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Integration
Muslime wünschen sich Reform der deutschen Bestattungsgesetze

Wo ihr Grab sein soll, treibt fast alle der fünf Millionen Muslime in Deutschland um. Über 90 Prozent der Deutschtürken werden nach ihrem Tod in die Türkei überführt und dort bestattet. Dies liegt auch an den deutschen Bestattungsgesetzen, die beispielsweise die Sargpflicht vorschreiben.

Von Barbara Roth | 24.11.2013
    Ein junger Mann springt hoch, stößt sich mit den Beinen von Wänden ab, nimmt spielerisch Hindernisse. Parkour stammt aus Frankreich, ist eine sehr dynamische,sehr kreative Sportart. Meltem Sözen und Berat Yaman haben ihren Laptop aufgeklappt und zeigen Mitschnitte vom Training ihres jüngsten Bruders und seinen Auftritten in der Bochumer Jahrhunderthalle. Sie saugen jede Bewegung auf. Sie lächeln, sie leiden. Frad Yaman ist ziemlich genau zwei Jahre tot. Ein Autounfall. Er war gerade zwanzig, studierte Maschinenbau, die erste große Liebe, ein Start-Stipendium für engagierte Jugendliche mit Migrationshintergrund. Unser Vorzeigetürke, sagt der Bruder und wischt sich hinter den Brillengläsern die Tränen weg.
    "Das Gymnasium, wo er sein Abitur gemacht hat, hat extra einen Baum gepflanzt für ihn in der Schule. Wir selbst kommen ja aus einer sozialschwachen Gegend, aus Mengele. Er sagte, er will der erste Akademiker sein in der Familie, hat hohe Ziele gesteckt, war immer ambitioniert. "
    Frad wurde in Dortmund geboren, wuchs dort auf. Begraben ist er in dem anatolischen Dorf, aus dem sein Vater vor Jahrzehnten aufbrach, um in Almanya Geld zu verdienen. Die Familie wollte, dass der Jüngste dort seine endgültige Heimat findet. Angeblich war es auch Frads Wunsch. Warum? Berat Yaman, 31, der ernste große Bruder, angehender Versicherungskaufmann, zuckt mit den Schultern. Er würde es nicht anders wollen.
    "Ich kann es nicht erklären. Ich habe ja hier meine Freunde, meine Familie um mich. Eigentlich müsste ich bestrebt sein, mich hier beerdigen zu lassen, damit die Leute, mich besuchen können, die mir was bedeuten. Aber ich habe irgendwas in meinem Herzen, das mich zu der Erde, zu dem Boden dort in der Türkei irgenwie hinzieht."
    Wo und was ist Heimat
    Wo ihr Grab sein soll, treibt fast alle der fünf Millionen Muslime in Deutschland um. Es läuft auf die Frage hinaus: Wo und was ist Heimat? Da, wo man arbeitet, vielleicht längst die Staatsangehörigkeit hat, wo Kinder und Enkelkinder bleiben werden? Oder dort, wo man nach islamischen Riten bestattet wird und die Vorfahren herkamen? Und: Warum machen es deutsche Gesetze den Muslimen so schwer, ihre Toten hier zu begraben? Viele schwierige Fragen. Die Dortmunder Familie Yaman hat für sich eine Antwort gefunden. Eine Antwort, die sie emotional zerreißt.
    "Ich möchte mit ihm reden, ich möchte bei ihm sein. Das kann ich nicht hier, weil ich weiß, er liegt dort. Und das habe ich jeden Tag."
    Meltem ringt um Fassung, wenn sie von der komplizierten Überführung ihres Bruders erzählt. Deutsche Behörden zögerten die Freigabe hinaus, dabei soll ein Leichnam nach islamischer Vorschrift so schnell wie möglich unter die Erde.
    "Der Unfall ist an einem Freitag passiert. Und er wurde erst am Mittwoch beerdigt. Weil er ein Unfallopfer ist, und er musste erst zur Autopsie. Und eigentlich darf man als Frau nicht nach vorne und gucken, wie er beerdigt wird. Aber es war mir egal, ich wollte alles sehen. Dann haben sie ihn dort unten reingelegt, dann die
    Hölzer drauf. Das heißt bei uns im Islam, steht der Körper noch einmal auf, beugt sich auf, und dieses Holz, kommt er mit den Kopf dran, dann weiß er, dass
    er halt nicht mehr lebt."
