Silvia Engels: Sie haben es gehört: General Motors hat gestern wie erwartet Insolvenz angemeldet. Kurz zuvor war Opel rechtlich von seiner langjährigen Konzernmutter abgetrennt worden. Opel versucht nun, mit Hilfe des neuen Eigners Magna, einem russischen Investor und staatlichen Überbrückungskrediten ohne Insolvenzverfahren wieder in die schwarzen Zahlen zu kommen. Über Für und Wider von Insolvenzen und Fallstricke wollen wir sprechen mit Stefan Reinhart. Er ist Experte für Insolvenzrecht der Kanzlei FPS und Lehrbeauftragter der Fachhochschule Frankfurt für Insolvenz und Sanierung. Guten Morgen, Herr Reinhart.
Stefan Reinhart: Guten Morgen, Frau Engels.
Engels: US-Präsident Obama hat ja in der Nacht betont, man setze darauf, dass aus der Insolvenz heraus General Motors wieder zu einem leistungsstarken Autobauer werden könne. Eröffnet das Insolvenzrecht in den USA tatsächlich diese Perspektive?
Reinhart: Ja. Das amerikanische Insolvenzrecht ist grundsätzlich sehr sanierungsfreundlich. Das sogenannte Capture-11-Verfahren ermöglicht gerade großen Unternehmen einen umfassenden Schutz vor einer Zerschlagung des Unternehmens. Gleichzeitig bietet das Verfahren die Möglichkeit, gegenüber allen Beteiligten (und zwar sowohl den Gläubigern als auch den Gesellschaftern), die zur Rettung des Unternehmens notwendigen Maßnahmen rechtlich verbindlich durchzusetzen, solange die Rettung des Unternehmens mehr Sinn macht als eine vollständige Zerschlagung beispielsweise.
Engels: Wo unterscheidet sich denn da das US-Insolvenzrecht vom deutschen Insolvenzrecht, das man ja hier für Opel überhaupt nicht anwenden wollte?
Reinhart: Da gibt es zunächst erhebliche kulturelle Unterschiede. Die Amerikaner haben historisch gesehen große Erfahrungen mit Sanierungen großer Unternehmen oder großer Konzerne schon seit mehr als 100 Jahren, denken Sie an die alten Eisenbahngesellschaften, die schon in Sanierungsverfahren waren, oder aus jüngster Zeit die Fluggesellschaften. Anders als in Deutschland empfinden die Marktteilnehmer die Insolvenzsituation eines großen Unternehmens nicht so fatalistisch wie in Deutschland, wo die meisten Marktteilnehmer dann an sich von dem Ende des Unternehmens selbst ausgehen. Rechtlich gesehen gibt es einige Gemeinsamkeiten, weil das Insolvenzplanverfahren, das es in Deutschland gibt, dem sogenannten Capture-11-Verfahren nachgebildet wurde. Es gibt allerdings auch einige große Unterschiede. Das amerikanische Insolvenzrecht beispielsweise kennt einen sogenannten Debt for equity Swap, das heißt die Möglichkeit der Umwandlung von Verbindlichkeiten in Eigenkapital bei gleichzeitigem Wechsel der Gesellschafter. Verlieren die alten Gesellschafter ihre Gesellschafterposition, die dann eingenommen wird von den Gläubigern des Unternehmens und eventuell einem neuen Investor, so bleibt der Unternehmensträger erhalten, hat aber neue Gesellschafter. Das ist in der Sanierungssituation durchaus bedeutsam und hätte eventuell der Bundesregierung zum Beispiel auch im Falle der Hypo Real Estate geholfen.
Engels: Blicken wir nun auf den Aspekt, der uns in Deutschland mit Blick auf General Motors ja am meisten interessiert: auf Opel. General Motors ist ja auch an dem neu zu schaffenden Opel-Konzern noch zu 35 Prozent beteiligt. Besteht die Gefahr, dass GM-Gläubiger auf diesem Weg nun indirekt doch noch auf Opel-Kapital zugreifen?
