
"Ein helles Bier, bitte?"
"Halbe oder Mass?"
"Halbe, bitte!"
"Für mich auch, bitte."
"Ah ja, dann gehen wir dahin."
"Hallo."
"Filet?"
"Medium or rare?"
"Es ist manchmal bei Schwarzen eine lustige Überraschung, wenn ich auf einmal die Muttersprache rausspucke: Da sagen die Wow!"
Serviceleiterin Shirley Schmitt, eine hochgewachsene blonde Frau im Dirndl, kommt dem Kellner auf dem Weg zur Küche entgegen.
"Ich werde gerade rot! Ja, ein ganz tolles Kompliment."
"Ich möchte jedem unserer Kollegen hier eine Haltung mitgeben. Eine Haltung, dass man sagt, man ist ein Gastgeber und ganz gleich von welcher Nation. Wir begrüßen ja auch Gäste aus allen Nationen."
Alle seine Gäste sind versorgt. Michael Abbey kann kurz Pause machen. Er erzählt, warum er als 15-Jähriger nach Deutschland floh: in Sierra Leone herrschte Bürgerkrieg.
"Das war nach diesem Blutdiamantthema. Und ich war Kindersoldat. Ich war ein Kind! Ich war ein Kind!" Michael Abbey lässt seinen Blick durch das Wirtshaus schweifen. Fast wirkt er erleichtert, als er sieht, dass neue Gäste angekommen sind.
"A glass of red wine, one pretzel. This would be my recommendation as red wine."
Michael Abbey hat zunächst in einem Flüchtlingslager gelebt und ist dort zur Schule gegangen. Die deutsche Sprache, sagt er, war nicht die größte Herausforderung, sondern das zu verarbeiten und hinter sich zu lassen, was er in seiner Heimat erlebt hat. Bei seiner nächsten kurzen Pause holt er tief Luft und hört dann gar nicht mehr auf zu reden.
"Ich bin einfach froh, dass ich das überlebt habe. Ich habe mit einer echten Waffe gespielt als mein Spielzeug! Nicht alle, die mit einer Waffe geboren sind, werden in der Zukunft kriminell. Deutschland hat mich unterstützt. Der Staat hat mich unterstützt, weißt Du. Es war nicht Luxus. Ich musste für alles arbeiten, ich musste mich bemühen, bevor ich etwas kriegen konnte."

"Und dann darfst du nicht ausflippen, du sollst immer nett bleiben. Das ist hart und das ist traurig. Das ist dauernd. Man lebt damit."
"Ich traue mich nicht umzuziehen. Ich will mich immer weiterentwickeln. Deutschland ist hart. Aber auf eine gute Weise. Ich mag‘s schon, ich mag‘s!"
Je später der Abend, desto voller wird der Gastraum. Er hat keine Zeit mehr zu reden, er muss zu seinen Gästen. Abkassieren.
"Alles zusammen oder getrennt?"
"Alles zusammen, bitte!"
"Gut, und Ihnen?"
"Auch gut."
Technische Universität München, Eingangsbereich, Hauptgebäude in der Arcis-Straße. Ich bin mit dem Masterstudenten Sayed Ali Fakhri aus Afghanistan verabredet. Der hochgewachsene 37jährige Mann in Jeans, Turnschuhen und dunkelblauem Anorak blickt mich aus sanften Augen an. Der Bauingenieur hat vor seiner Flucht in seinem Land Staudämme geplant. An diesem Vormittag besucht er eine Vorlesung zum Thema "River Engineering and Hydraulogy" – alles auf Englisch.
"Ich habe es geschafft, ja. Dass ich diese Chance bekommen konnte. Und alles geht gut."
Allerdings wird der junge Mann in Deutschland nicht als Masterstudent mit hervorragender Berufsperspektive betrachtet, sondern vor allem als Flüchtling, dessen Asylverfahren in erster Instanz abgelehnt wurde.
"Danach konnte ich klagen gegen die Entscheidung der Ausländerbehörde. Bis jetzt habe ich leider keine Nachricht vom Gericht bekommen."
Sayed Ali Fakhri klappt seinen kleinen Computer auf und hört dem Dozenten so aufmerksam zu, als wolle er jedes Wort in seinem Gedächtnis abspeichern. Der Bauingenieur hat in Afghanistan den Krieg miterlebt. Wie viele Geflüchtete leidet er unter Schlaflosigkeit. Sein Status als Flüchtling ist noch ungeklärt. Das Studium an der Technischen Universität kann er beenden. Aber ob er auch bleiben kann, um hier zu arbeiten, weiß der zukünftige Masterabsolvent aus Kabul nicht. Sayed Ali Fakhris Gesicht verdüstert sich, als er über die Zukunft spricht.
