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Integration der Türken in Deutschland
Deutschland wählte "falsche Ansprechpartner"

Die Buchautorin und SPD-Politikerin Lale Akgün kritisierte im DLF, dass man in Deutschland Integrationspolitik nur über Vereine gemacht habe, die im Sinne Erdogans und der türkischen Führung in Ankara handelten. Man müsse sich fragen, ob dies nicht die falschen Ansprechpartner gewesen seien.

Lale Akgün im Gespräch mit Bettina Klein |
    Die nordrhein-westfälische SPD-Politikerin Lale Akgün
    Die nordrhein-westfälische SPD-Politikerin Lale Akgün (imago )
    Seit dem missglückten Putsch hätte Erdogan seinen Kampf gegen Demokratie zu einem Kampf für Demokratie deklariert. Doch so Akgün im Deutschlandfunk: "Von Demokratie kann keine Rede sein, das ist ein neues Etikett, das dransteht." Erdogan werde versuchen, immer mehr demokratische Rechte einzuschränken und viele in Deutschland würden dies auch fordern, weil "es der große Führer befiehlt", so Akgün.
    Die Buchautorin kritisierte zudem, man habe in Deutschland die Integrationspolitik immer über bestimmte Vereine gemacht, die im Sinne Erdogans und der Führung in Ankara handelten. Man müsse sich nun fragen, ob Deutschland über Jahrzehnte die falschen türkischen und islamischen Vereine als Ansprechpartner gewählt habe.
    Zehntausende Demonstranten seine nach Köln gekommen. "Das ist ein Erfolg für die AKP und trotzdem kein Erfolg", sagte die frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Lale Akgün im Deutschlandfunk. Denn gekommen seien vor allem diejenigen, "die organisiert sind" und von Vereinen, die der AKP nahestünden, gebracht wurden.