Reinhart: Nein, an sich nicht. Auf Vermögenswerte von Opel können Gläubiger von General Motors nicht zugreifen, weil jede Tochtergesellschaft in der Insolvenz an sich rechtlich eigenständig ist. Die Gläubiger von General Motors sind daher nicht zugleich auch Gläubiger von Opel hier in Deutschland. Das Problem besteht vielmehr in den Leistungsbeziehungen, die eine Tochtergesellschaft mit der Muttergesellschaft hat, und den dort vereinbarten Verrechnungspreisen, das heißt den Liefer- und Leistungsbeziehungen, die Opel mit General Motors in den USA vereinbart hat. Wenn hier Preise vereinbart wurden, die nicht marktgerecht oder zum Nachteil von Opel sind, führt das freilich weiterhin zu einem Vermögensabfluss in den USA, weil schlichtweg einfach die Preise nicht marktgerecht sind.
Engels: Wie ist es eigentlich rechtlich zu bewerten, dass wenige Stunden vor der Insolvenz von General Motors noch ein wesentlicher Teil des Konzerns, nämlich Opel, verkauft wurde?
Reinhart: Wenn es vor dem Antrag veräußert wurde, ist das nicht unproblematisch, weil es gibt die sogenannte Insolvenzanfechtung, nach der man bestimmte Rechtshandlungen, die vor der Eröffnung oder vor der Beantragung des Insolvenzverfahrens vorgenommen werden, wieder rückabwickeln kann, wenn sie zum Nachteil der Gläubiger sind. Das ist in der Regel ein rechtliches Risiko, weshalb so etwas auch oft erst nach der Eröffnung des Verfahrens gemacht wird. Wie das hier vereinbart wurde weiß ich nicht. Darin ist aber eine rechtliche Unsicherheit zu sehen.
Engels: Nun besteht ja der Hilfsplan für Opel laut Finanzminister Steinbrück aus drei Teilen: einem Vorvertrag zwischen GM und Magna, einem Treuhandvertrag, der soll das Abfließen deutscher Steuermittel in die USA verhindern, und eben die Regelung über den Überbrückungskredit. Details sind noch nicht so recht bekannt, aber klingt das für Sie nach einem guten Gesamtkonzept?
Reinhart: Das lässt sich an sich anhand der wenigen öffentlich zugänglichen Informationen kaum bewerten. Jedenfalls verhindert der Treuhandvertrag per se nicht das Abfließen von Mitteln in die USA, wie man immer liest, noch scheint mir klar, wie man die Treuhandlösung insolvenzanfechtungsfest gemacht hat. Ob letztendlich es Sanierungskonzepte für Opel hier in Deutschland selbst gibt, die erfolgversprechend sind, kann man ohne nähere Informationen eigentlich kaum beurteilen.
Engels: Einschätzungen von Stefan Reinhart von der Kanzlei FPS aus Frankfurt am Main. Vielen Dank!
Reinhart: Vielen herzlichen Dank.
Stefan Reinhart: Guten Morgen, Frau Engels.
Engels: US-Präsident Obama hat ja in der Nacht betont, man setze darauf, dass aus der Insolvenz heraus General Motors wieder zu einem leistungsstarken Autobauer werden könne. Eröffnet das Insolvenzrecht in den USA tatsächlich diese Perspektive?
Reinhart: Ja. Das amerikanische Insolvenzrecht ist grundsätzlich sehr sanierungsfreundlich. Das sogenannte Capture-11-Verfahren ermöglicht gerade großen Unternehmen einen umfassenden Schutz vor einer Zerschlagung des Unternehmens. Gleichzeitig bietet das Verfahren die Möglichkeit, gegenüber allen Beteiligten (und zwar sowohl den Gläubigern als auch den Gesellschaftern), die zur Rettung des Unternehmens notwendigen Maßnahmen rechtlich verbindlich durchzusetzen, solange die Rettung des Unternehmens mehr Sinn macht als eine vollständige Zerschlagung beispielsweise.
Engels: Wo unterscheidet sich denn da das US-Insolvenzrecht vom deutschen Insolvenzrecht, das man ja hier für Opel überhaupt nicht anwenden wollte?