"Meine Anwältin hat mir gesagt, es ist eine gute Möglichkeit, dass ich einen Platz habe, aber es ist kein Grund, dass ich sicher bleiben kann. Weil für Bleiben und Asyl, der Grund, warum man gekommen ist, das ist wichtig für die Regierung."

Brossardt klappt eine schwarze Mappe auf und liest noch mal in den Unterlagen. Im Herbst 2019 meldete die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft die Good News: "Integration durch Ausbildung und Arbeit übertrifft Erwartungen". Laut der Bundesagentur für Arbeit waren 2019 rund 360.000 Menschen mit Fluchtgeschichte in ganz Deutschland in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen tätig. Knapp 60.000 von ihnen waren in bayerischen Betrieben beschäftigt. Dazu kommen deutschlandweit noch 40.000 junge Flüchtlinge, die einen Ausbildungsvertrag in der Tasche haben.

Brossardt runzelt kurz die Stirn. Er bemüht sich um einen betont nüchternen Ton. Er will nicht zu "flüchtlingsfreundlich" erscheinen, denn er weiß, wie kontrovers das Thema in der Gesellschaft diskutiert wird. Die arbeitenden Flüchtlinge in Deutschland kommen vor allem aus acht Ländern: Afghanistan, Syrien, Iran, Irak, Eritrea, Nigeria, Somalia und Pakistan. Knapp die Hälfte der hier arbeitenden Flüchtlinge, so die Bundesagentur für Arbeit, jobbt allerdings in wenig qualifizierten Tätigkeiten als "Helfer". Ein Grund: viele sprechen noch nicht gut genug Deutsch. Ein Teil hat in ihren Heimatländern auch nicht mehr als einen Grundschulabschluss erreicht. Aber immerhin ein Drittel der Bewerber mit Fluchthintergrund, so meldet es die Bundesagentur, hat in Deutschland eine Ausbildung begonnen.
Die Chancen stehen gut, denn die Geflüchteten in Deutschland sind jung. 44 Prozent sind jünger als 25.
"Grundsätzlich ist jemand, der zu uns kommt, langfristig betrachtet überall einsetzbar und unterscheidet sich dann von Deutschen wenig."
"Jeden Zahn noch zwei Mal bitte beleuchten, dann darf sie ausspülen und ich brauche die Polierscheiben."
"Ja!"
Eine Zahnarztpraxis mitten im Münchner Zentrum. Die Auszubildende Amina Mohammed und ihr Chef, Dr. Christian Noe, beugen sich über eine Patientin auf dem Zahnarztstuhl, eine ältere Dame um die 80 Jahre. Die 20-jährige Amina trägt die schwarzen Haare zu einem Dutt hochgesteckt, sie hat auffallend lange Wimpern und große dunkle Augen. Sie stammt aus Eritrea. Trotz Mundschutz sieht man: Die junge Frau lächelt die ganze Zeit über.
"So, das Bohren ist schon überstanden."
"Das Schlimmste vorbei?"
"Mit Abstand das Schlimmste vorbei."
Amina hilft der Patientin sich aufzusetzen.
"Sie können ausspülen, wenn Sie wollen. Geht’s so?"
Obwohl sie erst ist im zweiten Lehrjahr ist, wirkt sie schon sehr routiniert. Jeder Handgriff sitzt.
"Also viel schwieriger: Ich muss nur bohren, die Amina muss vier Sachen gleichzeitig machen!"
"Macht sie aber gut, oder?"
"Hervorragend!"
Im zweiten Behandlungszimmer liegen auf einem fahrbaren Tischchen stapelweise Zahnarztinstrumente. Amina sortiert sie – fast schon liebevoll.
"Am Anfang ist das schwierig, man muss Notizen machen, viel aufschreiben, wo sie sind, wie sie heißen auch. Aber das hat auch mit Wollen zu tun. Wenn man will, man schafft alles."
"Alle Kriege und so, ja, deswegen. Ja, das war eine sehr schwierige Zeit und ich bin sehr froh jetzt, dass ich hier alles geschafft habe. Ja, das ist traurig, wenn man immer allein ist. Und ich bin mit dem Schiff gekommen nach Italien."
Auf die Frage nach ihren Eltern und ihren vier Geschwistern füllen sich Aminas Augen mit Tränen.
"Meine Eltern sind gestorben. Ich war 12."
"Die sind dort im Krieg gestorben?"
