden.

    Schulz: Wenn das Insolvenzverfahren also eigentlich ein Rettungsszenario ist, passt dann vielleicht auch beides zusammen, Insolvenzverfahren und staatliche Unterstützung?

    Haarmeyer: Die staatliche Unterstützung könnte im Rahmen eines Insolvenzverfahrens zum Beispiel im Rahmen von einer Bürgschaft dazu führen, dass man die notwendige Übergangszeit ein bisschen streckt, um die notwendige Liquidität für diese Zeit abzusichern. Das wäre eine aus meiner Sicht gute Kombination. Von daher finde ich auch den Vorstoß von Herrn Schäuble und auch von Herrn zu Guttenberg außerordentlich lobenswert, weil sie mit diesem Tabu-Denken einfach auch aufhören, das da lautet, Insolvenz ist der Tod eines Unternehmens. Dass das jetzt von Herrn Koch wieder bedient wird, mag irgendwo auch politischen Umständen geschuldet sein. Er hat in seinem Land natürlich auch große Sorgen um die Arbeitsplätze. Aber es wäre viel, viel besser, den Beschäftigten, aber auch in der Öffentlichkeit deutlich zu machen, dass die Insolvenz gerade für Opel die Chance sein kann, der Königsweg sein kann, um hier auf eine vernünftige, zukunftsweisende Lösung zu kommen.

    Schulz: Lassen Sie uns ganz kurz noch auf einen kritischen Punkt blicken. Im Falle des Insolvenzverfahrens kommen ja Juristen ans Ruder. Woher sollen die eigentlich die wirtschaftliche Kompetenz nehmen, dieses Unternehmen dann zu führen und zu verwalten?

    Haarmeyer: In aller Regel, wenn ein Insolvenzverwalter in ein Unternehmen wie Opel hereinkommt, wird er alles tun, aber sich ganz bestimmt nicht in das operative Geschäft einschalten, sondern in einer solchen Situation werden Insolvenzverwalter entsprechend qualifizierte Unternehmer mit in das Unternehmen hineinbringen, die branchenerfahren sind. Juristen selber neigen ja dazu, sich in ihren Fähigkeiten deutlich zu überschätzen, aber ich glaube, in einem Fall wie Opel könnten wir ganz sicher sein, dass dort eine sehr kompetente Mannschaft auch an Bord sein wird. Bereits jetzt hat Opel ja Kontakt auch zu sehr ausgewiesenen Kanzleien aufgenommen, die bereits dieses Szenario durchprüfen.

    Schulz: Professor Hans Haarmeyer war das. Er ist leitender Direktor des Deutschen Instituts für angewandtes Insolvenzrecht, heute in den "Informationen am Morgen".