    Meltem Sözen wirft dem Bruder auf dem Bildschirm einen zärtlichen Blick zu. Sie ist eine schicke junge Frau, Verkäuferin, die ganz im Hier und Heute, in Dortmund lebt. Aber eine weitreichende Entscheidung hat die 26jährige längst getroffen.
    "Ich für mich möchte auch in der Türkei beerdigt werden. Meine Eltern haben für meinen Bruder kaufen müssen. Da haben die schon das ganze Stück gekauft, dass sie halt auch schon was bereit haben."
    München, in einem abseitigen Teil des Westfriedhofs. Ein Handwerker schleift eine Grabeinfassung zurecht. Eine Frau aus Bosnien wurde vor wenigen Tagen begraben. Und zwar so, dass ihre rechte Seite nach Mekka zeigt. Es hat gedauert, bis die Münchner Friedhofsverwaltung diese exakte Ausrichtung ermöglichte.
    Zu dem muslimischen Gräberfeld führt Ahmad Al-Khalifa. Er ist ein Hüne von einem Mann, Anfang sechzig. Über der schwarzen Nadelstreifenhose trägt er eine Strickjacke. 1977 schickte die Universität Kairo den Maschinenbauer zur Weiterbildung nach Deutschland. Geplant war höchstens ein Jahr.
    Al-Khalifa bleibt bei einem hohen Granitstein stehen, zupft welke Spitzen aus dem Wacholderbusch davor.
    "Und das ist mein Grab. Mein Zuhause mit meinem Freund M. Ibrahim. Ich habe seine Familie darum gebeten, dass sie mir erlauben, dass ich bei ihm beerdigt werde. Ich habe das entschieden, weil ich gesehen habe, dass mein Leben in Deutschland. ist. Und ich würde meine Kinder und meine Heimat Deutschland nicht verlassen."
    Heikle Kompromisse für einen gläubigen Moslem
    Für diese Verbundenheit zu seiner Heimat Deutschland, in der er die längste Zeit seines Lebens lebt, wird er Kompromisse eingehen müssen. Heikle Kompromisse für einen gläubigen Moslem. Denn das bayerische Bestattungsgesetz beinhaltet eine strikte Sargpflicht. Muslime aber sollen, nur eng in Tücher gewickelt, direkt in die Erde. Am schlimmsten aber ist, erklärt Al-Khalifa, dass es auf allen kommunalen Friedhöfen in Deutschland keine Ewigkeitsgarantie gibt.
    "Auf diesem Westfriedhof, die Ruhefrist ist leider nur sieben Jahre. Das heißt, wenn eine Familie nach sieben Jahren die Miete nicht weiter an die Stadt München zahlen kann oder niemand mehr da ist, wird die Stadt die Gräber an andere Leute weitervergeben. Die Überreste werden verbrannt. Das ist Horror, was ein Moslem hat, dass die Überreste eines Menschen verbrannt werden."
    Al-Khalifa, der in Ägypten eine katholische Privatschule besuchte, inzwischen Direktor des Islamischen Zentrums München ist und sich als Brückenbauer zwischen Religionen versteht, hofft, dass die Politik vor seinem Tod noch einlenkt. Dass Muslime hier auch unter der Erde integriert sind. Aber auch, weil viele gar nicht in ihr Herkunftsland zurück können: syrische Kriegsflüchtlinge, politisch Verfolgte aus Iran, Afghanistan. Bereits Anfang der 80er Jahre habe das Islamische Zentrum München den ersten Antrag auf einen eigenen islamischen Friedhof gestellt, um Gräber nicht zu mieten, sondern zu kaufen - für alle Zeiten. Al-Khalifa seufzt. Die Verhandlungen kamen zum Erliegen.
    "Unsere meisten Freunde kamen von der CSU. Die haben den Trost gegeben immer, es wird etwas passieren. Aber man sieht, bei der CSU dauert es viel länger als bei den anderen. Die Unterstützung des Antrags bekommen wir momentan von den Grünen. Die sagen: Für die Integration der Muslime in der Gesellschaft gehört dazu, dass ich weiß, ich kann hier bleiben, ich kann hier beerdigt werden."
    Martin Neumeyer, 59, eckige Brille, joviale Art, bestellt in der Kantine des Bayerischen Landtags zwei Cappuccini auf Italienisch. Der Integrationsbeauftragte der bayerischen Staatsregierung hebt hervor, dass er am Abend zuvor mit Roma diskutiert habe und sowohl bei einem russlanddeutschen als auch einem türkischen Verein vorbeigeschaut habe.