"Nein, mein Vater… das war ein Unfall; meine Mutter war sehr krank."
Amina geht zur Anmeldung und schaut, welche Patienten als nächstes an der Reihe sind. Das ist etwas, was sie in Deutschland sehr schätzt: die Regeln, die Strukturen.
"Das gefällt mir sehr. Ich finde das sehr gut, man hat Pläne. In der Arbeit klappt auch gut, wenn man weiß, was kommt und wann kommt."
Deshalb hatte Amina auch überhaupt keine Probleme, einen Ausbildungsplatz zu finden – im Gegenteil.
"Hast du denn viele Bewerbungen geschrieben?"
"Ja, ich habe 17 Bewerbungen geschrieben, aber ich habe auch von allen Zusagen bekommen. Ja, von fast allen. Ich habe auch auf Probezeit gearbeitet in drei oder vier Praxen."
"Und dann hast du dich für die entschieden?"
"Ja."
"Hast du so gute Noten oder warum wollten die dich alle nehmen?"
"Ja, ich habe auch gute Noten, ich habe Einsen."

"Es ist ein wahnsinniges Stück Arbeit, ja auch gerade die, die wir in Ausbildung bringen, jetzt auch durch die Ausbildung zu begleiten, durch die Berufsschule zu begleiten, was sehr schwierig ist. Die bestehen die praktischen Teile alle sehr gut. Aber sobald es um den schulischen Zweig geht, wird es ganz kompliziert, da brauchen sie sehr viel Nachhilfe. Und da müssen wir halt ran, dass wir mit Ehrenamtlichen ein Netz aufbauen, dass wir die durch die Ausbildung bringen."
"Da rufen uns die Arbeitgeber an und sagen: Hört mal, das geht nicht. Der arbeitet super, der ist seit zwei Jahren hier, pünktlich jeden Tag. Ich finde niemanden anders, der diese Arbeit macht. Bitte schaut, dass ihr den wieder herbringt."
"Keine Chance."
"Konditorei Krönner, Grüß Gott."
"Hallo, Elena."
Murnau in Oberbayern, Hauptstraße. Der Blick geht von hier weit in die Berge. In dieser Idylle befindet sich die Konditorei Krönner. Sobald man das Traditionsgeschäft aus dem 18. Jahrhundert betritt, wieder ein traumhafter Anblick: In der Vitrine stehen Tabletts mit Sahnetrüffeln und Nougatstangen, Obst- und Sachertorten, Strudel und Käsekuchen. Alles ist handgemacht. Auch zwei Kaffeehäuser und eine Schokoladen-manufaktur betreibt die Chefin Barbara Krönner. Man merkt der resoluten Firmenchefin an, wie stolz sie auf ihr kleines Firmenimperium ist. Aber ihre Arbeit steht und fällt mit gutem Personal. Barbara Krönners Blick verdüstert sich zunehmend während des Telefongesprächs, das Sie gerade führt.
"Und wie engagiert waren da Ihre Flüchtlinge?"
"Ja, sehr, weil sie sich ein Leben aufbauen wollen und sich identifizieren auch."
"Ich kenne die Drinks, die Essen. Ich weiß alles."
"Spülmaschine?"
"Spülmaschine? Ja, und die Backstube auch."
"Was haben Sie in der Backstube gemacht?"
"Putzen."
In der Küche stapelt sich das schmutzige Geschirr, denn am 17. Oktober 2019 wurde Johnsons Asylantrag abgelehnt. Das bedeutet: Er darf nun nicht mehr in Barbara Krönners Konditorei arbeiten.
"Also wir hatten den Termin am 17. Oktober in Weilheim in der Ausländerbehörde. Und am 17. Oktober hat man ihm die Arbeitserlaubnis entzogen. Das heißt, ich habe einen Mitarbeiter, der bei mir fest beschäftigt ist, innerhalb von zehn Minuten verloren."
Die Konditormeisterin Barbara Krönner schaut besorgt zu ihrem früheren Mitarbeiter aus Nigeria.
Am 1. Januar ist das Gesetz über Duldung bei Ausbildung und Beschäftigung in Kraft getreten. Das Gesetz verspricht Erleichterungen bei der Beschäftigung von Flüchtlingen. Johnson Adeniyi Ayodabo profitiert nicht davon, denn die Hürden sind extrem hoch. Johnson zeigt zwar "gute Leistungen" im Job und ist länger als 18 Monate sozialversicherungspflichtig beschäftigt, aber eine Beschäftigungsduldung erhält nur, wer seit mindestens seit einem Jahr in Deutschland geduldet lebt.