    Das Interview in voller Länge:
    Bettina Klein: Erleichterung nach einer friedlichen Demonstration. Zehntausende Erdogan-Anhänger gestern in Köln, keine Gewalt, keine Krawalle. Aber Tausende türkische Fahnen und der Ruf nach Todesstrafe von den Demonstranten, all das in einer deutschen Großstadt, das hat viele schon irritiert. Ein Thema jetzt mit der langjährigen SPD-Politikerin Lale Akgün. Schönen guten Morgen!
    Lale Akgün: Guten Morgen!
    Klein: Frau Akgün, Sie haben schon viele ähnliche Demonstrationen hier in Köln gesehen und miterlebt, die gestrige haben Sie aus der Ferne verfolgt. Wie wirkte das auf Sie?
    Akgün: Ich wusste ja schon seit Tagen, dass sowohl Fernsehstationen als auch das Generalkonsulat intensiv mobilisiert haben für diese Demonstration. Die war Erdogan ganz wichtig, weil mit dieser –
    Klein: Fernsehstationen in Ankara meinen Sie, oder wie?
    Akgün: Wie bitte?
    Klein: Fernsehstationen in der Türkei meinen Sie?
    Akgün: Ja, in der Türkei, aber in Deutschland natürlich. Das sind ja Fernsehstationen, die nach Deutschland senden. Hier in Deutschland wurde über Fernsehstationen, über das Generalkonsulat, über Internet massiv für diese Demonstration mobilisiert und geworben unter dem Motto, "Schnapp dir deine Fahne und komm nach Köln" wurde also versucht, möglichst viele Leute auf die Demonstration zu bringen. Es ist ja die UETD, eigentlich die Filiale der AKP in Deutschland, hat zwar die Organisation organisiert, aber es haben ja über hundert Vereine noch mit teilgenommen. Für mich ist das Fazit: Obwohl knapp vier Millionen, theoretisch vier Millionen Türkischstämmige – denn es wurde ja auch in Belgien, den Niederlanden und in Frankreich mobilisiert – hätten kommen können, sind 40.000 erschienen. Das ist ein Erfolg für die AKP, und trotzdem auch kein Erfolg, denn man muss ganz klar sehen: Es sind die gekommen, die organisiert sind und die im Prinzip auch gebracht worden sind nach Köln. Vor allem die DITIB, die türkisch-islamische Union und andere islamische Organisationen haben also ihre Anhänger dazu gebracht, hierherzukommen. Deswegen muss man fein unterscheiden: Hat Erdogan wirklich eine so große Attraktivität unter den Deutschtürken in Deutschland, oder hat er eine Basis, die eben aus der Türkei gelenkt wird.
    "Von Demokratie kann keine Rede sein"
    Klein: Gut, 30-, 40.000 Demonstranten, dass ist schon mal nicht wenig. So große Demonstrationen sehen wir ja gar nicht so oft in Deutschland. Ich würde Sie gern noch mal danach fragen, Frau Akgün, die Demonstranten selbst bezeichnen sich ja als Pro-Demokratie-Demonstranten, wenn sie Erdogan unterstützen. Wir sagen hier seit Wochen, Erdogan versucht, die Demokratie mit Hilfe der Demokratie abzuschaffen. Verstehen wir da irgendwas nicht richtig?
    Akgün: Nein. Wir verstehen das schon sehr richtig. Seit dem missglückten Putsch vor zehn Tagen hat ja Erdogan seinen Kampf gegen Demokratie als Kampf für die Demokratie deklariert. Er hat ja die Leute auch dort aufgefordert, auf die Straße zu gehen, und seitdem ist er der Meinung, alle, die auf der Straße sind und seine Anhänger sind Kämpfer für Demokratie. Das ist eine Definition, eine natürlich neue Definition der Demokratie. So muss man das sehen.
    Klein: Aber Erdogan-Anhänger fühlen sich hier in Deutschland – Erdogan-Gegner, Pardon, fühlen sich hier in Deutschland durchaus auch verfolgt von ihren Landsleuten. Und auch die Berichterstattung, hören wir, wird kritisiert, weil wir diese Demonstranten eben nicht Pro-Demokratie-, sondern Pro-Erdogan-Demonstranten nennen, weil wir da einen Unterschied sehen.
    Akgün: Ja, natürlich. Was sind das für Demokraten, die immer mehr Rechte eindämmen, die auch sogar hier in Deutschland Andersdenkende beleidigen, verfolgen. Von Demokratie kann keine Rede sein. Das ist jetzt nur ein neues Etikett, was darauf steht. Und Erdogan wird mit diesem Namen, und das ist das Gefährliche daran, mit diesem Etikett, "Ich bin für Demokratie", wird er versuchen, immer mehr Rechte einzuschränken und seine Vertreter oder seine Anhänger hier in Deutschland werden es ihm gleich tun, weil der große Führer es befiehlt.
    Integrationspolitik nur über Vereine, die im Sinne Erdogans handeln
    Klein: Jetzt gibt es wiederum Kritik auch an Deutschland, an der deutschen Integrationspolitik. Viele, auch Erdogan-Kritiker sagen, das habt ihr euch in gewisser Weise selbst zuzuschreiben, dass viele Türkinnen und Türken eben Erdogan als ihren Präsidenten sehen und nicht Joachim Gauck, weil sie sich einfach in der Türkei beheimatet fühlen, weil sie hier keine Heimat wirklich haben oder das zumindest so empfinden. Teilen Sie diese Auffassung?
    Akgün: Das ist eine Hypothese. Ich würde noch mal etwas einen anderen Gesichtspunkt noch mal in den Vordergrund stellen, nämlich man hat in Deutschland über Jahre und Jahrzehnte die Integrationspolitik immer über bestimmte Vereine gemacht. Man hat gesagt, wir kommen an die Leute nur über diese Vereine. Und es sind gerade diese Vereine, die eben heute Erdogan unterstützen, diese türkischen Vereine, diese islamischen Vereine. Da stellt sich für mich natürlich die Frage, ob man nicht in der Integrationspolitik immer die Falschen unterstützt hat, und man sieht immer nur, die nicht integriert sind, weil man dann immer mit denen zusammen ist, die eben eigentlich Erdogan-Anhänger sind, statt die große Masse der normalen Menschen zu sehen, die eigentlich weder in so einen Verein gehen noch Integrationshilfen benötigen, weil sie schon bereits integriert sind.
    "Augenmerk auf die richten, die schon längst integriert sind"
    Klein: In der Islamkonferenz, Frau Akgün, wurde ja auch versucht, Vertreter mit einzubeziehen, die eben nicht den großen Verbänden angehören. Ist das gescheitert Ihrer Meinung nach?
    Akgün: Ich bitte Sie – das waren vielleicht sieben, acht Leute oder zehn Leute von knapp drei Millionen. Dass die dabei waren in dieser Konferenz als Alibivertreter, ändert ja nichts an der Sache, dass man seit Jahrzehnten immer nur die im Blick hat, die eigentlich ihre Heimat in der Türkei sehen und so tun, als wären sie hier angekommen. Spannend fand ich zum Beispiel auch während der Demonstration, dass die deutsche Nationalhymne abgespielt worden ist oder Schilder auf Deutsch hochgehalten wurden. Triumpf der Volkssouveränität, Triumpf der Geschlossenheit, von Damen, die offensichtlich diese Schilder nicht selber geschrieben hatten. Das heißt, das sind so genau diese Vereine, die seit Jahren mit deutschen Institutionen oder Behörden in Kontakt sind und meinen, sie wüssten, wie man die deutsche Gesellschaft bei Laune hält. Und das zeigt mir, wir müssen das Augenmerk in der Integrationspolitik eigentlich auf die richten, die schon längst integriert sind. Denen das Gefühl geben, sie sind hier zu Hause, sie gehören dazu, anstatt permanent mit denen zusammen zu sein, die ein Beispiel sind dafür, dass man hundert Jahre in einem Land leben kann und hundert Jahre sich woanders zu Hause fühlt.
    Klein: Die Einschätzungen von Lale Akgün heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
    Akgün: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.