    "Die CSU weiß, dass viele Muslime traditionsverbunden sind, konservativ, familienverbunden, heimatverbunden sind. Wenn man das beschreibt, könnte man eine CSU-Familie beschreiben."
    Die Frage, warum dann die muslimischen Bestattungstraditionen so wenig respektiert würden, bringt ihn allerdings in Verlegenheit.
    "Es gibt bei uns Gesetze, die ja nicht ganz einfach sind. Das heißt es ja, du musst im Sarg sein, im Muslimischen ist ja eher das Tuch. Ja, man will bei all diesen Themen einfach auch die Bevölkerung mitnehmen. Und die Bevölkerung ist dann doch sehr christlich orientiert. Da muss man aufklären. Aber Bayern tut sich schwerer als andere Bundesländer, das ist richtig."
    Baden-Württemberg hat ein Ministerium für Integration, Nordrhein-Westfalen einen Staatssekretär. Martin Neumeyer, der CSU-Landtagsabgeordnete aus dem Stimmkreis Kelheim, ist zweifelsohne ein engagierter Integrationsbeauftragter. Aber nur ehrenamtlich und mit kleinem Budget. Ob es ihm da gelingt, etwas zu verändern?
    Bestattungsgesetze sind Ländersache
    "Ich werde mich schlaumachen, erkundigen und werde das auch einbringen, dass man das in einem Ausschuss beredet. Versprochen."
    Nordrhein-Westfalen hat sein Bestattungsgesetz, das Ländersache ist, geändert. Das neue, das am 1. Januar in Kraft tritt, ist das großzügigste in ganz Deutschland.
    Deshalb bin ich jetzt in Wuppertal. Die Muslime hier werden als erstes von dem neuen Gesetz profitieren. „Gathe“ heißt die Straße in der Nordstadt und sie zieht sich lang. Schmutzgraue Einheitsfassaden, Döner-Buden, Brautmoden, Reisebüros mit Billigflügen nach Izmir und Adana. Bei der Nummer 31 ragt ein rosa Minarett auf. Im Vorderhaus der Moschee kann man gut essen, im Saal darüber türkische Musiksendungen gucken. Männer trinken Tee. An den Wänden hängen Atatürk-Porträts, die türkische und die deutsche Fahne. Ein Mann in Lederjacke, der anonym bleiben will, erzählt, dass kürzlich ein guter Freund starb und in Wuppertal begraben liegt. Fast ein Tabu-Bruch in der türkischen Community. Aber es gab Gründe. Die Kinder des Verstorbenen sind erst sechs und elf Jahre alt.
    "Die Eltern wollten ihn gern in der Türkei beerdigen. Aber es war auch von ihm der Wunsch, hier in Deutschland beerdigt zu werden. Damit die Kinder ihn jederzeit besuchen können. Wir leben alle hier in Deutschland, das ist auch unser Zuhause. Sobald wir das mit islamischen Friedhof hinbekommen, gehe ich davon aus, dass sich viele auch für Deutschland entscheiden werden."
    Der Mann starrt in sein Teeglas. Man sieht es ihm an: Der Spagat zwischen Tradition, Glauben und dem Alltag in Deutschland kann wehtun. Aber nicht mehr lange.
    "Da haben wir zugesichert den Eltern, dass wir demnächst hier in Wuppertal einen islamischen Friedhof haben werden. Dass wir ihn dann eventuell rübertragen können. Nur so kam das zustande."
    Zwei Männer stapfen nebeneinander durchs Herbstlaub. Der ältere, Josef Neumann, wurde in Polen geboren, ist Katholik und SPD-Landtagsabgeordneter. Der jüngere, Samir Bouaissa, stammt aus Marokko, ist Moslem und im CDU-Kreisvorstand. Beide sind leidenschaftliche Wuppertaler. Zusammen haben sie der Politik in Düsseldorf Druck gemacht.
    "Früher hat man sich ja öfter Witze über Türken gemacht, nach der Methode, der Opa wird in den Teppich gewickelt, aufs Auto gepackt und über die Grenze gefahren. Genau und das war der Vorläufer des heutigen Transports in die Heimat, um muslimisch zu bestatten."