Reinhart: Da gibt es zunächst erhebliche kulturelle Unterschiede. Die Amerikaner haben historisch gesehen große Erfahrungen mit Sanierungen großer Unternehmen oder großer Konzerne schon seit mehr als 100 Jahren, denken Sie an die alten Eisenbahngesellschaften, die schon in Sanierungsverfahren waren, oder aus jüngster Zeit die Fluggesellschaften. Anders als in Deutschland empfinden die Marktteilnehmer die Insolvenzsituation eines großen Unternehmens nicht so fatalistisch wie in Deutschland, wo die meisten Marktteilnehmer dann an sich von dem Ende des Unternehmens selbst ausgehen. Rechtlich gesehen gibt es einige Gemeinsamkeiten, weil das Insolvenzplanverfahren, das es in Deutschland gibt, dem sogenannten Capture-11-Verfahren nachgebildet wurde. Es gibt allerdings auch einige große Unterschiede. Das amerikanische Insolvenzrecht beispielsweise kennt einen sogenannten Debt for equity Swap, das heißt die Möglichkeit der Umwandlung von Verbindlichkeiten in Eigenkapital bei gleichzeitigem Wechsel der Gesellschafter. Verlieren die alten Gesellschafter ihre Gesellschafterposition, die dann eingenommen wird von den Gläubigern des Unternehmens und eventuell einem neuen Investor, so bleibt der Unternehmensträger erhalten, hat aber neue Gesellschafter. Das ist in der Sanierungssituation durchaus bedeutsam und hätte eventuell der Bundesregierung zum Beispiel auch im Falle der Hypo Real Estate geholfen.
Engels: Blicken wir nun auf den Aspekt, der uns in Deutschland mit Blick auf General Motors ja am meisten interessiert: auf Opel. General Motors ist ja auch an dem neu zu schaffenden Opel-Konzern noch zu 35 Prozent beteiligt. Besteht die Gefahr, dass GM-Gläubiger auf diesem Weg nun indirekt doch noch auf Opel-Kapital zugreifen?
Reinhart: Nein, an sich nicht. Auf Vermögenswerte von Opel können Gläubiger von General Motors nicht zugreifen, weil jede Tochtergesellschaft in der Insolvenz an sich rechtlich eigenständig ist. Die Gläubiger von General Motors sind daher nicht zugleich auch Gläubiger von Opel hier in Deutschland. Das Problem besteht vielmehr in den Leistungsbeziehungen, die eine Tochtergesellschaft mit der Muttergesellschaft hat, und den dort vereinbarten Verrechnungspreisen, das heißt den Liefer- und Leistungsbeziehungen, die Opel mit General Motors in den USA vereinbart hat. Wenn hier Preise vereinbart wurden, die nicht marktgerecht oder zum Nachteil von Opel sind, führt das freilich weiterhin zu einem Vermögensabfluss in den USA, weil schlichtweg einfach die Preise nicht marktgerecht sind.
Engels: Wie ist es eigentlich rechtlich zu bewerten, dass wenige Stunden vor der Insolvenz von General Motors noch ein wesentlicher Teil des Konzerns, nämlich Opel, verkauft wurde?
Reinhart: Wenn es vor dem Antrag veräußert wurde, ist das nicht unproblematisch, weil es gibt die sogenannte Insolvenzanfechtung, nach der man bestimmte Rechtshandlungen, die vor der Eröffnung oder vor der Beantragung des Insolvenzverfahrens vorgenommen werden, wieder rückabwickeln kann, wenn sie zum Nachteil der Gläubiger sind. Das ist in der Regel ein rechtliches Risiko, weshalb so etwas auch oft erst nach der Eröffnung des Verfahrens gemacht wird. Wie das hier vereinbart wurde weiß ich nicht. Darin ist aber eine rechtliche Unsicherheit zu sehen.
Engels: Nun besteht ja der Hilfsplan für Opel laut Finanzminister Steinbrück aus drei Teilen: einem Vorvertrag zwischen GM und Magna, einem Treuhandvertrag, der soll das Abfließen deutscher Steuermittel in die USA verhindern, und eben die Regelung über den Überbrückungskredit. Details sind noch nicht so recht bekannt, aber klingt das für Sie nach einem guten Gesamtkonzept?
Reinhart: Das lässt sich an sich anhand der wenigen öffentlich zugänglichen Informationen kaum bewerten. Jedenfalls verhindert der Treuhandvertrag per se nicht das Abfließen von Mitteln in die USA, wie man immer liest, noch scheint mir klar, wie man die Treuhandlösung insolvenzanfechtungsfest gemacht hat. Ob letztendlich es Sanierungskonzepte für Opel hier in Deutschland selbst gibt, die erfolgversprechend sind, kann man ohne nähere Informationen eigentlich kaum beurteilen.
Engels: Einschätzungen von Stefan Reinhart von der Kanzlei FPS aus Frankfurt am Main. Vielen Dank!
Reinhart: Vielen herzlichen Dank.