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Instrumentalisieren die Parteien den Bundesrat?

    Durak: Was haben der Bundesrat und die bekannte "Muppet-Show" gemeinsam? Auf jeden Fall die Politik als Thema und gelegentlich die eine oder andere handelnde Person, was den Auftritt in der Satire-Sendung betrifft aus Sicht der Politiker eher unfreiwillig. Und was sonst noch? Saarlands Ministerpräsident Peter Müller weiß das. Bei seiner normalen Tätigkeit erinnere das ehrwürdige Gremium, der Bundesrat, eher an die "Muppet-Show", sagte Müller als er gestern öffentlich erläuterte, wie und vor allem weshalb es zu den tumultartigen Szenen im Bundesrat am vergangenen Freitag kam. Die unionsgeführten Länder haben die umstrittene Abstimmung zum Zuwanderungsgesetz genutzt, um ihrer Empörung lautstark Ausdruck zu verleihen, und das "Theater", das man dort aufgeführt habe, sei legitim gewesen, weil es einen ehrlichen Hintergrund habe. Das bringt uns zum Beispiel zu der Frage, inwieweit Parteien den Bundesrat inzwischen instrumentalisieren. Am Telefon ist Hildegard Hamm-Brücher von der FDP. Über 40jährige Erfahrungen hat sie als Politikerin in verschiedensten, auch höchsten Funktionen bis hin zur Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten. Guten Morgen Frau Hamm-Brücher!

    Hamm-Brücher: Guten Morgen Frau Durak.

    Durak: Frau Hamm-Brücher, viele junge Leute mögen die "Muppet-Show". Ob sie sich nun bald auch mal Sitzungen des Bundesrates anschauen, was meinen Sie?

    Hamm-Brücher: Der deutsche Bundesrat ist ja nach der Verfassung als zweite Kammer konzipiert worden, in der eben die Interessen der Länder vertreten werden sollen, aber nicht die Interessen der Parteien. Über die Parteien steht im Grundgesetz, wenn man das in dem Zusammenhang vielleicht auch noch mal zitieren darf, im Artikel 21, dass die Parteien bei der politischen Willensbildung mitwirken sollen, aber sie sollen nicht die ganze Demokratie in Beschlag legen, zum Beispiel den Bundesrat als zweite Kammer. Das ist ein solcher Missbrauch eines ganz wichtigen Gebotes des Grundgesetzes und das kann auch nicht gut gehen.

    Durak: Das haben wir am Freitag erlebt, Frau Hamm-Brücher. Parteien instrumentalisieren das Gremium für ihre Interessen; die Interessen der Bürger sind eher zweitrangig. Schlägt das nicht letztlich auf die Parteien zurück?

    Hamm-Brücher: Ich habe ja schon seit den 80er Jahren immer wieder versucht, darauf aufmerksam zu machen, dass die Bestimmungen unseres Grundgesetzes wie eine Art Kreislauf sind. Da muss man immer darauf bedacht sein, dass man die Gewichte zwischen den Artikeln des Grundgesetzes versucht, im Lote zu halten. Die Staatsgewalt soll vom Volke ausgehen; sie geht mittlerweile von den Parteien aus. Der Abgeordnete soll Vertreter des ganzen Volkes sein, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden, nur seinem Gewissen unterworfen. Der Bundesrat ist eine reine Kontrollkammer der Länder. Das ist alles aus dem Lote und insofern muss man sehr besorgt sein, wie es mit der Achtung, dem Respekt und auch der Verwirklichung des Grundgesetzes weitergehen soll. Wie können wir denn von jungen Menschen verlangen, dass sie dieses Grundgesetz achten und beachten, wenn die Politiker damit - ich sage jetzt ein ganz hartes Wort - so ein Schindluder treiben.

    Durak: Frau Hamm-Brücher, Sie haben dieses Vorgehen am Freitag ja miterlebt, so oder so.

    Hamm-Brücher: Ich habe es mir am Fernseher angesehen. Das ist übrigens auch so eine Frage, ob man den Parteien, den Agierenden am Fernseher überhaupt so eine Plattform bieten soll. Das ist einfach nicht geeignet. Die Versuchung scheint so groß zu sein, dass sie voll missbraucht wird.

    Durak: Andererseits hat die Öffentlichkeit ja selbst in Augenschein nehmen können, was da passiert ist. Interessanterweise hat ja Herr Müller - und man fragt sich, weshalb er das eben getan hat - Aufklärung gegeben, dass es Theater war. Hätte er dies nicht getan, hätten alle geglaubt, die CDU/CSU ist hell empört.

    Hamm-Brücher: Ja und völlig überrascht. - Das ist eine Show und das ist ein Wahlkampf, viel zu früh und viel zu total. Das ist totaler Wahlkampf. Das haben wir noch nicht gehabt. Wenn man sich vorstellt, dass fast ein Jahr unser Land nicht mehr politisch handlungsfähig ist, bloß weil alles unter dem Aspekt dieser Macht, dieses riesigen Machtkampfes zwischen der jetzigen Regierung und der Opposition steht und neue Methoden dieses totalen Wahlkampfs unser öffentliches Leben polarisieren. Das kann ja nicht einfach weggewischt werden am Abend des Wahltages.