    Der Islam gehört zu dieser Stadt
    Das Gräberfeld auf dem kommunalen Friedhof in Wuppertal-Ronsdorf ist nur ein Provisorium. NRW macht ab 2014 islamische Friedhöfe möglich. Der Erste wird in Wuppertal sein. Die Sargpflicht wurde längst aufgehoben. 48 Stunden Wartepflicht vor der Bestattung aber werden auch in Zukunft bleiben, um einen Scheintod auszuschließen. Damit könne man sich abfinden, meint Bouaissa. Tausende Wuppertaler feiern jährlich mit den Muslimen der Stadt auf dem Platz vor dem Rathaus das Fastenbrechen. Und der CDU Oberbürgermeister sagt immer wieder öffentlich: "Der Islam gehört zu dieser Stadt." Das sieht der Wuppertaler SPD-Landtagsabgeordnete Josef Neumann genauso.
    "Es ist einfach wichtig, dass Menschen Heimat auch da empfinden, wo der Vater, die Mutter, das Kind begraben wird. Und deshalb kämpfen wir dafür, dass Wuppertal auch in dieser Frage Heimat für die Muslime in dieser Stadt wird."
    Als Generalsekretär der vierzehn Wuppertaler Moscheegemeinden verhandelt Bouaissa gerade über den Ankauf eines geeigneten Grundstücks. Die Moscheegemeinden werden als religiöse Vereine zusammen die Trägerschaft übernehmen.
    "Der Unterschied ist ganz einfach, dass ein Friedhof in muslimischer Trägerschaft auch die Bestattung nach islamischen Regeln garantiert. Und das Ewigkeitsrecht, was den Muslimen sehr, sehr wichtig ist, garantieren kann und dafür die Verantwortung trägt, auch das finanzielle Risiko. Wir haben einfach viele Muslime hier, die davor zurückschrecken, sich hier bestatten zu lassen, weil sie sagen, nach 25 Jahren werde ich dann ausgegraben; natürlich gibt es die Möglichkeit, dass die Familie verlängern möchte, aber die Menschen denken sich dann auch, kann ich mich darauf verlassen, dass in 25 Jahren jemandem so viel an mir liegt, dass er da den ganzen Aufwand auf sich nimmt, um diese Grabstätte hier zu verlängern. Integration ist nicht vollständig, wenn die Menschen im Leben hier integriert sind, den deutschen Pass haben, aber immer im Hinterkopf behalten müssen, wenn ich sterbe, muss ich woanders hin, in ein anderes Land."
    Die Heckklappe eines Wagens des Münchner Bestattungsunternehmens „Hakim-I Guraba“ wird geöffnet, ein schlichter dunkelbrauner Sarg herausgezogen. Ein halbes Duzend Männer schultert ihn. Die Männer tragen den Sarg auf Strümpfen über den wolligen beigen Teppichbodens eines großen Raumes im zweiten Stock des "Quiddezentrums" in Neuperlach. Ein Stadtteil mit einem hohen Anteil türkischstämmiger Bürger. In dem Saal war früher eine städtische Bücherei, jetzt beten hier Muslime. An dem Abend das Totengebet für einen alten Mann. Der Bestatter Salih Güler ist auch Imam. Nach islamischer Vorschrift ist sein Schädel mit einem Käppi bedeckt, er trägt Bart, einen langen grauen Mantel, orientalisch weit geschnittene Hosen. Er betet in der Sprache des Koran, Arabisch. Auch Segenswünsche für den Toten, damit Allah ihm die guten Taten belohnt und ihm die weniger guten Taten verzeiht.
    Vor dem Sarg und dem Iman stehen Männer in einer Reihe. In Jeans und Wollpullover, manche im schwarzen Anzug, einige sind gerade von der Arbeit gekommen. Bei einem bestimmten Gebet grüßen sie auf ihre rechte Seite, dann auf ihre linke Seite. Nach ungefähr einer halben Stunde ist die Zeremonie vorbei. Die Männer tragen den Sarg hinaus, verladen ihn wieder ins Auto. Die Papiere liegen bereit, der Leichnam ist bereits rituell gewaschen. Die letzte, längere Reise beginnt. Salih Güler beschreibt sie.
    Über neunzig Prozent der Deutschtürken werden überführt
    "Wir bringen ihn jetzt zum Ostfriedhof. Und morgen früh wird er dann von uns verlötet und dann wird er abgedeckt, sodass er nicht als Sarg erkennbar ist. Weil die Flughäfen dann den Leichnam so nicht annehmen. Und danach geht er seinen Weg Richtung Türkei. Vor Ort warten Kooperationspartner von uns, die den Leichnam entgegennehmen bis zu seinem Beerdigungsort. Er wird dann dort wieder aufgelötet. Und da er bei uns hier schon vorgewaschen ist, er ist ja schon bereit zur Beerdigung, das Totengebet ist schon gemacht, wird er sofort beigesetzt."