    Durak: Frau Hamm-Brücher, Wirtschaftsvertreter fordern nach diesen Ereignissen und nach dem, was jetzt noch an Gezänk zwischen den Parteien stattfindet, eine Reform des föderalen Systems. Das politische System neige zu Blockaden und verschleppe Entscheidungen, um mal ein Wort zu zitieren. Sind Sie auch der Meinung oder meinen Sie, man sollte vielmehr das, was im Grundgesetz steht, einfach ausfüllen?

    Hamm-Brücher: Das habe ich ja mit meinen bisherigen Ausführungen schon gesagt. Ich bin realistisch genug. Eine Verfassungsreform wird immer gefordert, wenn man eigentlich versäumt hat, das was da ist in vernünftiger Form auch einzuhalten. Ich bin nur sehr froh, wenn die Wirtschaft sich in diesem Punkt jetzt wirklich einschaltet. Wir haben ja eigentlich noch nie ein Gesetz gehabt - ich habe das jedenfalls nicht erlebt -, bei dem nun alle dafür sind, von den Gewerkschaften über die Industrieverbände, über den Mittelstand bis zu den Kirchen. Alle begrüßen dieses Gesetz, halten es für überfällig. Nur die Partei, die das C im Namen trägt, führt sich auf als würde in Deutschland eine totale Überfremdung passieren, wenn wir versuchen, unsere Lücken auszufüllen und Einwanderung in begrenztem Maße möglich machen. Es ist eine solche überzogene Form, aus parteipolitischem Interesse das Gemeinwohl zu strapazieren. Ich bin langsam so weit zu sagen, da ich ja nun wirklich seit 1948 als ganz junge Stadträtin im öffentlichen Leben gestanden bin, ich habe so etwas noch nicht erlebt. Ich habe viel erlebt, aber so etwas noch nicht.

    Durak: Glauben Sie das war ein einmaliger Ausrutscher?

    Hamm-Brücher: Nein. Ich fürchte, dass diese Verwilderung - und das ist es -, die Verwilderung der politischen Kultur, des politischen Anstandes weiter eskalieren wird, denn zum Beispiel das Problem Parteispenden, das ganze Problem des Missbrauchs von Ämtern für parteipolitische Zwecke, das eskaliert ja immer weiter und die Parteien scheinen selber gar nicht im Stande zu sein, das in Ordnung zu bringen. Jetzt meine ich nun wirklich alle großen Parteien, denn immer wieder kommt der Sumpf hoch. Immer wieder wird ein bisschen was reingestopft, bis die nächsten Blasen aufsteigen. Das erlebe ich nun auch seit der Flick-Affäre. Ich glaube, dass wir uns bewusst sein müssten, dass unsere Demokratie nach 1945, die Freiheit, der Rechtsstaat, ein unglaubliches Geschenk, eine Chance gewesen ist. Aber stückchenweise, scheibchenweise machen wir das kaputt, zerstören wir das. Ich will nicht dramatisieren. Man kann alles immer wieder in einer Demokratie korrigieren. Das ist ja die Chance der Demokratie. Aber langsam sind die dafür Verantwortlichen schon nicht mehr fähig. Und die Bürger: Ich habe Angst, wo sie sich hinwenden werden, wenn sie dieses nicht mehr ertragen wollen. Ich meine in unserer Gesellschaft geht es ja auch nicht zimperlich zu, außerhalb der Parteien. Trotzdem muss aber irgendwo noch die Achtung vor Recht, Gesetz und Verfassung deutlich werden.

    Durak: Sie meinen den berühmten starken Mann, nach dem gerufen wird?

    Hamm-Brücher: Nein, nein. Das müssen demokratische Kräfte machen, keine starken Männer. Die starken Männer sind der große Irrtum, der dann sofort in einem Volk, das eben immer starke Männer gewöhnt war, hoch kommt. Das ist die Gefahr. Wenn wir eine richtige eingewachsene Demokratie seit ein paar Hundert Jahren hätten, dann wäre ich da gar nicht so besorgt. Der Ruf nach starken Männern ist in Deutschland immer ganz stark und schnell da. Erfreulicherweise und komischerweise haben wir jetzt ja nun Frauen in der Politik, im öffentlichen Leben. Die sollten sich über Parteigrenzen hinaus zusammentun und sollten sagen, wir wollen diese Demokratie nicht noch einmal beschädigen oder gar zerstören lassen.

    Durak: Ein Rat der Frauen, unter Älteren vielleicht auch?

    Hamm-Brücher: Ja der, die nun wirklich erlebt haben, was im Dritten Reich passiert ist, wie unglaublich schwierig es nach _45 und _48, nach der Gründung der Bundesrepublik war und wie verantwortungslos es ist, nun aus eigenem Machtkalkül immer wieder dieses Geschenk Demokratie zu demolieren.

    Durak: Hildegard Hamm-Brücher von der FDP. Herzlichen Dank Frau Hamm-Brücher für dieses Gespräch!

    Link: Interview als RealAudio