    Über neunzig Prozent der Deutschtürken werden überführt. 1.700 bis 2.000 Euro kostet das einschließlich des Flugtickets für einen Begleiter. Viele Familien zahlen 50 bis 80 Euro jährlich in eine Art Vereinsfonds. Aus dem wird, wenn es so weit ist, die Überführung und Beerdigung bezahlt.
    Salih Güler erzählt von den vielen Hindernissen der bayerische Gesetze. Die Sargpflicht, keine Ewigkeit oder wie mühsam es in kleinen Orten ist, bis wenigstens ein muslimisches Gräberfeld, ausgerichtet nach Mekka, entsteht.
    "Bis man da die behördlichen Gänge überwindet. Und dann muss es einen Beschluss geben und so weiter. Bis man sagt, wir wollen ja nicht viel, wir wollen ja nur eine Grabstätte, die ausgerichtet ist. Anstatt dass das Grab so liegt, dann tut es halt schief stellen. Aber, das ist Deutschland."
    In Deutschland sei der Islam eben nicht akzeptiert. Salih Güler ist ein freundlicher Mann, aber auch ein verbitterter.
    "Wir hier in Deutschland wurden nie als Freunde anerkannt. Es müsste eine ganz andere Atmosphäre sein, nach 50, 60 Jahren – ist aber nicht. Also, keiner sagt von Herzen: Deutschland ist meine Heimat."
    Deshalb, so seine Schlussfolgerung, wollen die Türken hier auch keine endgültige Heimat. Trotzdem: Salih Güler plant jetzt eine Vereinsgründung mit einem ähnlichen Finanzierungssystem wie für Überführungen. Nur dass aus diesem Topf Bestattungen in Deutschland bezahlt werden. Die kosten übrigens viel mehr: mit allen Gebühren um die 3.000 Euro.
    Am anderen Ende von München, in Pasing, lebt die türkischstämmige Familie Alo in einer geschmackvollen Doppelhaushälfte. Gerade wird Abendessen gekocht. Hatice Alo kam als Baby aus der Schwarzmeerregion nach Deutschland, ihr Mann Cengiz als Dreijähriger aus Ankara. Ihre beiden Kinder, die elfjährige Lara und der siebenjährige Kaan, sprechen kaum türkisch. Sie haben den Martinsumzug mitgemacht und freuen sich auf Weihnachten. Die Eltern bezeichnen die Familie als "assimiliert". Der Gebetsraum in Neuperlach mit seinem auf Rituale und Ordnung bedachten Imam ist weit weg. Aber der Tod brachte diese so unterschiedlichen Welten dann doch zusammen.
    "Vor vier Jahren ist mein Vater verstorben, da ist mir schnell bewusst geworden, in was für, welchen zwei Welten ich lebe. Dann musste ich meinen Vater überführen. Das war für mich ein richtiger Kulturschock. Wie trauern die eigentlich? Wie wird man nach islamischen Recht beerdigt. Das waren Themen, mit denen hatte ich mich zuvor noch nie beschäftigt."
    Deutschland ist unsere Heimat, auch nach dem Tod
    Hatice Alo steht in ihrer hellen offenen Küche und rührt im Suppentopf. Dass der Vater weit weg liegt, dass ihre Kinder noch nie an seinem Grab waren, schmerzt sie. Ihre Mutter und die Familie ihres Mannes gehen fest davon aus, dass die gesamte Familie einmal in der Türkei begraben sein wird. Die junge Familie Alo aber sagt: Deutschland ist unsere Heimat, auch nach dem Tod. Komische Gedanken, wenn man erst Mitte dreißig ist? Nein, sagt Hatice, nicht wenn man Deutsch-Türkin ist.
    "Meine Eltern sind nach Deutschland gekommen, haben gearbeitet, wollten zurück, sind dann aber doch da geblieben. Die Kinder, also wir dann quasi, haben hier unser Leben aufgebaut. Man wird zwar als Moslem geboren und man ist Moslem. Aber dem Tod sind ja viele islamische Rituale auf einmal präsent gewesen, mit denen ich ja nie so viel am Hut hatte. Und mit dem Tod hat eigentlich alles angefangen, das stimmt. "